Als neben dem Zelt der Misthaufen war

von Redaktion

Bier, Hendl und viel Gaudi: Das verbinden viele mit der Rosenheimer Wiesn. Immer mit dabei: Das Bierzelt der Brauerei Flötzinger Bräu. Brauereibesitzer Franz Steegmüller erzählt, wie die Wiesn in der Nachkriegszeit war und warum das Brathendlessen Aufmerksamkeit erregte.

Rosenheim – Das Rosenheimer Herbstfest entwickelte sich aus einer alle fünf Jahre stattfindenden Landwirtschaftsausstellung. 1861 wurde diese Ausstellung um Attraktionen wie ein Schützenfest und einen Gesangswettbewerb reicher und damit zu einem Volksfest im eigentlichen Sinne. In den folgenden Jahren wuchs das Fest weiter, was auch damit zusammenhing, dass sich Rosenheim als „Bierstadt“ präsentieren wollte. Veranstaltungsort war stets die Loretowiese, früher ein freies Stück Wiese vor den Toren Rosenheims, auf der auch ein Bierzelt stand.

Seit 1960 als
Brauereibesitzer verantwortlich

„Stellen Sie sich ein Vereinszelt mit etwa 800 bis 1000 Plätzen und mit runden Tischen ausgestattet vor“, erzählt der 86-jährige Bräu, Besitzer der Flötzinger Privatbrauerei Franz Steegmüller. Er ist eine Wiesn-Institution, die die Geschichte des Herbstfestes wesentlich mitgeprägt hat, viel erlebt hat und davon erzählen kann wie kaum ein anderer. „Wias nach’m Kriag wieda oganga is, hab‘ i mim Vater auf d’Wiesn geh derfa“, gibt er einen Einblick in seine Kindheitstage, als er zehn Jahre alt war.

„Mein Vater ist seit 1960 als Brauereibesitzer der Flötzinger Privatbrauerei auf der Wiesn verantwortlich“, ergänzt seine Tochter Marisa und freut sich mit ihm immer wieder auf die zünftige Zeltstimmung, im seit vielen Jahren größten Festzelt Europas in Holzbauweise, das heute inklusive Biergarten rund 8000 Plätze bietet. „Erstens war das Zelt seinerzeit viel kleiner, dann standen runde Tische drinnen, man kann es sich wie ein kleineres Vereinszelt vorstellen in dem dann etwa 800 bis 1000 Leute Platz gefunden haben“, sagte er und gibt damit einen kleinen Vergleich zu damals und heute. An der Zeltseite nähe Kaiserstraße befand sich die Brauerei eigene Landwirtschaft mit Kühen und Schweinen, im Bereich des heutigen Balkons der Misthaufen. Heute schwer vorstellbar. In seinem Bubenalter hätte es vorwiegend Schweinswürstl vom Rost gegeben.

„Eines Tages äußerte mein Vater den Wunsch, dass Gockerl gebraten werden sollten. Daraufhin wurde ein Berufsjäger beauftragt bei den Landwirten welche zu besorgen, der Hausmeister hat sie dann gerupft. Nachdem es im Zelt keinen Gockerlbrater gab, hat das Hausmadl zehn Gockerl gebraten, die wurden dann von meinem Vater und seinen Freunden im Zelt genüsslich verspeist. Da haben die vorbeikommenden Leute nicht schlecht gestaunt: „De essen was B´sonders, de ess´n an Gockerl.“ Brathendl wie sie heute gang und gäbe sind, konnte man damals nicht kaufen, niemand sprach von Hendl das waren halt Gockerl oder Giggerl.

Steegmüllers
Erinnerung an die Kindheit

Auf eine besondere Kindheitserinnerung angesprochen schwelgte er lachend in Erinnerung: „Es war immer schee wenn i mitgeh hab´derfa.“ Interessant wäre auch der damalige Bierpreis gewesen, daran kann er sich nicht mehr genau erinnern und sagt nur augenzwinkernd: „I hab ja oiwei a Freibier kriagt.“ Schließlich sitzt er als Bräu direkt vor der Bierquelle.

Er freut sich nach wie vor, wenn er neben den vielen Bekannten auch Zeitgenossen und Freunde aus der Jugendzeit im Festzelt antrifft, sitzt nicht mehr täglich abends bei dem großen Trubel und lautem Lärmpegel an seinem Stammplatz in der Brauereibox, sondern genießt den ruhigeren Mittagsbetrieb, ob mit seiner Familie, seinen Mitarbeitern oder Freunden und schätzt eine lockere Unterhaltung. Es ist eine Geschichte, die nur der Bräu schreibt, in der Herbstfest Historie wohl einmalig.

Trotz der
Schicksalsschläge
geht es weiter

Zur Geschichte gehört aber auch, dass Franz Steegmüller einen schweren Schicksalsschlag verkraften musste, nachdem vor einem Jahr seine geliebte Frau Martha verstorben ist und nicht nur an seiner Seite, sondern bei der ganzen Familie und auch am Stammplatz in der Brauereibox eine große Lücke hinterlässt. Diese Lücke zu schließen, versucht seine Familie gemeinsam und wenn dann auch die Enkelkinder ihrem Opa Gesellschaft leisten, dann fühlt er sich im Festzelt vorübergehend wie zuhause in seinem Wohnzimmer und das seit 77 Jahren.

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