Faszination für unerzählte Geschichten

von Redaktion

Interview Andrea Krammer über ihre Arbeit als Leiterin des Städtischen Museums

Rosenheim – Bereits in der achten Klasse wusste Andrea Krammer, dass sie Archäologin werden will. Nach ihrer Schulzeit studierte sie Provinzialrömische Archäologie, Vor- und Frühgeschichte sowie Alte Geschichte an der LMU in München. Nach freier Mitarbeit im Salzburg Museum leitete sie das Römermuseum in Seebruck. 2014 erhielt sie dann einen Anruf von Walter Leicht aus Rosenheim. Er bat sie um Unterstützung bei der Neuausrichtung der Römerausstellung im Städtischen Museum. Warum es zu dieser Ausstellung nie gekommen ist, verrät sie im OVB-Interview.

Woher kommt die Begeisterung für das Römische Reich?

Ich bin in Marzoll bei Bad Reichenhall aufgewachsen. Dort gab es einen römischen Gutshof. In der Schule haben wir uns bereits mit dem Thema beschäftigt und es hat mich von klein auf fasziniert. Zudem war mein Großvater Kreisheimatpfleger. Er hatte ein tolles Büro mit einer riesigen Bibliothek. Ich habe sehr viel Zeit mit ihm verbracht. Er hat mich beispielsweise zu Ausflügen auf das Schloss Staufeneck mitgenommen. Dort gab es ein kleines Museum. Schon während meiner Kindheit hab ich also relativ schnell eine Faszination für das Alte entwickelt. Diese Faszination hat sich dann auch durch meine Schulzeit und mein Studium gezogen.

Die Forschung ist nach wie vor ein Feld, das von Männern dominiert wird. Auch in der Archäologie?

Während meiner Uni-Zeit war das Verhältnis zwischen Männern und Frauen sehr ausgeglichen. Aber natürlich sind viele Forschungsstellen oder Führungspositionen sehr männerlastig. Aber auch da hat sich in den vergangenen Jahren einiges getan.

Sie haben Provinzialrömische Archäologie studiert. Anschließend hat es Sie nach Salzburg verschlagen.

Ich war im Salzburg Museum als freiberufliche wissenschaftliche Mitarbeiterin tätig, unter anderem auch auf Ausgrabungen. Immer wenn irgendwo gebaut werden sollte, musste vorher dokumentiert werden, was sich auf der Fläche befunden hat. Ich war beispielsweise bei Ausgrabungen am Markartplatz, in der alten Postschalterhalle oder am Bürglstein dabei. Während der Ausgrabungen werden Zeichnungen angefertigt, anschließend werden die Funde gereinigt und wissenschaftlich nachbereitet. Alle Dinge, die gefunden werden, müssen dokumentiert und aufgenommen werden.

Was war das Spannendste, das Sie während dieser Ausgrabungen gefunden haben?

Die Frage höre ich immer wieder. Viele wollen wissen, ob ich schon einmal Gold gefunden habe.

Und haben Sie?

Nein. Ich habe auch noch nie einen Leichnam ausgegraben.

Das glaubt mir immer niemand. Bisher habe ich „nur“ Gebäudereste ausgegraben. Ausgrabung ist ein echter Knochenjob.

Welche Fertigkeiten muss man mitbringen?

Theoretisch kann es jeder, der sich dafür interessiert. Man braucht das absolute Interesse und die Freude an alten Dingen. Und man darf keine Angst vor Dreck haben. Für mich ist die Archäologie genau das Richtige, weil der Beruf so extrem vielseitig ist.

Ist der Archäologe ein aussterbender Beruf?

Tatsächlich habe ich das Gefühl, dass wieder mehr in den Beruf einsteigen. Mir ist in diesem Beruf vor allem auch die Vermittlung des erworbenen Fachwissens wichtig. Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, den Leuten die Archäologie und Geschichte begreifbar zu machen, die vor ihrer eigenen Haustür passiert ist. Ganz viele Dinge, über die aktuell gesprochen wird, hat es bereits vor Tausenden von Jahren gegeben.

Zum Beispiel?

Im Moment gibt es viele Diskussionen rund um das Thema Heizen. Beispielsweise werden derzeit wieder öfter Fußböden- oder Wandheizungen eingebaut. Die Römer hatten das auch schon alles.

Die Römer wollten Sie – gemeinsam mit Ihrem Vorgänger Walter Leicht – auch nach Rosenheim holen.

Das war im Jahr 2017. Das Konzept stand bereits. Der Raum war geweißelt, die Heizung eingebaut und der Vitrinen-Bauer bestellt. Dann habe ich einen Anruf erhalten, in dem mir mitgeteilt wurde, dass das Haus bauliche Mängel aufweist. Es gebe viele Risse und man wisse nicht, wie es weitergeht. Walter Leicht hat die geplante Ausstellung dann abgesagt. Was in meinen Augen absolut nachvollziehbar war. Aber natürlich hat die Entscheidung wehgetan, auch weil wir kurz vor dem Abschluss waren.

Sechs Jahre später sind die Risse immer noch da.

Tatsächlich weiß man noch nicht, wie es weitergeht. Bis zur Sanierung können noch zwei Jahre vergehen, oder fünf. Bisher besteht noch keine absolute Notwendigkeit. Es funktioniert ja noch alles ohne Probleme.

Werden die Rosenheimer die Römerausstellung irgendwann noch einmal zu sehen bekommen?

So wie wir es damals geplant haben, wird die Ausstellung nicht zu sehen sein. Wir müssen sie dem aktuellen Forschungsstand anpassen. Die Arbeit im Museum ändert sich, ein Museum ist kein statischer Ort, es muss sich ständig bewegen und an die Gesellschaft anpassen.

Viele verbinden ein Museum mit einem eher verstaubten Ort.

Ich glaube, es hängt davon ab, was im Museum geboten ist. Wenn man sich nur Objekte anschauen und Tafeltexte durchlesen kann, werden sich viele gegen einen Besuch entscheiden. Die Leute wollen unterhalten werden. In anderen Häusern habe ich die Erfahrung gemacht, dass ein Museum dann gut ankommt, wenn die Besucher einbezogen und unterhalten werden. Das ist der Weg, den ich auch in Rosenheim einschlagen möchte. In den kommenden Jahren werden wir da viel experimentieren. Einiges wird gelingen, anderes weniger. Aber das ist ja gerade das Spannende. Zumal die Stadt eindeutig hinter dieser Institution steht. Das ist nicht selbstverständlich.

Wie waren Ihre ersten Wochen im neuen Amt?

Ich hatte das große Glück, dass ich das Haus und die Menschen im Haus bereits kannte. Dadurch musste ich meine ersten Wochen nicht damit verbringen, Namen auswendig zu lernen. Von meinem Team werde ich großartig unterstützt. Ich habe damit begonnen, mich in die Rosenheimer Stadtgeschichte einzulesen. Ansonsten stehen mir sehr viele spannende Aufgaben und Entscheidungen bevor.

Eine davon ist sicherlich der schon lange geforderte Bau eines Städtischen Sammlungszentrums.

Ein Städtisches Sammlungszentrum als das Depot ist das Nadelöhr für alle weiteren Entwicklungen. Wenn wir kein Depot haben, kann sich am Haus nichts ändern. Um das Haus zu sanieren und neu aufstellen zu können, muss die Sammlung auch für eine gewisse Zeit ausgelagert werden. Dafür können wir nicht schnell mal eine Lagerhalle anmieten. Jeder Umzug birgt ein Risiko. Unsere Aufgabe ist es, darauf zu achten, dass jedes Objekt bestmöglich geschützt und aufbewahrt wird. Ein Städtisches Sammlungszentrum steht auch für notwendigen Kulturschutz und zeitgemäßes Arbeiten mit den Objekten. Aus diesen Gründen führt an einem Depot kein Weg vorbei.

Gibt es schon Ideen für eine neue Ausstellung?

Bis Februar läuft unsere Sonderausstellung noch. Im Moment planen wir schon die nächste Ausstellung. Ideen gibt es einige. Beispielsweise könnte ich mir durchaus vorstellen, dass wir die Römerausstellung doch noch irgendwie umsetzen.

Auch wäre ich durchaus offen für eine Ausstellung, in der sich alles um das Thema Bürgerbeteiligung dreht. Das hat in Traunstein sehr gut funktioniert. Von den Themen her bin ich sehr offen. Ziel ist es, dass wir uns an der Kulturlandschaft Rosenheims orientieren, um Synergieeffekte zu erzielen.

Haben Sie ein Lieblings-Exponat im Haus?

Viele finden das Skelett toll, das ist aber tatsächlich nicht mein Lieblingsobjekt. Mich faszinieren die vielen kleinen Schätze, deren Geschichte bisher noch gar nicht erzählt wurde. Es gibt beispielsweise ein Bild aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.

Es zeigt drei junge Männer in ihrer Uniform. Niemand weiß, dass es sich bei den drei Männern um ehemalige Rosenheimer VIPs handelt. Und genau das will ich ändern. Ich möchte diese Rosenheimer zurück ins Gedächtnis der Bürgerinnen und Bürger bringen und ihre Geschichten erzählen.

Was machen Sie, wenn Sie nicht im Museum stehen?

Auf der Couch liegen und Netflix schauen (lacht). Nein, im Ernst. Wir haben daheim sehr viele Tiere. Mein Mann und ich züchten Dackel und Lamas. Da gibt es immer etwas zu tun. Das ist für mich ein sehr guter Ausgleich.

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