Ein Kirchenrebell zu Gast in Rosenheim

von Redaktion

Interview Jesuitenpater Jörg Alt will auf aktuelle Probleme aufmerksam machen

Rosenheim – Er geht containern und klebt sich an Straßen fest: Mit „Extinction Rebellion“, der „Letzten Generation“ und weiteren Aktivisten engagiert sich der Nürnberger Jesuitenpater Jörg Alt für den Klimaschutz. Wegen einer Sitzblockade kam es jetzt zu einem Gerichtsverfahren gegen ihn. Doch Angst vor dem Gefängnis hat der Jesuitenpater, der nun nach Rosenheim kommt, um auf die aktuellen Probleme aufmerksam zu machen, nicht. Vielmehr sieht Alt keine andere Alternative zu einem drastischen Protest.

Klimaaktivisten stehen in der Kritik, Gebäude und Sachen zu beschädigen oder durch das Festkleben Einsatzkräfte zu blockieren. Wie stehen Sie dazu?

Das sind Stereotypen, die verbreitet werden, ohne dass sie einer Überprüfung standhalten können. Jede Blockade, an der ich beteiligt war, hat für eine Rettungsgasse gesorgt. Und wir haben nach Stellen gesucht, an denen der Verkehr schnell ab- oder umgeleitet werden konnte. Mir ist nicht bekannt, dass wegen der „Letzten Generation“ bislang ein Mensch ums Leben gekommen wäre.

Ende Oktober haben Sie mit Klimaaktivisten eine Straße in München blockiert. Sie sind aus diesem Grund zu einer Geldstrafe in Höhe von zehn Tagessätzen à einem Euro verurteilt worden. Wie kam es denn zu dieser Summe?

Ich als Ordensmann bekomme kein Gehalt. Und wer kein Geld verdient, der kann auch nicht viel bezahlen. Für dieses Strafmaß wäre ich nicht ersatzweise für zehn Tage ins Gefängnis gegangen, denn das wäre eine Frechheit gegenüber dem Steuerzahler gewesen. Eher hätte ich mich in die Fußgängerzone gestellt und so lange gesungen, bis ich die zehn Euro zusammen bekommen hätte.

Sie sind heute in Rosenheim, was führt Sie hierher?

Ich werde immer wieder zu Vorträgen eingeladen. In Rosenheim werde ich über die Agrar- und Verkehrswende reden. Es freut mich sehr, dass sich vor allem Schulklassen angemeldet haben. Denn mit jungen Menschen diskutiere ich besonders gerne über diese Themen. Ich möchte klar machen, wie ernst die aktuelle Lage ist, vor der uns auch die Wissenschaft warnt. Denn wir sind kurz davor, dass die Klimakrise eskaliert und außer Kontrolle gerät.

Was muss jetzt aktiv als Erstes geschehen?

Wir müssen die Aufmerksamkeit auf Verbesserungsmöglichkeiten im Agrar- und Verkehrsbereich lenken. Denn wir haben keine Zeit mehr. Deshalb erscheinen diese Protestformen des zivilen Ungehorsams und Widerstands für uns angemessen. Mit diesen Protesten fordern wir auf, endlich auf die Wissenschaft zu hören. Wir müssen ihren Äußerungen einen höheren Stellenwert beimessen als den Wirtschaftslobbyisten. Die Lösungen sind da, aber wir hören einfach nicht auf die richtigen Leute.

Es hört sich so an, als würden Sie sagen, dass die Politiker ihre Augen vor dem Problem verschließen. Funktioniert das System in Deutschland für Sie noch?

Zwei Sachen prangere ich schon länger an. Zum einen haben in unserem Land die Lobbyisten zu viel Macht. Und von der Politik verlange ich, zuzugeben, dass wir ein Problem haben. Die Naturwissenschaft weist darauf hin, dass aufgrund der Naturgesetze in absehbarer Zeit einiges passieren wird. Und mit Naturgesetzen können wir nun mal nicht verhandeln. Anstatt dass ein Olaf Scholz oder ein Markus Söder der Bevölkerung reinen Wein einschenkt, sagen sie, wir hätten bis 2040 beziehungsweise 2045 noch Zeit nach Lösungen zu suchen. Das ist eine Illusion.

Sie sind nicht nur für Straßenblockaden bekannt, sondern auch für Containern. Wie kam es dazu, dass Sie bereits weggeworfene Lebensmittel einsammeln?

Ich bin bei dem Hungerstreik der „Letzten Generation“ vor der Bundestagswahl mit den Aktivisten in Verbindung gekommen. Die Aktion „Essen retten, Leben retten“ betraf ein Thema, das auch Papst Franziskus jahrelang den Menschen bewusst machen wollte: Der globale Norden lebt auf Kosten des globalen Südens. Erst produzieren wir Lebensmittel auf Kosten des globalen Südens, dann klopfen wir die einfach in den Müll. Das Containern ist eine Aktion, mit der ich als Priester den Missstand sichtbar machen kann. Wir wollen ein Lebensmittelgesetz haben, das die Verschwendung bei Anbau, Verarbeitung, Transport und Verbrauch regelt. Wir müssen weniger verbrauchen, um die Ressourcen zu schonen.

Zudem leben immer mehr Menschen in Armut…

Erst war Corona, jetzt steigen die Preise durch den Ukraine-Krieg – und in ganz Deutschland geht den Tafeln das Essen aus. Die Nachfrage nach billigem Essen steigt, während Supermärkte Lebensmittel in den Müll werfen. Wir könnten so viel in unserem Land machen, damit es ärmeren Haushalten besser geht. Deshalb soll das Lebensmittelgesetz nicht nur das Containern entkriminalisieren, sondern den Umgang mit Lebensmitteln vom Anbau bis zum Endverbraucher verbessern. Etwa, Supermärkte verpflichten, Lebensmittel nicht wegzuschmeißen, sondern an die Tafel zu spenden.

Interview: Jennifer Beuerlein

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