Rosenheim – Für die Polizei ist Hava Gül keine Unbekannte. Immer wieder ist die Rosenheimerin in schwere Verkehrsunfälle oder Gewalttaten verwickelt – mal als ehrliche Finderin, Ersthelferin oder sogar Lebensretterin. „Bei der Polizei lachen sie schon manchmal über mich“, erzählt Gül am Telefon. Immer wenn etwas in Rosenheim passiere, heiße es da nur: „Bitte nicht schon wieder die Hava!“
„Irgendwie ziehe ich so was an“, sagt die 46-jährige Busfahrerin. Seit acht Jahren fahre sie sowohl Linien- als auch Schulbusse im Rosenheimer Stadtverkehr. Zusätzlich sei sie Taxifahrerin. „Da erlebt man einiges, wenn man die Augen aufmacht.“
So wie vor wenigen Wochen, als sie auf der Linie nach Westerndorf am Wasen bei Pang unterwegs war. Am Busbahnhof sei ein älterer Herr eingestiegen, der gefragt habe, ob der Bus zu einem Gasthof in Westerndorf fahre. Das Problem: „Das hätte Westerndorf am Wasen oder Westerndorf St. Peter sein können, bei beiden gibt es einen Wirt.“
Mann bekommt
Geld wieder zurück
Der Mann sei zudem nicht von hier und verwirrt gewesen, erinnert sich Gül. Ihr sei auch gleich seine Umhängetasche aufgefallen, da diese „sehr alt, fast antik“ ausgesehen habe und nicht richtig verschlossen gewesen sei. Kurz nach der Haltestelle am Huberwirt habe ihr plötzlich ein anderer Fahrgast die Tasche in die Fahrerkabine gelegt. Von dem älteren Herrn habe jede Spur gefehlt. „Und in der Tasche waren viele 100- und 50-Euro-Scheine, Sparbücher und der Ausweis“, sagt Gül. Deshalb habe sie beim Huberwirt angerufen, ob der Mann dort aufgetaucht sei. „Die hatten allerdings Ruhetag.“
Erst ein von Gül benachrichtigter Bekannter habe den Mann schließlich in der Nähe des Gasthofs gefunden und ihn in den nächsten Bus in Richtung Innenstadt gesetzt. Sie sei ihre Runde fertig gefahren und habe die Tasche im Ticketcenter abgegeben. Dort habe sie auch den älteren Herrn wieder getroffen. „Er war immer noch sehr verwirrt und wusste nicht genau, wo er war oder hinwollte“, erzählt die Busfahrerin. Umso besser sei es gewesen, dass er zumindest sein Geld und seine Wertsachen wieder hatte.
Und das war nicht wenig: Laut Polizei soll er 1450 Euro in bar in der Tasche gehabt haben. „Der Mann aus München, Jahrgang 1942, war als Urlauber in Rosenheim und auf der Suche nach einem Hotel“, teilt Johanna Heil, Medienbeauftragte der Polizeiinspektion Rosenheim mit. Nach einer kurzen Überprüfung durch die Streife habe der Mann allerdings seine Reise alleine fortsetzen können.
Mit Warnblinker und Hupen in die Klinik
Für noch mehr Aufsehen sorgte ein Vorfall am Ludwigsplatz in einer Nacht im Mai 2022. Hava Gül ließ gerade Fahrgäste aus ihrem Taxi aussteigen, als sie beobachtete, wie ein Streit zwischen zwei Männern eskalierte und ein damals 35-Jähriger niedergestochen wurde. „Der hatte ein weißes T-Shirt an und innerhalb weniger Sekunden war alles voller Blut“, sagt Gül.
Sie habe nicht lange überlegt und den Mann in ihr Taxi gezogen und sei mit Warnblinker und Hupen zur Notaufnahme gerast. Von unterwegs aus habe sie die Polizei verständigt. „Wenn ich auf den Rettungsdienst gewartet hätte, wäre er wahrscheinlich gestorben“, sagt die Busfahrerin. Das sei auch in der späteren Gerichtsverhandlung vom Richter anerkannt worden.
Der Mann sei allerdings nicht der Erste gewesen, dem sie in der Not geholfen habe. Vor vier Jahren sei sie zufällig an einem schweren Unfall am Pullacher Kreisel bei Bad Aibling vorbeigekommen. Ein Auto war von der Straße abgekommen und hatte sich überschlagen. Zusammen mit der Feuerwehr befreite sie den Fahrer und sprach ihm Mut zu, bis der Notarzt eintraf.
„Für mich ist das selbstverständlich, wegschauen gibt es nicht“, sagt Gül. Egal, wie groß die Gefahr für sie selbst sei. „In solchen Momenten überlegt man nicht, da schaltet einfach das Gehirn ab.“ Und wirklich gefährlich sei es noch nicht geworden. „Viel wichtiger ist, dass da geholfen wird, wo es geht.“
Auch deshalb macht ihr der Beruf als Bus- und Taxifahrerin so viel Spaß. Man habe Kontakt zu Menschen, die ihre Geschichten erzählen, die sie vielleicht nicht jedem sagen. „Auch durchs Zuhören und Reden kann man helfen“, sagt Gül.
Große Hilfe für alle
Fahrgäste
Und das kommt bei ihren Fahrgästen gut an. „Wir haben die Frau Gül narrisch gern“, sagt ein Stammgast aus Pang, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Er fahre oft mit ihrem Bus in die Arbeit. Auch an dem Tag, als der Münchner seine Tasche vergaß, sei er dabei gewesen. „Sie hilft wirklich jedem, sei es älteren Leuten beim Ein- und Aussteigen oder Müttern mit Kinderwagen.“ Vor allem die Art und Weise, wie sie das mache, sei entscheidend. Deshalb habe der Urlauber „großes Glück“ gehabt, sein Geld ausgerechnet in Hava Güls Bus vergessen zu haben.