„Nichts tun ist größter Fehler“

von Redaktion

Interview BRK-Ausbilderin Heike Widauer zum Welt-Erste-Hilfe-Tag

Rosenheim – Um die Bedeutsamkeit der Ersten Hilfe hervorzuheben, wird am Sonntag, 10. September, der Welttag der Ersten Hilfe gefeiert. Worauf es bei der Ersten Hilfe ankommt und wieso es der größte Fehler ist, nichts zu tun, erklärt Heike Widauer vom Bayerischen Roten Kreuz im OVB-Interview. Sie kümmert sich beim Kreisverband des BRK Rosenheim um die Erste-Hilfe-Ausbildung.

Wie fühlt es sich an,

Leben zu retten?

Leben zu retten, hört sich schon mal prima an. Oftmals ist das – Gott sei Dank – nicht notwendig. Es gilt als Ersthelfer, für den Betroffenen da zu sein und ihn in dieser schwierigen Situation zu begleiten. Wir setzen die Rettungskette in Gang, wenn die eigene Unterstützung nicht ausreichend ist.

Wir kümmern uns um die Betreuung, den Wärmeerhalt und sorgen dafür, dass die lebenserhaltenden Funktionen ‚funktionstüchtig‘ bleiben. Das ist das Wichtigste. Und wenn wir auch mit nur wenigen Maßnahmen dies erreicht haben und den Betroffenen an die entsprechend korrekte, weiterführende medizinische Hilfe übergeben konnten, dann ist das ein sehr beflügelndes und befriedigendes Gefühl.

Trotzdem schreckt es viele Menschen ab, Erste Hilfe zu leisten.

Gegen diese Angst kämpfe ich seit Jahren in den Schulungen an. Vielleicht ist es bei Erwachsenen eher den alten Geschichten geschuldet, was alles passieren könnte. Vielleicht ist es auch die Sorge vor einer Ansteckung, der Aufmerksamkeit der Umstehenden, die Angst der Verantwortungsübernahme oder aber auch die Angst im Dunklen, es könnte ja eine gestellte Situation sein.

Ängste, die Sie wahrscheinlich nicht kennen?

Meine persönliche Angst wäre viel größer, dass ich in eine Notfallsituation komme, in hilfesuchende Augen blicke und nichts zu tun vermag. Wir müssen weg von dem Was-ist-wenn: Einfach hinlangen und mit normalem Menschenverstand handeln. Wenn ein Betroffener blutet und ein Pflaster augenscheinlich nicht ausreichend ist, einfach einen Verband sauber drüberwickeln, egal in welchem Spiral- oder Kreuzgang.“

Also nimmt man lieber in Kauf, eine Rippe zu brechen, als gar nichts zu tun?

Der größte Fehler ist, nichts zu tun! Selbst würde man sich ja auch wünschen, dass jemand kommt und unterstützt, wenn es mir schlecht geht, oder? Sollte im Zuge der Herz-Lungen-Wiederbelebung tatsächlich eine Rippe brechen, ist das kein Problem. Wenn wir die Maßnahme einstellen, hätte der Betroffene überhaupt keine Chance.

Wie verhält man sich im Notfall richtig? Beispielsweise bei einer Reanimation?

Richtig ist, da zu sein, den Betroffenen anzusprechen und festzustellen ob er bei Bewusstsein ist und atmet. Wenn all dies nicht der Fall ist, wählen Sie sofort den Notruf 112 oder delegieren dies. Beginnen Sie mit der Druckmassage am nackten Oberkörper des Betroffenen. Gerne ist Ihnen bei Unsicherheit der Mitarbeiter der Notrufzentrale mit telefonischen Anweisungen zur Wiederbelebung behilflich. Auch durch die sogenannte Telefonreanimation haben wir schon gute Erfolge erzielen können. Der Mitarbeiter ist solange als ‚Souffleuse‘ am Telefon, bis der Rettungsdienst eintrifft.

Woher weiß ich, wann ich den Rettungsdienst rufen sollte?

Das ist nicht so einfach zu beantworten. Seit geraumer Zeit erlebe ich es, dass oftmals der Rettungsdienst alarmiert wird für Situationen, die gut mit dem Hausarzt, dem Bereitschaftsarzt oder zu den Öffnungszeiten von Facharztpraxen behandelt werden könnten.

Was also raten Sie?

In meinen Lehrgängen versuche ich es immer mit folgender Hilfestellung:

Wenn ich eine Krankheit akut erleide, mit der ich mich nicht für zwei bis drei Stunden Wartezeit in eine Arztpraxis setzen könnte oder wenn durch eine Verletzung der Betroffene im Pkw nicht adäquat gesichert werden kann, dann sollte ich bei Unsicherheit den Rettungsdienst alarmieren. Bei Bedrohung der lebenswichtigen Funktion natürlich, ohne zu zögern.

Stimmt es eigentlich, dass die meisten Unfälle im Haushalt passieren?

Ja. Als Ersthelfer bin ich am ehesten im heimischen, familiären Umfeld gefordert.

Ist man verpflichtet, zu helfen?

Ja, sonst spricht man von unterlassener Hilfeleistung. Mit dem Absetzen des Notrufs, habe ich ‚theoretisch‘ meine Pflicht als Bürger erfüllt. Ganz bewusst wurde dies so gemacht, denn der Notruf ist für alle möglich. Ein menschliche Verantwortung, aktiv Hilfe zu leisten, wenn es in meinen Möglichkeiten steht, empfinde ich dennoch für uns alle als gegeben!

Was halten Sie von einer Erste-Hilfe-Kurs-Pflicht?

Pflicht bedeutet immer Motivationsdefizit. Wichtiger wäre mir, die Notwendigkeit in den Köpfen der Bürger zu schüren, wie gut es sich anfühlt, gerüstet zu sein. Wir investieren beispielsweise sehr viel Zeit darin, um mit einem neuen Handy zurecht zu kommen oder ein neues Hobby zu erlernen. Warum investieren wir nicht auch mal einen Tag, um eigene Sicherheit in der Ersten Hilfe zu erlernen, Tipps für die eigene Gesundheit zu bekommen und für etwaige Zwischenfälle gut parat stehen zu können?

Gesundheitsminister Holetschek hat dazu aufgerufen, die Erste-Hilfe-Kenntnisse regelmäßig zu erneuern.

Das ist eine sehr gute Idee. Kürzlich ist Klaus Holetschek auch auf dem Rettungswagen in München/Aubing mitgefahren und hat somit nicht nur den Rettungsdienst, sondern auch die Situation der Ersthelfer vor Ort aktiv wahrnehmen können.

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