Diese Frauen kämpften für ihre Bildung

von Redaktion

Sitte, Zucht und die Unterdrückung der Frau – das verbinden viele mit der Jugendzeit der Nachkriegsgeneration. Drei Rosenheimerinnen erzählen, wie sie entgegen der gesellschaftlichen Erwartungen einen höheren Bildungsweg einschlugen – und mit welchen Widerständen sie zu kämpfen hatten.

Rosenheim – Hildegard Chmela, Marianne Berthaler-Elis und Sissi Engelmann haben schon viel miteinander erlebt. Gutes, aber auch Schlechtes. Die drei Frauen besuchten von 1954 bis 1963 die Städtische Mädchen-Oberschule Rosenheim – das heutige Karolinen-Gymnasium. Nach dem Abschluss verloren sie sich allerdings aus den Augen. Für mehr als 60 Jahre. Bis sie sich auf einem Klassentreffen zum Jahrestag ihres Abiturs in Rosenheim nun wieder begegneten – um über eine Zeit zu sprechen, in der höhere Bildung für Frauen nicht selbstverständlich war.

Wer schwanger
wurde, flog

„Damals war es alles andere als üblich, das Abitur zu machen – schon gar nicht als Mädchen,“ sagt Marianne Berthaler-Elis. Doch als Tochter zweier Lehrer sei es für sie klar gewesen, dass sie später auch Lehrerin werden wolle. So beendeten sie und Hildegard Chmela die Schulzeit mit dem Abitur. Sissi Engelmann fügt hinzu, dass man das Abi damals für eine gute Karriere gar nicht unbedingt brauchte. Viele Schülerinnen – darunter sie selbst – hätten nach dem Ende der Schulpflicht das Gymnasium verlassen, um eine Ausbildung zu machen oder zu heiraten.

Die Städtische Mädchen-Oberschule war, wie der Name vermuten lässt, eine reine Mädchenschule. Erst seit 1987 wurden Jungen und Mädchen gemeinsam im Karolinen-Gymnasium unterrichtet. Umso spannender sei es daher für die Schülerinnen damals gewesen, dass sie zumindest im gleichen Gebäude unterrichtet wurden, wie die Buben aus dem humanistischen Gymnasium – dem heutigen Ignaz-Günther-Gymnasium. Es sei aber alles andere als leicht gewesen, mit ihnen in Kontakt zu kommen.

Sissi Engelmann erzählt, dass der Pausenhof der Mädchen und Jungen strikt getrennt gewesen sei. „Aber wenn man frech war, wie die Marianne, dann hat man sich heimlich in der gemeinsamen Turnhalle getroffen.“ Marianne Berthaler-Elis lacht und erinnert sich: „Damals war sogar das Händchenhalten verpönt, von Liebesbeziehungen mal ganz zu schweigen. Gott sei dank hat sich das geändert.“

Nur wenige wären so mutig gewesen wie Berthaler-Elis – normalerweise hätten die Mädchen nur über den Tanz- und Musikunterricht Kontakt zu den Buben gehabt, erzählt Engelmann. „Oder man ist heimlich zur Eisdiele gegangen.“

Die Neugier der Jugendlichen ist der ein oder anderen Schülerin aber zum Verhängnis geworden, wie die drei Damen erzählen – denn obwohl die Pille in Deutschland 1961 auf den Markt kam, war sie lange nur für verheiratete Paare zugelassen. Sexualkundeunterricht habe es gar nicht gegeben, Vieles hätten die Schülerinnen selbst herausgefunden, erzählt Berthaler-Elis. Und wer vor dem Abschluss schwanger wurde, sei von der Schule geworfen worden. In München sei deswegen auch eine Schule nur für schwangere Schülerinnen eröffnet worden, erinnert sich Engelmann.

Genauso streng geregelt wie das Liebesleben der Mädchen war auch die Kleidung. Hildegard Chmela holt mehrere alte Fotos hervor, auf welchem etwa 50 Mädchen versammelt sind. Ein Jahres-Klassenfoto. Egal ob als Kinder oder Jugendliche: Die Schülerinnen trugen alle lange Kleider und Röcke.

Tops und Jeans
waren unvorstellbar

Tops und Jeans als Kleidung in der Schule wären damals gesellschaftlich nicht gern gesehen worden, sagt Berthaler-Elis. „Ich habe mir mit 15 trotzdem eine Jeans geholt und kam mir damit sehr verwegen vor.“ Es sei damals kaum vorstellbar gewesen, dass „das mal alle tragen würden“.

Bei der Kleidung habe sich eine Rebellion für sie nicht wirklich gelohnt, berichtet Hildegard Chmela. Bei der Frage, wie ihr späteres Leben aussehen soll, hätten sich die drei Frauen allerdings wenig hineinreden lassen. „Es war befreiend, studieren zu können, was ich will“, sagt die Rosenheimerin. Dafür habe sich auch das Kämpfen und der Widerstand gegen die Gesellschaftserwartung gelohnt.

Allerdings hat es für ein Studium auch gute Noten gebraucht. Und hier seien die drei Freundinnen sehr unterschiedlich gewesen, wie sie erzählen. „Die Hildegard war eine Einserschülerin,“ sagt Marianne Berthaler-Elis. Sie selber sei das komplette Gegenteil gewesen – oft versetzungsgefährdet. „Die Sprachen waren einfach nicht meins, aber die Naturwissenschaften habe ich geliebt.“

Kritik an Schule
nicht gern gesehen

Das Deutschabitur sei ihr besonders im Gedächtnis geblieben. Die Aufgabe sei gewesen, einen Aufsatz über die eigene Meinung über Schulveranstaltungen zu schreiben. „Da sah ich die Gelegenheit, ehrlich Pro und Contra zu antworten,“ sagt sie. Allerdings hätten den Lehrern ihre Kritikpunkte – aufgrund der damaligen Meinungen in der Gesellschaft – nicht gefallen und sie musste in die mündliche Nachprüfung. „Es gibt nichts Negatives an Schulveranstaltungen, haben die gesagt,“ erinnert sie sich. Am Ende bestand sie die Prüfung aber doch.

„Wir sind in vielerlei Hinsicht priviligierte Frauen,“ betont Engelmann abschließend. Sie selbst habe sich in der Vergangenheit nicht wegen ihres Geschlechts benachteiligt gefühlt. „Aber Druck war schon da,“ wirft Berthaler-Elis ein.

Erst als sich der Zeitgeist wandelte, habe sie realisiert, wie einschränkend die gesellschaftlichen Regeln für Frauen für sie gewesen seien, sagt sie im Rückblick. „Wenn man drinsteckt, ist das so normal, wie wenn man einen Mantel anzieht, bevor man hinausgeht.“ Umso schöner sei es für die drei Frauen, dass es die nachkommenden Generationen nun einfacher hätten.

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