Singend dem Krebs trotzen

von Redaktion

Eine Krebs-Diagnose ist ein Schock, auch für Angehörige. Jetzt entsteht in Rosenheim ein Ort, an dem Betroffene die Krankheit für einen kurzen Augenblick vergessen können. Wie das Singen dabei helfen soll.

Rosenheim – Eine Krebsdiagnose in der Familie stellt das Leben auf den Kopf. Almuth Aicher weiß das aus eigener Erfahrung. Häufig entscheiden sich Betroffene dafür, nicht offen damit umzugehen. Eine Erkrankung sei für viele ein Stigma. „Manche Menschen wollen nicht darüber sprechen“, sagt die Vorstandsvorsitzende der Rosenheimer Bürgerstiftung. Das führe dazu, dass sich Patienten und Angehörige einsam fühlen.

Dokumentation über
Chor aus Neumünster

Zufällig hat sie im Fernsehen einen Bericht über einen Chor aus Neumünster gesehen, der sich aus Krebspatienten und Angehörigen zusammensetzt. „Der Chor ist eine Art Schicksalsgemeinschaft. Jeder darin weiß, wie es sich anfühlt, die Diagnose Krebs zu erhalten“, sagt Almuth Aicher. Die Dokumentation habe sie „wahnsinnig berührt und fasziniert“. Noch während sie den Bericht verfolgte, entstand die Idee, ein ähnliches Projekt in Rosenheim zu starten.

Während der Chorproben soll es nicht um die Krankheit gehen, sondern um das Gefühl des Zusammenhalts. „Für eine kurze Zeit soll die Krankheit in den Hintergrund rücken“, sagt die Vorstandsvorsitzende. Denn – davon ist sie überzeugt – das gemeinsame Singen verbindet. Egal ob im Sportstadion, bei einem Fest oder eben in einem Chor.

Kurzerhand hat sie das Gespräch mit dem Rosenheimer Klinik-Chefarzt und Krebsspezialisten Dr. Kai Nowak gesucht und überlegt, wer als Chorleiter in Frage kommen könnte.

„Es brauchte jemanden, der einfühlsam ist und sich mit der Idee des Konzepts anfreunden kann“, sagt Almuth Aicher. Schließlich fiel die Entscheidung auf die Rosenheimer Sopranistin Sieglinde Zehetbauer.

„Mir liegen soziale Projekte sehr am Herzen“, sagt die Künstlerin. Aus diesem Grund habe sie sofort zugesagt und sich direkt im Anschluss mit der Auswahl möglicher Lieder beschäftigt. Ein Kanon soll gesungen werden, positive Lieder wie „Über den Wolken“ von Reinhard Mey. „Es sind einfache Lieder. Viele sind einstimmig, einige mehrstimmig“, sagt Zehetbauer. Ihr gehe es nicht um Talent, sondern um die Freude am Singen. „Jeder soll sich wohlfühlen“, sagt sie.

Das erste Treffen findet am Samstag, 17. Juni, in der „Alten Druckerei“ in der Königstraße 7b statt. Von 15 bis 16.30 Uhr können Erkrankte und Betroffene zusammenkommen, singen und sich austauschen. „Niemand muss vorsingen, und niemand wird gefragt, warum er da ist“, sagt Almuth Aicher. Wer nur zuhören oder leise mitsummen will, sei genauso willkommen wie diejenigen, die laut singen wollen. „Es gibt keinen Leistungsdruck“, sagt sie.

Ein Ort, an dem man
sich verstanden fühlt

Wie wichtig es ist, ein solches Angebot zu schaffen, weiß auch Andreas Schüll, Leiter der Krebsberatungsstelle in Rosenheim. Er lobt, dass bei dem Chor „Menschen zusammengebracht werden“. Zudem bedeute die Teilnahme nicht automatisch, dass Betroffene über die Krankheit sprechen müssten. „Es wird ein Raum geschaffen, in dem man verstanden wird, ohne viele Worte zu benutzen“, sagt Schüll. Durch den Chor könne es außerdem gelingen, neue Kontakte zu knüpfen.

Die Flyer sind gedruckt, die Räume reserviert und ein E-Piano bestellt. Nur die Anmeldungen fehlen noch. Optimistisch, dass sich noch der ein oder andere Teilnehmer findet, ist Almuth Aicher trotzdem.

Auch weil sie weiß, wie wichtig es ist, einen Ort zu schaffen, an dem sich jeder verstanden und nicht alleine fühlt. Einen Ort, den auch sie nach der Krebsdiagnose in ihrer Familie gebraucht hätte.

Erstes Treffen des Chors

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