Rosenheim – Es ist ein Angriff, dessen Folgen schwerwiegend sind, der viele Fragen nach sich zieht: Eine DPD-Zustellerin (39) wurde in Rosenheim von einem Anwohner brutal niedergeschlagen. Und es ist nicht der einzige Fall von Gewalt und Aggression gegen Mitarbeiter von Paketdiensten.
Wenn Christine Buchner an die Finsterwalderstraße denkt, bekommt sie es auch heute noch mit der Angst zu tun. Zu schmerzhaft sind die Erinnerungen an den Vorfall Ende März. Die 39-jährige Zustellerin der Firma DPD wollte in der Straße ein Paket ausliefern, als sie von einem Anwohner „brutal niedergeschlagen“ wurde. Die Folgen: „Risswunde am rechten Ohr, Einblutung ins Trommelfell, mehrfache Schwellung im Gesicht und ein Tinitus“ – so heißt es in ihrem Attest.
Strafbefehl wegen
Körperverletzung
„Ein paar Tage habe ich auf dem Ohr nichts mehr gehört“, erzählt die Frau aus der Nähe von Traunstein am Telefon. Inzwischen sind die Verletzungen verheilt, aber ein „mulmiges Gefühl“ bleibt. Vor allem, weil sie den Angriff nicht verstehen könne und es keinen Grund dafür gegeben habe. „Ich weiß bis heute nicht, welche Laus dem Herrn an diesem Tag über die Leber gelaufen ist“, sagt Buchner.
Sie habe ihm in den Wochen zuvor oft Pakete gebracht. „Da gab es nie Probleme.“ Erst 14 Tage vor dem Angriff habe er sich merkwürdig verhalten. Buchner habe wie immer geklingelt, das Päckchen in den Hausflur gestellt und gewartet, bis der Bewohner des Mehrfamilienhauses die Tür öffnete. „Da hat er sich sofort beschwert, warum ich ihm das Paket nicht in die Hand drücke“, erinnert sich Buchner. Seit Corona sei das aber nicht mehr üblich. Die Zustellung sollte möglichst berührungslos erfolgen.
Beim Gehen sei er ihr dann hinterhergelaufen, habe sie beschimpft und gedroht, dass „beim nächsten Mal was passiert“.
Nachdem es eine Woche später erneut zu wüsten Beschimpfungen und einem Schubser gekommen sei, habe sich Buchner geweigert, weitere Pakete bei ihm abzuliefern. „Ich hatte Angst um mein Leben“, sagt die Zustellerin. Im Zweifelsfall hätte ein Kollege die Zustellung übernommen.
So sei sie am Tag des Überfalls ohne das Paket des Mannes losgefahren. Als sie nach der Zustellung im Nachbarhaus zu ihrem Auto zurückkehren wollte, sei der Mann ausgestiegen und auf sie zugerannt.
„Er hat noch geschrien: ‚Mädl, du hast dich mit dem Falschen angelegt‘“, erzählt Buchner. Dann habe er zugeschlagen. Dann habe er sich umgedreht und sei im Haus verschwunden. „Ich saß erst einmal am Boden und wusste nicht, was los war.“ Gemeinsam mit einem Kollegen sei sie zur Polizei gegangen und habe Anzeige erstattet.
Inzwischen liege der Fall bei der Staatsanwaltschaft, teilte Johanna Heil, Pressesprecherin der Polizeiinspektion Rosenheim, auf OVB-Anfrage mit. Diese hat mittlerweile einen Strafbefehl wegen vorsätzlicher Körperverletzung gegen den Mann beantragt. In wenigen Wochen soll der Vorfall vor dem Amtsgericht Rosenheim verhandelt werden, wie Stefan Tillmann, Pressesprecher des Amtsgerichts Rosenheim, bestätigt.
Ansonsten sind Übergriffe auf Paketboten in Rosenheim nach Angaben der Polizei bislang selten. Außer einem ähnlichen Vorfall in der Reifenstuelstraße im April sei nichts bekannt, berichtet Heil. Dort habe eine Anwohnerin einen 21-jährigen Paketboten verbal und körperlich angegriffen, weil er ihrer Meinung nach zu schnell gefahren sei, nachdem sie nicht sofort die Tür geöffnet habe.
Christine Buchner erkennt schon eine Tendenz zu häufigerem Stress an der Tür. „Es ist Wahnsinn, wie sich das entwickelt hat“, sagt sie. Früher seien sie und ihre Kollegen zwar ein- bis zweimal am Tag beschimpft worden, aber dass es zu Handgreiflichkeiten komme, sei neu. „Wir können nichts dafür, wenn ein Paket mal zu spät oder beschädigt ankommt.“ Das liege eher daran, dass die Bestellungen seit Corona „extrem zugenommen“ hätten. Manchmal bis zu 300 Pakete pro Tour. „Da fehlt ein bisschen das Verständnis, dass auch mal etwas schiefgehen kann.“ Dass es ein grundsätzliches Aggressionsproblem gegenüber Paketzustellern gibt, wollten eine Sprecherin von DPD und ein Sprecher von DHL auf Anfrage nicht bestätigen. Auch zur Häufigkeit von Übergriffen und deren Vermeidbarkeit äußerte sich das Unternehmen nicht. Man sei aber „immer sehr besorgt um die Sicherheit und Gesundheit der Kollegen“.
Gewaltopfer kündigt
nach Vorfall den Job
Für Christine Buchner ist das nicht genug. Sie kündigte wenige Wochen nach dem Überfall ihren Job als Paketzustellerin.
Ständig habe sie Schweißausbrüche bekommen, wenn sie in die Nähe der Finsterwalderstraße fahren musste. „Ich habe immer über die Schulter geschaut, ob er nicht irgendwo wartet.“ Das sei auf Dauer nicht gut gegangen. Inzwischen arbeitet sie wieder in der Gastronomie – „ohne die ständige Angst vor einem Überfall“.Julian Baumeister