Rosenheim – Das Konzept „True Crime“ fasziniert die Menschen. Neben Fernsehsendungen erfreuen sich vor allem Podcasts großer Beliebtheit – einer davon ist der Podcast „True Crime – Der perfekte Mord“ von Jacqueline Belle und Strafverteidiger Dr. Alexander Stevens. Jetzt kommen die beiden nach Rosenheim.
Gibt es den perfekten Mord?
Alfred Hitchcock sagte einmal: „Natürlich hat es schon perfekte Morde gegeben, sonst wüsste man ja etwas von ihnen.“ Dieses Zitat wird einem immer dann wieder in Erinnerung gerufen, wenn Fälle bekannt werden, in denen ein scheinbar perfekter Mord am Ende doch noch aufgeklärt werden konnte. Sei es, weil der Täter sein geheimes Wissen doch nicht für sich behalten konnte, sei es, weil er schlicht und ergreifend durch einen dummen Zufall überführt wurde.
Also wird am Ende jeder Mörder seiner gerechten Strafe zugeführt?
Daran habe ich meine Zweifel. Vielmehr bin ich der Ansicht, dass gerade diese Fälle uns erst eine dunkle Ahnung vermitteln können, wie die Wirklichkeit in Wahrheit aussieht.
Glauben Sie daran, dass viele verurteilte Mörder unschuldig sind?
Fragt man die verurteilten Mörder selbst, sind vermutlich alle unschuldig, denn Mord steht sittlich auf tiefster Stufe. Da gibt keiner gerne zu, etwas mit einem Mord zu tun zu haben. Deshalb gibt es übrigens bei Tötungsdelikten auch in den seltensten Fällen vollumfängliche Geständnisse. Ralf Eschelbach, Strafrichter am Bundesgerichtshof, geht davon aus, dass jedes vierte Strafurteil ein Fehlurteil sei.
Ist eine Besserung in Sicht?
Kaum. Denn in Deutschland gibt es keine Beweisregeln bei der Findung der Wahrheit. Vor Gericht gibt es immer nur eine juristische Wahrheit.
Haben Sie ein Beispiel?
Der Zeuge wird gefragt, ob er am 19. März in München war. „Nein“, sagt er, „am 18.“ Er wollte lügen. Nach seiner Erinnerung war es nämlich der 19. Tatsächlich ist er jedoch einen Tag zuvor, am 18., in München gewesen. Worauf soll es für die Wahrheit einer Aussage ankommen – auf ihre Übereinstimmung mit der (objektiven) Wirklichkeit oder der (subjektiven) Vorstellung? Und wenn das Gericht nun nachfragt „Sind Sie sicher, dass es der 18. war?“ und der Zeuge antwortet: „Ganz sicher“, obwohl er es nicht ist, hat er gelogen – selbst wenn es in Wirklichkeit tatsächlich der 18. war.
Was würden Sie einem unschuldig Verurteilten raten?
Kämpfen! Denn wer kämpft, kann zwar verlieren, wer aber nicht kämpft, hat schon verloren.
Sie selbst verteidigen immer wieder Menschen, die wegen Mordes angeklagt sind. Nehmen wir als Beispiel den Dreifachmord in Starnberg. Was geht da in Ihnen vor?
Solche Verfahren ziehen sich ja über einen sehr langen Zeitraum, der Dreifachmord von Starnberg zum Beispiel ist bis heute noch nicht abgeschlossen und verteidigen tue ich hier seit Februar 2020. Da ist es schwer, auf ein Gefühl abzustellen. Was sich aber durchgehend bei mir gehalten hat, zumindest diesen konkreten Fall betreffend, ist, dass ich meinen Mandanten nach wie vor für unschuldig halte und deshalb auch so erbittert für ihn kämpfe.
Manche Menschen können nicht nachvollziehen, warum Sie Menschen, die beispielsweise wegen Mordes angeklagt sind, verteidigen. Was würden Sie diesen Menschen sagen?
Da gibt es vermutlich einige, aber ich verteidige ja nicht Taten, sondern Menschen.
Was fasziniert Sie an dem Beruf Strafverteidiger?
Die größte Faszination ist sicherlich der tägliche Blick in die Abgründe menschlichen Verhaltens, oft auch in unbekannte Parallelwelten und nicht selten in Sachverhalte, von denen man sich häufig denkt: Das hätte sich kein Drehbuchautor ausdenken können.
Haben Sie aufgrund Ihres Berufs auch schon einmal negative Erfahrungen gemacht?
Natürlich macht man gerade in einem solchen Bereich häufig auch unschöne Erfahrungen. Sei es, weil man sehenden Auges die Verurteilung eines möglicherweise Unschuldigen sieht oder umgekehrt. Aber auch, weil manche Sachverhalte einen privat sehr belasten können. Zum Beispiel wenn es um besonders grausame Verbrechen geht oder Kinder beteiligt sind.
Sie sind nicht nur Strafverteidiger, sondern auch Autor und Podcaster. Warum ist True Crime so erfolgreich?
True Crime hat die Menschen schon immer fasziniert: Der Blick in die dunklen Seelen der Menschen, wie es zu solchen Taten kommt, ob und wie sie aufgeklärt werden. True Crime ist darüber hinaus auch gesellschaftsfähig geworden. Es ist heutzutage völlig okay, darüber zu sprechen und es auch interessant zu finden. Gleichzeitig sind es aber überwiegend nur Mord und ähnlich schwere Kapitaldelikte, die die Menschen so besonders faszinieren. Über eine Unfallflucht oder eine unterlassene Hilfeleistung habe ich noch keine True-Crime-Doku gesehen. Daher dürfte das Interesse auch sicher daran liegen, dass man sich beim Konsum von Mord und Totschlag persönlich abgrenzt und besser fühlt, weil man selbst nicht betroffen ist. Getreu dem Motto: Anderen geht’s viel schlimmer als mir.
Hören Sie selber auch True-Crime-Podcasts?
Offen gestanden nein. Ich habe ja beruflich tagtäglich mit True Crime zu tun und ehrlicherweise geben mir andere True-Crime-Formate auch nicht den Einblick in den Fall, den ich als Strafverteidiger gewohnt bin. Die True-Crime-Kollegen sind ja meist nicht vom Fach, haben keine Aktenkenntnis und hatten auch nicht den unmittelbaren Kontakt zu den Protagonisten. Genau das unterscheidet ja auch unseren True-Crime-Podcast: Ich spreche ausschließlich über meine eigenen Fälle, war selbst beteiligt und kenne den Sachverhalt bis ins kleinste Detail.
Interview: Anna Heise