Rosenheim – Das Erste, was ins Auge sticht: „Preis 1 Milliarde Mark“, heißt es auf der Ausgabe des Rosenheimer Anzeigers vom 31. Oktober 1923. „Preis 1 1/2 Milliarden Mark“ dann auf der vom 1. November.
Wir sind mitten in der Hochzeit der sogenannten „Deutschen Inflation“ von 1914 bis 1923. Wohlgemerkt war dies noch keine Folge der Weltwirtschaftskrise, welche erst Ende der 1920er-Jahre kommen sollte. Vielmehr hatte sie ihren Ursprung in der Finanzierung des Ersten Weltkriegs, welche bereits zu einer Entwertung der Mark geführt hatte.
Reparationszahlungen
verschärfen Situation
Verkürzt gesagt wurde diese dann durch die Reparationszahlungen verschärft, zu denen das Deutsche Reich nach dem Weltkrieg verpflichtet wurde und vor allem eine gesteigerte Ausweitung der Geldmenge zur Begleichung der Schulden. Ende des Monats November 1923 wird sich die Redaktion des „Anzeigers“ sogar gezwungen sehen, in einer großflächigen Anzeige die Erhöhung des Preises für Postabonnenten zu rechtfertigen.
Dass es auch politisch gerade unruhige Zeiten sind, wird aus den Schlagzeilen auf beiden Titelblättern rasch deutlich. „Das Ende der ‚Großen Koalition‘ bevorstehend“ und „Die Säuberung in Sachsen“ sind zwei davon in der Ausgabe vom 31. Oktober. Dabei geht es um die „Reichexekution“ gegen Sachsen, der sehr bald auch eine gegen Thüringen folgen sollte, um die dort entstandenen linken Koalitionsregierungen aus Sozialdemokraten und Kommunisten abzusetzen. Es ist auch von Befürchtungen eines Vorgehens gegen Bayern die Rede. Dazu sollte es allerdings nicht kommen. Stattdessen kam es am 6. November zum „Hitlerputsch“, bei dem die Nationalsozialisten versuchten, die Macht in Bayern zu erlangen. Auch am 1. November sind dann noch die Geschehnisse in der Hauptstadt beziehungsweise die Verhandlungen in der Regierung und dem Parlament Titelthema.
Der aktuellen Lage geschuldet umfassen die Ausgaben des „Anzeigers“ zu diesem Zeitpunkt nur vier Seiten. Auf der folgenden Seite finden sich dann zunächst Nachrichten aus München und Bayern. Unter anderem ist am 31. Oktober die Rede von einem „Zopfabschneider“ in der Landeshauptstadt. „Montagnachmittag machte sich in der Lothringer Straße in Haidhausen ein Mann an ein 12 Jahre altes Mädchen heran, das zur Schule ging und schnitt ihm beide Zöpfe ab.“ Daraufhin sei eine Frau eingeschritten, den Täter in die Flucht geschlagen und ihm die Zöpfe entrissen.
Vor allem aber beschäftigt an beiden Tagen ein Raubmord an der Landsberger Straße München. Die Gastwirtin Marie Süßmeier war das Opfer. Als Täter gilt der 20-jährige Enkel der Frau, Alfred Mönchsgesang. Er wird im Dezember jenes Jahres in Berlin verhaftet werden, wie man späteren Ausgaben des „Anzeigers“ entnehmen kann. Auch die Region wird zu diesem Zeitpunkt von einem Mord erschüttert: „Die Bauerswitwe Anna Schwangler, in Pirach, Amtsgericht Laufen, die beschuldigt ist, dass sie ihren Ehemann durch ihren Liebhaber ermorden und in den [Waginger] See werfen ließ, und die nach Traunstein ins Untersuchungsgefängnis eingeliefert wurde, ist auf Antrag ihres Verteidigers zur Beobachtung ihres Geisteszustands in die psychiatrische Klinik nach München geschafft worden.“, heißt es am 2. November.
Ende des Monats dann berichtet die Zeitung, dass sie wieder zurück ins Gefängnis überliefert wurde. „Die Hauptverhandlung gegen das Schandweib wird in kürzester Zeit stattfinden.“ Sie und ihr Geliebter Alois Kugler wurden schließlich zum Tode verurteilt, später jedoch zu lebenslanger Haft begnadigt, wie man späteren Ausgaben des „Anzeigers“ entnehmen kann.
Aber was war am eigentlichen Feiertag Allerheiligen los?
„Der letzte Oktobertag sah noch einen tiefblauen Himmel und spätsommerlich warme Temperatur, so dass man sich der stillen Hoffnung hingeben konnte, der rauhe Winter würde uns dieses Jahr überhaupt mit seinem Besuch schonen“, schreibt der Anzeiger am Tag darauf. Doch das Wetter habe umgeschlagen. „Und so lag am Allerheiligentage, dessen Nachmittag dem Gedächtnis unserer lieben Toten gewidmet ist, ein graues Nebelleichentuch über Stadt und Land, Tal und Höhen. Das war so die richtige Folie für diesen Tag der Einkehr und Wehmut.“ Der Friedhof beim Kapuzinerkloster habe an diesem Tag viele Besucher gesehen.
Eine eindrucksvolle
Totenfeier
„Die Totenfeier auf dem Friedhof nach dem Nachmittagsgottesdienst war wieder sehr eindrucksvoll. Sie wurde durch eine Trauerserenade der Stadtkapelle eingeleitet. Daran reihte sich der Rundgang der Schulkinder und der Geistlichkeit. Allgemeines Gebet vor dem großen Friedhofskreuz beschloss den tiefergreifenden Akt“, fährt der Artikel fort, „Und am Abend leuchteten tausend Lichtlein über den Gräbern und gaben Kunde von der Wahrheit des Wortes, dass es eine Liebe gibt, die in Wahrheit nimmer höret auf …“