Besser als sein Ruf?

von Redaktion

Der Salingarten gilt als sozialer Brennpunkt – Eine aktuelle Bestandsaufnahme

Rosenheim – „Ich mache da lieber einen kleinen Umweg“, erklärt eine Frau mit Kinderwagen. Eine ältere Dame beschwert sich über das „ständige Zumüllen der Parkbänke“. Und ein junger Mann, auf dessen Kopf eine Baseball-Cap sitzt, sagt: „Irgendwo müssen die ja hin!“

„Die“, das sind etwa 40, 50 überwiegend Männer, die im Salingarten eine ganze Reihe von Bänken in Beschlag nehmen. Sie reden viel, sind manchmal – überwiegend untereinander – aggressiv und wirken zugedröhnt. Die kleine Szene gilt als sozialer Brennpunkt. Passanten haben ein ungutes Gefühl, trauen sich vor allem in der Dunkelheit nicht recht in die Grünanlage.

Angst ist ein
subjektives Gefühl

„Das ist ein subjektives Gefühl. Die tun ja keinem etwas. Die meisten Auseinandersetzungen haben die ja untereinander“, erklärt Christian Baab, stellvertretender Sprecher der Stadt Rosenheim. Wolfgang Klupp, Sachgebietsleiter Sozial-, Wohnungs- und Versicherungsamt, weiß, dass es „kein Gefahrenpotenzial im Salingarten gibt. Dort ist kein Drogenumschlagplatz und niemand ist gefährdet.“ Und Klaus Grandl, Leiter des Sozial-, Wohnungs- und Versicherungsamtes, erklärt: „Sie sitzen im Sommer im Schatten, die Bänke am Rand sind gut besucht. Manche machen einen kleinen Umweg durch die Parkmitte, um der Szene aus dem Weg zu gehen.“

Die „Park-Menschen“ sind so etwas wie eine eingeschworene Gemeinschaft. „Wir sind eine Familie. Wir schützen uns gegenseitig“, sagt John. Der junge Mann ist jeden Tag im Park. Die meisten in seiner „Familie“ sind auf Drogenentzug und spritzen Methadon. „Die machen Substitution“, erklärt ein Rosenheimer, der seinen Namen nicht nennen will. Er selbst habe als Dachdecker gearbeitet, später dann als Lagerist. Schließlich sei er in den „Knast gekommen, weil er Drogen vertickt“ habe. Seit anderthalb Jahren kommt er in den Salingarten. „Eigentlich hat hier keiner richtige Arbeit“, meint er.

Seit dem Sommer 2018 führt die Polizei verstärkt Kontrollen durch, nachdem es damals vermehrt Beschwerden der Rosenheimer gegeben habe. 2018 vermerkt die Polizeistatistik 41 Vorgänge zu Ordnungswidrigkeiten, Straftaten und einfachen Meldungen. 2021 waren es 69, 2022 bereits 108. Aktuell weisen die Polizeibücher bis September 2023 59 Fälle auf. „Insgesamt ist zu erkennen, dass überwiegend Verstöße gegen die Grünanlagensatzung und Zuwiderhandlungen nach dem Betretungsverbot erfasst sind“, erklärt Polizeisprecherin Johanna Heil.

Zu den erfassten Delikten im Salingarten gehören Fälle wie diese: Bei einer Kontrolle stellen Polizisten acht hochwertige, originalverpackte Parfums im Gepäck eines 31-jährigen Rosenheimers sicher. Der Mann hatte die Ware im Gesamtwert von 1000 Euro kurz zuvor in einem Kaufhaus in der Münchner Straße gestohlen. Eine 33-jährige Rosenheimerin wird im Salingarten von der Polizei überprüft. Dabei stellt sich heraus, dass gegen die Frau ein verwaltungsrechtliches Betretungsverbot des Parks besteht. Ihr 40-jähriger Begleiter hat geringe Mengen von Marihuana dabei. Gegen ihn wird ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.

Zur Mittagszeit tritt ein Mann im Salingarten einer 47-Jährigen gegenüber und will ihre Handtasche entreißen. „Die Frau wehrte sich nach Leibeskräften und hielt ihre Tasche fest, wodurch diese kaputtging“, vermerkt der Polizeibericht. Der Mann erbeutet EC-Karte und Mobiltelefon und flüchtet.

Passanten melden der Polizei, dass sich im Salingarten mehrere Personen schlagen. Vor Ort treffen die Einsatzkräfte nur noch einen 35-jährigen Schechener mit einer kleinen Kopfwunde an. Dieser behauptete, er sei „nur gestolpert und gestürzt“. Die Polizei nimmt Ermittlungen wegen Körperverletzung auf.

„Die Polizei ist gut zu uns“, sagt John aus dem Salingarten. „Sie lässt uns hier sitzen. Und nachts lassen sie uns die Laternen an.“ Johns Freund Sultan erzählt, er wäre nach einer zweijährigen Methadon-Behandlung runter vom Stoff. Auch sei er bei Kriegsanbruch aus dem ukrainischen Odessa mit Mutter, Ehefrau und Töchtern geflohen. Er spricht kein Deutsch, kaum Englisch und reckt zum Abschied den Daumen.

„Im öffentlichen Raum muss sich jeder aufhalten können, wo er will“, sagt der stellvertretende Stadt-Sprecher Baab. „In Rosenheim ist das aber kein Problem. Wo kämen wir denn da hin, wenn jeder weg muss, dessen Nase nicht passt? Vielleicht sind wir auch verwöhnt in Rosenheim. Das kennt man hier nicht.“

Das Thema wird wohl in Zukunft nicht kleiner. Die Zahlen des Sozial-, Wohnungs- und Versicherungsamtes deuten darauf hin, dass der Anteil der sozial schwachen Rosenheimer tendenziell steigt. Die Arbeitslosenquote erhöhte sich von 3,7 im Dezember 2021 auf 4,5 im September 2023. Im gleichen Zeitraum wuchs die Zahl der Arbeitslosen im Stadtgebiet von 1366 auf 1664 und der Langzeitarbeitslosen von 438 auf 471. Auch der Anteil von Leistungsempfängern (etwa Grundsicherung und Wohngeld) nimmt zu – und zwar von einem Anteil von 7,9 Prozent an der Rosenheimer Bevölkerung im Dezember 2021 auf einen Anteil von 8,96 Prozent im März 2023. Das sind auch bedingt durch die Wohngeldreform, die seit März 2023 gilt, rund 700 Empfänger mehr als noch vor anderthalb Jahren. Heißt: Der Druck auf den Sozialstaat wächst.

Wachsender Druck
auf den Sozialstaat

Neulich war Martina Wildenburg, die stellvertretende Leiterin des Ordnungsamtes, mit ihrem Sohn in Berlin. „Mein Sohn hat mich ständig gefragt, warum ich immer so schaue“, erklärt Wildenburg bei einem Pressegespräch.

Die Amtsleiterin schaute sich so aufmerksam um, weil sie die doch sehr große Zahl von Obdachlosen überraschte. „In Rosenheim würde das sofort auffallen.“

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