Rosenheim – Lilo Lüling weiß, dass sich etwas verändern muss. Seit April 2020 leitet die Sozialpädagogin den Bereich Wohnungsnothilfe des Diakonischen Werks Rosenheim. Neben vier städtischen Obdachlosenunterkünften fällt auch die Herberge in der Königsseestraße in ihren Aufgabenbereich. Dort gibt es insgesamt acht Plätze für akut Obdachlose, sechs Plätze für Männer und zwei Plätze für Frauen. „Die Herberge ist ein Angebot für alle Menschen, die ohne den Unterschlupf die Nacht auf der Straße verbringen müssten“, sagt die Sozialpädagogin. Bislang wird die Herberge zu gleichen Teilen von der Stadt, dem Landkreis und der Diakonie Rosenheim finanziert.
Betten sind
dauerhaft belegt
Seit Ende des vergangenen Jahres seien die acht Betten immer belegt. Zudem müssten Matratzen im Aufenthaltsraum und im Flur ausgelegt werden, um den Bedarf zu decken. „Wir brauchen dringend eine größere Herberge und ein separates Angebot für Frauen“, sagt Lüling. Denn die Zahl der wohnungslosen Frauen sei in den vergangenen zehn Jahren deutlich gestiegen. „Viele Frauen nehmen oft schlimme Wohnverhältnisse auf sich, bevor sie den Schritt auf die Straße machen“, sagt Lüling. Geht es nach ihr, braucht es an dieser Stelle eine Verbesserung – und nicht nur dort. Auch für die Sicherheit ihrer Mitarbeitenden müsse mehr getan werden. „Das Klientel hat sich zunehmend verändert“, sagt sie. Immer häufiger kommen Gäste, die an schweren psychischen Erkrankungen und Suchterkrankungen leiden, was ihr Verhalten „unberechenbar und teils aggressiv sein lässt“. „So manche sind für Gespräche nicht mehr erreichbar“, sagt Lilo Lüling. Das wiederum würde die Mitarbeitenden vor Herausforderungen stellen und an die Grenze psychischer Belastbarkeit bringen.
Aus diesem Grund setzt die Diakonie ein Gewaltschutzkonzept um. In Absprache mit der Stadt und der Polizei wurde überlegt, wo was verbessert werden muss, um den Mitarbeitenden einen sicheren Arbeitsplatz zu gewährleisten. Wie wichtig das ist, zeigt ein Blick auf die Zahlen der Polizei. So ist es laut Polizeisprecher Jürgen Thalmeier in den vergangenen zwei Jahren zu rund 80 Einsätzen gekommen. „Die Polizei ist etwa einmal pro Woche vor Ort“, sagt er auf OVB-Anfrage. Die Gründe seien dabei ganz unterschiedlich. Er spricht von Streitereien unter den Bewohnern oder Hausfriedensbrüchen. Also dann, wenn sich Menschen nicht an das von der Diakonie auferlegte Hausverbot halten.
Verstöße erfordern
Sicherheitsdienst
Aus diesem Grund gibt es seit Juni einen Sicherheitsdienst. Dieser ist vor Ort, wenn die Mitarbeitenden in der Herberge ihren Abenddienst antreten. Nach 30 Minuten verlässt der Sicherheitsdienst die Königsseestraße, bleibt aber weiter in Bereitschaft. Das Problem: „Die Finanzierung konnte vonseiten der Stadt vorerst nur für drei Monate zugesichert werden“, sagt Lilo Lüling. Langfristige Änderungen der Finanzierung müssen laut der Sozialpädagogin im Stadtrat beschlossen werden. „Auch der Landkreis muss sich noch mit den veränderten Modalitäten befassen“, sagt Lüling.
Die Rosenheimer Grünen haben jetzt in einem Antrag an Oberbürgermeister Andreas März (CSU) angeregt, die Kosten auch weiterhin zu übernehmen. So muss der Sicherheitsdienst laut der Fraktion während der Aufnahmezeiten von 18.30 bis 20.30 Uhr vor Ort sein. Die monatlichen Kosten hierfür liegen bei 3300 Euro.
Neben der Einführung des Sicherheitsdienstes wurde zudem beschlossen, dass der Abenddienst in der Herberge nur noch zu zweit stattfindet. Auch hier entstehen Probleme aufgrund der Grenzen der Refinanzierung des Personals. „Durch die Umstellung können wir nicht mehr jeden Abend Mitarbeitende vor Ort einsetzen“, sagt Lüling. Insgesamt gibt es durchschnittlich zehn bis zwölf Abende im Monat, an denen die Herberge nicht besetzt ist und somit keine Neuankömmlinge aufnehmen kann. Die müssen dann in die Räume im alten Gesundheitsamt ausweichen, die als Kälteschutz dienen.
„Es ist nicht einfach, zusätzliche Mitarbeitende zu halten, solange sie befürchten müssen, dass etwas passieren kann“, sagt die Sozialpädagogin. Neben dem Sicherheitsdienst und der Umstellung der Abendschicht plädieren die Rosenheimer Grünen deshalb auch für eine sogenannte Überfallmeldeanlage. Dabei handelt es sich um eine Art Alarmknopf, der – bei Gebrauch – die Polizei verständigt. Die Kosten für eine solche Anlage betragen laut den Grünen rund 4700 Euro, zuzüglich monatlicher Kosten für die Aufschaltung an die Notrufzentrale. „Die beiden Sofortmaßnahmen sind dringend umzusetzen, um die Sicherheit der Beschäftigten und Bewohner zu gewährleisten“, sagt Sonja Gintenreiter, Fraktionsvorsitzende der Grünen.
Bedarf ist stark
angestiegen
Sie erinnert zudem daran, dass der Bedarf an Herbergsplätzen „sprunghaft zugenommen hat“. Aus diesem Grund müssten schnellstmöglich neue Konzepte zu Ausbau und Betrieb von Herbergen für Obdachlose in Rosenheim erarbeitet werden. „Das ist unbedingt notwendig“, sagt auch Lilo Lüling. So braucht es in ihren Augen beispielsweise unter der Woche tagsüber eine Hauswirtschaft. „Der Abenddienst hat zu viele Aufgaben“, sagt sie. Neben der Aufnahme würden sich die Mitarbeitenden auch darum kümmern, dass das Hausrecht eingehalten wird, jeder Bewohner sein Zimmer aufräumt, die Wäsche gewaschen ist und die Kleiderkammer aus Spenden befüllt wird. Eine separate Stelle könnte die Mitarbeitenden und die Übernachtenden hier unterstützen. Auch ein Hausmeisterdienst und Verwaltungsstunden seien unabdinglich, um „die vielfältigen Aufgaben eines Herbergsbetriebs stemmen zu können“. Welche Verbesserungen letztendlich umgesetzt werden, wird in einem der zukünftigen Ausschüsse entschieden. Dass sich etwas verändern muss, ist jedoch gewiss. Jedenfalls, wenn man bei Lilo Lüling nachfragt.