Rosenheim – Junge Menschen, die mit Beeinträchtigungen leben, stoßen oftmals auf Hindernisse. Und das bei ganz alltäglichen Dingen: Viele von ihnen haben Probleme beim Ausfüllen von Anträgen oder wissen nicht, welche Behörde für ihr Anliegen zuständig ist. Das soll nun der Vergangenheit angehören. Denn nun gibt es in der Stadt und dem Landkreis Rosenheim die Verfahrenslotsen. Sie beraten und begleiten junge Menschen bis 27 Jahre mit einer Beeinträchtigung und deren Familien. Für Marion Hornung und Janna Miller eine Herzensangelegenheit.
Suche nach Hilfe
manchmal eine Tortur
Die Sozialpädagogin Marion Hornung arbeitet mit ihrer Kollegin Ivana Kerepecka im Amt für Kinder, Jugendliche und Familien der Stadt Rosenheim. „Ich komme ursprünglich aus der Jugendhilfe und bin dann in die Eingliederungshilfe gewechselt“, erklärt sie. Dabei habe sie festgestellt, wie unterschiedlich beide Systeme seien. „Beide Systeme haben tolle Ressourcen und Ideen, aber es findet zu wenig gemeinsamer Austausch statt“, so die Sozialpädagogin. Der Beruf der Verfahrenslotsin vereine beides.
Zustimmung erhält sie von ihrer Kollegin Janna Miller, die integrative Heilpädagogik studierte und anschließend drei Jahre lang im Jugendamt und in der Behindertenhilfe arbeitete: „In die Arbeit als Verfahrenslotse können wir auf unsere vielen unterschiedlichen beruflichen Erfahrungen sehr gut zurückgreifen und diese anwenden“, erklärt sie. Und weiter: „Hier kommt jetzt alles Bisherige zusammen.“
Viele Familien, die ein Kind mit einer Beeinträchtigung haben, stehen vor vielen Herausforderungen. „Bisher liegt die Zuständigkeit bei Kindern und Jugendlichen mit einer seelischen Behinderung beim Jugendamt“, erklärt Hornung. Diejenigen, die eine körperliche Beeinträchtigung haben, müssten sich hingegen an den Bezirk Oberbayern im Rahmen der Eingliederungshilfe wenden. Für Eltern und junge Heranwachsenden eine regelrechte Tortur. Wegen verschiedener Anliegen müssen sie oftmals unterschiedliche Behörden aufsuchen und ihre Geschichte immer wieder erzählen.
Doch damit sei nun Schluss. Das Jugendamt soll ganz gleich, ob oder welche Beeinträchtigung bei Kindern und Jugendlichen vorliegt, zuständig sein. Dafür sollen die Leistungen der Eingliederungshilfe in die Zuständigkeit des Jugendamtes überführt werden. Für einen möglichst reibungslosen Übergang sollen die Verfahrenslotsen als Unterstützung dienen. Diese Zusammenführung sieht das Kinder- und Jugendstärkungsgesetz (KJSG) vor. Zum 1. Januar 2028 soll dies bundesweit gelten.
Das Jugendamt
wird inklusiv
„Damit soll das Jugendamt inklusiv werden“, sagt Hornung. Miller fügt hinzu: „Es wäre ein großer Schritt, wenn in Zukunft nicht mehr zwischen Kindern mit und ohne Behinderung unterschieden wird und damit eine Institution zuständig ist.“
Doch was sind genau die Aufgaben der Verfahrenslotsen? Die Beratung der jungen Menschen mit Beeinträchtigung beziehe sich auf alle Lebensbereiche wie Wohnen, Bildung, Arbeit und Freizeit, erklärt Miller. Ihre Arbeit könne mit der auf einem Schiff verglichen werden. „Wir als Lotsen gehen wegen eines Anliegens oder Problems an Bord und beraten und unterstützen den Kapitän“, sagt Miller.
So unterstützen die Verfahrenslotsen die jungen Menschen bei den richtigen Abläufen von Antragstellungen oder begleiten sie zu Terminen mit anderen Beratungsstellen und Einrichtungen. Laut Miller ist dabei aber vor allem eines entscheidend: „Die Familie oder der junge Mensch bleibt immer der Kapitän.“
Austausch soll
künftig besser werden
Wichtig für die Verfahrenslotsen: „Kinder, Jugendliche und Heranwachsende werden unterstützt, erst mal ihre Wünsche und Bedürfnisse zu formulieren.“ Denn nur so könnten sie geeignete Empfehlungen und Dienstleistungen geben. „Wir sind eine Art Interessenvertretung für Kinder, Jugendliche und junge Menschen mit Behinderung“, erklärt Miller.
Es ist daher für die Verfahrenslotsen von Vorteil, sich gut in Gesetzestexten auszukennen. „Wir helfen, sich in den Sozialgesetzbüchern zurechtzufinden und zu verstehen, wie Verfahren bei Leistungen der Eingliederungshilfe ablaufen“, sagt Miller.
Laut Hornung ist für eine reibungslose Arbeit auch die strukturelle Zusammenarbeit mit anderen öffentlichen Einrichtungen wichtig. „Wir besuchen derzeit viele Kooperationspartner der Eingliederungs- und Jugendhilfe“, sagt Hornung. Die beiden Systeme arbeiten oftmals mit denselben Familien, doch ein Austausch findet meistens nicht statt. Dies soll in Zukunft anders ablaufen.
Auch sollen die Mitarbeiter stetig geschult werden. „Es gibt immer noch zu wenig inklusive Unterstützungsmöglichkeiten“, sagt Hornung. So gibt es aktuell noch keinen Übersetzer für Gebärdensprache im Jugendamt. Deshalb gibt es Hornung zufolge noch viel zu tun.
Und trotzdem haben die Verfahrenslotsen im ersten Halbjahr 2023 in der Stadt bereits 32 Kinder aus 32 Familien unterstützen können. Größtenteils seien darunter 18- bis 21-Jährige gewesen, die von der Schule ins Berufsleben wechselten. Im Landkreis Rosenheim konnten die Lotsen 49 Kindern aus 44 Familien helfen. „Mal ist es mit einer kurzen Auskunft am Telefon getan und mal wird eine intensive Hilfe in Anspruch genommen“, sagt Hornung. Allerdings sei jede Hilfe und der Beruf an sich eine echte Herzensangelegenheit. Da sind sich beide Verfahrenslotsen einig.