Der geheime Rosenheimer Untergrund

von Redaktion

Seit rund 450 Jahren gibt es das Gebäude am Rosenheimer Ludwigsplatz, in dem sich die „Alte Apotheke“ befindet. Was kaum einer weiß: Im Keller befinden sich geheime Gänge. Und diese hatten jahrhundertelang einen überlebenswichtigen Zweck. Ein Blick unter die Rosenheimer Erde.

Rosenheim – Der Raum am Ende der steilen Treppe ist spärlich beleuchtet. Von der Decke des Gewölbes hängen riesige Spinnweben. Der Boden ist uneben und sandig. An den steinernen Wänden sind alte Kerzenleuchter und Laternen befestigt. Die Luft ist trocken und kalt. Es riecht nach Kräutern wie Pfefferminze, Kamille und Johanniskraut. In den dunklen Ecken sammeln sich modrige Holzkisten und verstaubte Glasballons.

Johannes Herterich, Eigentümer des Gebäudes der „Alten Apotheke“, steht geduckt in der Mitte der Raumes. Die Decke ist an den meisten Stellen kaum höher als 1,80 Meter. „Die Menschen waren damals sehr klein“, sagt er. Erbaut worden sei das Haus bereits um das Jahr 1580. Von wem genau, ist historisch nicht überliefert.

Gebäude um das
Jahr 1580 erbaut

Wer das Gebäude ausgebaut und fertiggestellt hat hingegen schon. Und zwar von einer damaligen Berühmtheit: dem kurfürstlichen Hof- und Innschiffmeister Johann Rieder. Dieser sei nach einem Streit mit seinem Vater von Erl in Österreich nach Rosenheim gekommen. Dort habe er seine Frau kennengelernt und später geheiratet. „Nur deshalb durfte er in der Stadt bauen“, erzählt Herterich. Bis das Gebäude zur Apotheke wurde, seien jedoch noch viele Jahre vergangen. „Allein der Bau hat rund 30 Jahre gedauert“, sagt der jetzige Eigentümer. Zur damaligen Zeit habe man „einfach darauf losgebaut und geschaut, für was man das Haus letztendlich verwendet“.

Aufgrund der vielen Lagermöglichkeiten sei es aber von Anfang apothekentauglich gewesen. „Der früheste Nachweis der ersten Apotheke Rosenheims ist aus dem Jahr 1742“, sagt Herterich. Diese habe Georg Rieder – der Enkel von Johann Rieder – gegründet und den Dachstuhl zum Trocknen von Kräutern ausgebaut.

Rund 200 Jahre später hat Herterichs Familie das Gebäude am Ludwigsplatz gekauft. Danach hätten sich sein Großvater und sein Vater intensiv mit der Geschichte des Hauses beschäftigt und das Wissen an ihn weitergegeben. Herterich zeigt auf den sandigen Boden des Kellers, auf dem in regelmäßigen Abständen abgerundete Steine hervorschauen.

„Das ist die erste Besonderheit des Hauses“, sagt Herterich. Um dem Rosenheimer Seeton – eine weiche, unbeständige Bodenschicht – Herr zu werden, wurden Steine aus dem Inn geholt und in den sandigen Boden gesetzt. Dadurch entstehe das sogenannte Katzenkopfpflaster. „Das funktioniert ähnlich wie bei Eisbergen“, erklärt der Eigentümer. Der größere Teil der Steine wäre nicht sichtbar an der Oberfläche, sondern tief im Boden und sorge für zusätzliche Stabilität. Aufgrund dieser Bauweise gebe es trotz vieler Hochwasser kein Feuchtigkeitsproblem im Haus wie es in manch anderen Kellnern üblich ist – und das seit 450 Jahren. „Wie das möglich ist, ist mir allerdings ein Rätsel.“

Geheimer Gang hinter
der Außenwand

Der nächste Raum des Apothekenkellers liegt hinter einer alten Holztür. Er ist kleiner und niedriger als der vorherige. Johannes Herterich deutet auf eine rund 50-mal-50 Zentimeter große Stelle an der Wand, die nachträglich mit Ziegelsteinen zugemauert worden ist. „Früher war dort ein Loch, über das man in einen geheimen Gang gekommen ist“, sagt Herterich. Dieser Gang führte sowohl in den Keller des Nachbarn als auch zu versteckten Ausgängen auf die Straße an der Erdoberfläche.

„Die Stadt war damals nicht besonders wehrfähig, deshalb haben sich die Leute Fluchtkeller eingebaut“, sagt Herterich. Auf diesem Weg konnten die Hausbewohner bei Katastrophen und vor allem vor Angriffen fliehen, ohne den Peinigern in die Hände zu laufen. Und solche Momente hat es laut Herterich es in der Geschichte Rosenheims einige gegeben. Sei es der große Stadtbrand am 3. Mai 1641 oder die Plünderungen, Raubüberfälle und Vergewaltigungen der durchziehenden Soldaten während des Dreißigjährigen Krieges: „Bevor man umgebracht wurde, haute man lieber wie ein Maulwurf unterirdisch ab.“

Es gebe sogar einen Beweis, dass dieses Fluchtsystem bereits beim Bau des Hauses geplant gewesen war, sagt Herterich. Er nimmt einen rund 1,20 Meter langen Holzblock, klemmt ihn mithilfe zweier Nischen in die Wand neben der Tür und verriegelt diese damit. „Die Auslassungen nachträglich in eine tragende Wand zu schlagen, ist aufgrund der Statik nicht möglich“, erklärt er. Durch die Verriegelung hätten die Bewohner genügend Zeit gehabt in den Gängen zu verschwinden.

Ein komplettes unterirdisches Gangsystem oder Katakomben wie zum Beispiel ein komplettes unterirdisches Gangsystem oder Katakomben wie zum Beispiel im Paris existiere unter Rosenheim jedoch nicht, sagt Helmut Cybulska, Stadtheimatpfleger von Rosenheim. Auch ob weitere Häuser in der Innenstadt „vergleichbare Flucht-Ausgänge“ haben, sei bisher nicht bekannt.

Johannes Herterich glaubt hingegen schon, dass zumindest einige der alten Häuser am Ludwigsplatz und entlang der Kaiserstraße über solche Geheimgänge verfügen. Schließlich sei sein Keller mit beiden Nachbarhäusern darüber verbunden gewesen, sagt er während er die steile Treppe nach oben steigt, in Richtung Tageslicht.

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