„Putin ist nicht zu trauen“

von Redaktion

Merkels Berater Christoph Heusgen spricht in Rosenheim über Russlands Pläne

Rosenheim – Noch bevor Dr. Christoph Heusgen da war, wehte in der Münchner Straße vor der Buchhandlung Rupprecht plötzlich ein Hauch von Sicherheitskonferenz durch Rosenheim. Nur indirekt wegen des Chefs der Münchner Sicherheitskonferenz, der über die deutsche Außenpolitik sprach und über seine Zeit als außenpolitischer Berater von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Der Hauch von Sicherheitskonferenz stammte von den Protesten vor der Tür. Die wöchentliche Mahnwache, die sich um 19 Uhr am Max-Josef-Platz trifft, kündigte an, bei ihrem Zug einen Stopp vor der Buchhandlung zu machen.

Dementsprechend herrschte eine gewisse Nervosität beim Einlass um halb acht. Zwar waren es nur etwa 20 Demonstranten, aber die waren dank ihrer Trommeln ausgesprochen laut. Doch noch bevor Heusgen eintraf, war auch schon alles vorbei. Die Demonstranten zogen eine Viertelstunde vor Beginn ohne Halt an der Buchhandlung vorbei und kamen bis zum Ende des Vortrags auch nicht wieder.

So konnte das Publikum in der vollbesetzten Buchhandlung den Ausführungen Heusgens in Ruhe lauschen. Und die Ausführungen hatten es in sich. Dabei fing es alles noch ganz entspannt an. Heusgen erzählte von seinem persönlichen Höhepunkt aus seiner Zeit mit Angela Merkel. Das waren eigentlich keine Verhandlungen, es war die 113. Minute des WM-Finales in Rio de Janeiro, als André Schürrle auf Mario Götze flankte und der den Ball im langen Eck der Argentinier versenkte. Heusgen – bekennender Bayern Fan, der im Laufe des Abends aus dem Publikum immer mal wieder über den Zwischenstand des Champions League Spiels informiert wurde, schaute nicht privat beim Finale zu. In der Halbzeitpause verhandelte Angela Merkel mit Wladimir Putin und dessen Außenminister Sergei Lawrow über die Ukraine. Die Annexion der Krim war da gerade ein paar Monate her und der Konflikt drohte zu eskalieren. Als der Wiederanpfiff nahte, gab die Kanzlerin kurzerhand die Verhandlungen ab: Heusgen und Lawrow sollten miteinander reden. Und Heusgen bat Lawrow: „Sergei, wo sitzt Du denn? Dann setze ich mich zu dir, dann können wir das Spiel beim Verhandeln weiterverfolgen.“ Als Heusgen das erzählt, stockt er kurz und fügt an: „Sergei Lawrow und ich duzen uns – heute ist das einem vielleicht ein wenig peinlich.“

Ob Heusgen Götzes Tor dann wieder in der Begleitung von Angela Merkel gesehen hat oder doch zusammen mit Sergei Lawrow, das erzählte er nicht. Aber von da an ging es an diesem Abend sowieso nicht mehr um Fußball. Heusgen skizzierte die Verhandlungen, die zum Minsker Abkommen führten. „Wir haben wirklich gedacht, wir könnten das diplomatisch lösen. Putin hat anders entschieden“, sagte der Diplomat. Doch nicht nur das Minsker Abkommen habe Putin gebrochen, erklärte Heusgen. Auch das Budapester Memorandum von 1994 und der Abschuss des Malaysia-Airlines-Flugs 17 sei ein Verbrechen gemäß des internationalen Rechts. Heusgen hielt fest: „Putin ist nicht zu trauen.“

Auch sonst verlor er kaum ein positives Wort über den russischen Regierungschef. Putins Abschottung im Zuge der Corona-Pandemie habe dazu geführt, dass er seit 2020 nicht mehr von Angesicht zu Angesicht einem seriösen Gesprächspartner gegenübergesessen habe. Putins Mitarbeiter böten ihm kein Contra – „als Mitarbeiter eines Diktators widersprechen Sie nicht“.

Anschließend stellte sich der Diplomat den Fragen der Rosenheimer, die ihn so um den ganzen Erdball führten: China und Taiwan, Israel, Entspannung im Kosovo. Aber auch die Rosenheimer interessierten sich vor allem für Russland und die Ukraine.

Wie und wann der Krieg enden könne, das konnte auch Heusgen nicht prophezeien. So lange Putin glaube, er könne gewinnen, werde der Krieg nach Heusgens Einschätzung andauern. Da helfen auch Gespräche wenig, fürchtet der Siko-Chef: „Ein Wladimir Putin ist nicht so leicht zu beein- drucken.“Thomas Stöppler

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