Rosenheim – Oberbürgermeister Andreas März (CSU) sieht erholt aus. Vor ihm auf dem Tisch steht ein Milchkaffee, direkt daneben liegt ein Zettel mit den wichtigsten Notizen für das Interview. Er hat sich eine Stunde Zeit genommen – 60 Minuten, in denen er Fragen rund ums Romed-Klinikum, die Situation im ÖPNV und die Bewirtschaftung der Loretowiese beantwortet.
Kann man als Oberbürgermeister eigentlich
Urlaub nehmen?
Körperlich Urlaub nehmen geht. Geistig geht das nur bedingt, weil man sich natürlich fast rund um die Uhr Gedanken macht, über die verschiedenen Themen in der Stadt. Aber ich hab zwei Wochen Urlaub gehabt, zehn Tage davon war ich mit meiner Familie in Kroatien. Auch während dieser Zeit war ich erreichbar. Ich hatte mein I-Pad dabei und habe E-Mails gelesen.
Ein Thema, das die Bürger in den vergangenen Wochen beschäftigt hat, ist sicherlich das 29 Millionen hohe Defizit im Romed-Klinikum. Was bedeutet das für eine Stadt wie Rosenheim?
Das bedeutet, dass wir 15 Millionen Euro im nächsten Haushalt einstellen müssen.
15 Millionen liegen nicht einfach so auf der Straße. Müssen die Bürger tiefer in die Tasche greifen?
Auf die Bürger kommen erst einmal keine höheren Kosten zu. Wir refinanzieren uns nicht durch Gebührenerhöhungen. Aber natürlich denken wir darüber nach, ob es an der ein oder anderen Stelle Anpassungen braucht. Nicht wegen des Defizits, sondern vielmehr wegen der allgemeinen Haushaltslage. Trotz allem werden wir uns im nächsten Haushalt ganz genau überlegen müssen, welche Investitionen geschoben werden müssen.
Zum Beispiel?
Laufende Bauprojekte gehen selbstverständlich weiter. Die sind durchfinanziert. Das Lehrschwimmbecken „Am Nörreut“ ist ein wichtiges Projekt, weil wir ohnehin zu wenig Wasserflächen haben. Insofern sehe ich das Lehrschwimmbecken nicht in Gefahr. Aber wir haben größere Straßenbauprojekte, die wir uns vorgenommen haben. Da wäre beispielsweise die Kanalbrücke in der Äußeren Münchener Straße oder der noch fehlende Bauabschnitt in der Mangfallstraße. Da müssen wir uns fragen, ob wir diese Vorhaben nächstes Jahr anpacken wollen – beziehungsweise können.
Wie sieht es mit den geplanten Kita- und Schulprojekten aus?
Das sind Dinge, die wir – wenn es irgendwie geht – nicht verschieben werden. Für mich ist es tabu, in diesem Bereich Streichungen vorzunehmen.
Der Landkreis hat deutlich mehr Einwohner, trotzdem muss die Stadt die Hälfte des Romed-Defizits schultern. Klingt erst einmal unfair.
Bei der Fusion hat man damals ausgemacht, dass die Betriebsgesellschaft zur Hälfte dem Landkreis gehört und zur Hälfte der Stadt. Demzufolge werden auch die Defizite aufgeteilt. Natürlich könnte man andere Regeln finden, aber das steht aktuell nicht zur Debatte.
Steht zu befürchten, dass es auch in den kommenden Jahren ein Defizit in den Romed-Kliniken geben wird?
Das steht dann zu befürchten, wenn die Krankenhaus-Reform nicht wie angekündigt am 1. Januar in Kraft tritt und es keine Übergangsfinanzierungen gibt. Die braucht es aus meiner Sicht zwingend, sonst werden wir auch im nächsten Jahr ein Defizit haben.
Über welche Bereiche kommt Geld rein?
Die Hälfte des Haushalts mit rund 120 Millionen Euro sind Steuereinnahmen. Die andere Hälfte sind Erstattungen. Also Geld, das wir beispielsweise für Kinderbetreuung ausgeben und zum großen Teil refinanziert bekommen. Wir nehmen rund 45 Millionen Gewerbesteuer ein, ähnlich hoch ist die Einkommenssteuerumlage. 20 Millionen betragen die Schlüsselzuweisungen aus dem allgemeinen Steuerverbund. Hinzu kommt auch die Grunderwerbssteuer. Das alles macht dann ungefähr 120 Millionen Euro aus.
45 Millionen Euro Gewerbesteuer hört sich für eine Stadt wie Rosenheim sehr viel an.
Deshalb ist es auch unser erklärtes Ziel, noch mehr Gewerbe nach Rosenheim zu holen. Wir brauchen die Steuereinnahmen, um alles andere zu finanzieren. Zudem wollen wir als Oberzentrum auch als Wirtschaftsstandort attraktiv bleiben und attraktive Arbeitsplätze haben. Wir wollen nicht, dass die Menschen bei uns wohnen und zum Arbeiten woanders hingehen.
Also hin zum Wirtschafts- und weg vom Einzelhandelsstandort.
In früheren Zeiten galt Rosenheim möglicherweise als Einzelhandelsstandort. Aber ich glaube, dass wir uns davon schon seit längerer Zeit entfernt haben. Die Menschen gehen nicht mehr nur zum Einkaufen in die Stadt. Sie möchten etwas Erleben. Sie besuchen die Gastronomie, arbeiten oder erledigen Behördengänge. Diese verschiedenen Angebote machen unsere Stadt attraktiv und lebenswert.
Wie läuft die Integration der geflüchteten Menschen aus der Ukraine?
Schleppend. Es ist nach wie vor nicht ausreichend gelungen, die Menschen, die 2015 gekommen sind, vollständig zu integrieren. Wir haben viele Menschen, die damals kamen und heute noch in den Unterkünften sitzen. Mit dem Ukraine-Krieg haben wir einen erneuten Zuwachs bekommen, der die Integrationskraft unserer Stadt überfordert.
Hört sich erst einmal düster an. Also kann die Stadt die Situation im Moment gar nicht mehr selbstständig stemmen?
Selbstständig stemmen könnten wir es nur, wenn es eine Pause gäbe. Dann hätten wir eine Chance, uns um die Menschen zu kümmern, die bei uns sind. Das ist aber nicht der Fall. Wir müssen auch weiterhin für die Versorgung und Unterbringung sorgen. Das gelingt. Die Menschen leben nicht auf der Straße. Was nicht gut gelingt, ist diese Menschen in den Arbeitsmarkt zu integrieren.
Also bleibt die Luitpoldhalle vorerst eine Flüchtlingsunterkunft?
Vorerst ja. Aber wir planen eine Erstunterkunft für die Flüchtlinge am Bahngelände Süd, um die Luitpoldhalle freizubekommen. Wir gehen davon aus, dass wir in einem Jahr so weit sind. Anschließend werde ich mich dafür einsetzen, dass keine Turnhallen mehr belegt werden. Aber ich kann es nicht garantieren. Geplant ist zudem, dass wir nach den Allerheiligen-Ferien ein Drittel der Luitpoldhalle für den Vereins- und Schulsport freigeben.
Wie sehr leidet die Stadt Rosenheim unter dem Fachkräftemangel?
Wir spüren das in manchen Ämtern dramatisch. Im Tiefbauamt sind von sieben Stellen vier nicht besetzt. Es ist schwierig qualifiziertes Personal zu finden. Das Grundproblem sehe ich darin, dass wir als städtische Verwaltung immer mehr Aufgaben übernehmen sollen und müssen. Nicht nur von der Anzahl, sondern auch von der Komplexität her. Und wir merken, dass die Ansprüche der Menschen an ihre eigene Stadt und Verwaltung jedenfalls nicht weniger werden. Dafür fehlen uns die Hände, die Herzen und die Köpfe.
Wir versuchen, in manchen Bereichen mit der Arbeitsmarkt- und Fachkräftezulage entgegenzuwirken. Aber: Der Fachkräftemangel macht uns zu schaffen.
Das merkt man auch im Busverkehr.
Es ist zu befürchten, dass sich auch diese Situation vorerst nicht verbessert. Aber es gibt Ideen. Wir müssen uns kurzfristig darauf konzentrieren, Linien, die schwach ausgelastet sind, zu hinterfragen. Ist es an diesen Stellen wirklich notwendig, dass dort alle 30 Minuten der Bus fährt? Oder reicht es vielleicht auch alle zwei Stunden?
Dann müssen wir schauen, wo es parallele Kurse in Verbindung mit Landkreis-Linien gibt und welche dieser Kurse nicht zwingend bedient werden muss. Oberste Priorität hat für mich die Schülerbeförderung. Die muss funktionieren.
Und wie löst man das Busfahrer-Problem?
Die Agentur für Arbeit veranstaltet gemeinsam mit unseren Verkehrsunternehmen Anfang Oktober eine Infoveranstaltung. Die Agentur für Arbeit bietet arbeitslosen Menschen an, die Kosten für den Busführerschein zu übernehmen. Zudem übernimmt sie die Kosten von Weiterbildungen und – wenn benötigt – Sprachkurse. Das alles hat keine kurzfristige Wirkung, aber in den nächsten Monaten gehe ich davon aus, das sich die Lage dadurch entspannt.
Die Bewirtschaftung der Loretowiese steht an. Keine angenehme Entscheidung, oder?
Das stimmt. Aber ich drücke mich nicht davor, unangenehme Entscheidungen zu treffen. Dafür wurde ich nicht gewählt. Die Loretowiese ist die größte Fläche mitten in der Stadt, auf der kostenlos geparkt wird. Ich sehe keinen Grund, warum das so bleiben muss. Vor allem mit Blick auf den Haushalt und die deutlich gestiegenen Investitions- und Unterhaltskosten.
Ich bin davon überzeugt, dass wir die richtige Entscheidung getroffen haben. Jede städtische Leistung, für die wir kein Geld verlangen, bedeutet im Umkehrschluss, dass die Rosenheimer Allgemeinheit für eine Leistung bezahlt, die andere nutzen. Und da fehlen mir die Argumente, warum ich das gut finden sollte.
Einzelhändler sorgen sich, dass mit dem Wegfall der Loretowiese auch ihr Geschäft wegbricht.
Ich glaube daran nicht. Die Bewirtschaftung wird keine nennenswerten Auswirkungen auf den Einzelhandel haben. Davon bin ich überzeugt. Die Auswirkungen durch Online-Handel, Inflation, hohe Energiepreise und den Fachkräftemangel sind weit höher als die Parkgebühren auf der Loretowiese. Hinzu kommt: Die Passantenfrequenz ist höher als vor Corona. Und wenn sich das in den Umsätzen des Einzelhandels nicht widerspiegelt, liegt es ganz sicher nicht an den Parkgebühren auf der Loretowiese.
Blicken wir noch kurz auf die vergangenen drei Jahre zurück. Auf was sind Sie besonders stolz?
Die Stadt Rosenheim hat durch die Corona-Pandemie keinen nachhaltigen Schaden erlitten. Das ist der Verdienst von allen Stadträten und den Mitarbeitern in der Verwaltung. Höhepunkt war zudem die Sicherung des Galeria-Standorts. Wir haben ein Schulentwicklungskonzept auf den Weg gebracht sowie den Ausbau unserer Kitas. Die GRWS hat 300 Wohnungen fertiggestellt, 200 weitere befinden sich momentan im Bau.
Und Ihre Ziele für die kommenden drei Jahre?
Es muss gelingen, die Kita- und Grundschulplätze, die wir brauchen, zu schaffen. Zudem müssen wir das Klinikum finanziell stabilisieren, damit die Gesundheitsversorgung funktioniert. Wir müssen schauen, dass die Strom- und Wärmeversorgung noch nachhaltiger gestaltet wird und stabil bleibt. Auch die Umsetzung unseres Klimawandelanpassungskonzepts hat oberste Priorität.
Dann bleibt nur eine Frage: Treten Sie in drei Jahren noch mal an?
Natürlich (lacht).
Interview: Anna Heise