Rosenheim/Bad Feilnbach – Johannes (3) ist ein Kämpfer. Das wissen auch seine Eltern. „Es grenzt schon an ein Wunder, dass er jetzt hier ist“, sagt Andrea Kriechbaumer. Sie sitzt am Küchentisch, ihr Mann Thomas ist gerade damit beschäftigt, die Kinder ins Bett zu bringen. Zwischen die Stimmen aus dem Fernseher mischt sich das Lachen der Kinder. Kurz hört Andrea Kriechbaumer zu, dann beginnt sie ihre Geschichte.
Schocknachricht
in der 16. Woche
Sie erzählt von der Hochzeit kurz vor dem Beginn der Corona-Pandemie, erinnert sich noch genau an den Moment, als sie feststellte, dass sie schwanger ist. Mit Drillingen.
„Lange Zeit wusste nur die engste Familie von der Schwangerschaft“, sagt Andrea Kriechbaumer. Zu groß sei die Sorge gewesen, dass etwas schief läuft. „Es war eine richtige Horror-Schwangerschaft“, erinnert sich die junge Mutter. Zum einen, weil sie einen Großteil der Zeit im Bett verbringen musste, zum anderen wegen der Schocknachricht, die sie in der 16. Schwangerschaftswoche erhielt.
„Man hat uns gesagt, dass mit einem der Drillinge etwas nicht stimmt“, sagt Andrea Kriechbaumer. Es folgten zahlreiche Untersuchungen im Pränatalzentrum in München und Gespräche mit Ärzten. Die Rede war von einem möglichen Herzfehler, schweren Beeinträchtigungen und davon, dass der kleine Bub vielleicht gar nicht lebensfähig sein wird. „Uns wurde vorgeschlagen, das Leben des Kleinen im Mutterleib zu beenden. Zum Wohle der beiden anderen Ungeborenen“, erinnert sich Andrea Kriechbaumer.
„Wollten der Natur freien Lauf lassen“
Das war allerdings eine Option, die weder für sie noch für ihren Mann infrage kam. „Wir wollten der Natur ihren freien Lauf lassen und haben auf unser Bauchgefühl gehört“, sagt Thomas Kriechbaumer, der mittlerweile ebenfalls in der Küche Platz genommen hat. Auf seinem Schoß sitzt Vroni und schaut sich interessiert um. Sie zeigt auf die Schokolade, die auf dem Tisch steht, blättert kurz durch das Fotoalbum, das ihre Eltern aus dem Regal geholt haben.
Geburt mitten in
der Corona-Pandemie
Auf zahlreichen Bildern haben sie die Zeit vor drei Jahren festgehalten. Die guten Momente, aber auch die schlechten. Ein Foto zeigt den Tag der Geburt. Am 2. Juli 2020 – mitten in der Corona-Pandemie – kamen die Drillinge per Kaiserschnitt im Rosenheimer Klinikum zur Welt. Drei Monate zu früh. „Ich hab so gut wie nichts wahrgenommen und wollte nur wissen, ob alle leben“, sagt Andrea Kriechbaumer.
Während es Sebastian und Vroni den Umständen entsprechend gut ging, begann für den kleinen Johannes mit der Geburt der Kampf ums Überleben. „Die Seelsorger waren mehrmals da, weil davon ausgegangen wurde, dass er es nicht schafft“, sagt Andrea Kriechbaumer. Bei der Geburt wog er gerade einmal 450 Gramm – etwas weniger als zwei Stück Butter. Er hatte ein Loch im Darm, drei Löcher im Herzen und zu viel Flüssigkeit in der Lunge. „Die Situation war lebensbedrohlich“, sagt die Mutter.
200 Tage lang musste der kleine Johannes im Krankenhaus bleiben. Er wurde künstlich beatmet, über eine Sonde ernährt und musste insgesamt sieben Operationen über sich ergehen lassen. Jeden Tag pendelten Thomas und Andrea von ihrem Zuhause in Bad Feilnbach ins Krankenhaus.
„Wir hatten über ein Jahr ein Schlafpensum von ungefähr drei Stunden pro Tag. Und die auch nicht am Stück“, sagt Thomas Kriechbaumer. Mittlerweile kann er über die Situation lachen. Damals war weder ihm noch seiner Frau zum Lachen zumute.
Das Beste aus der Situation machen
„Aber es hilft ja nichts“, sagt Papa Thomas. Es ist ein Satz, den er oft und gerne benutzt. Er hinterfragt nicht, warum diese Dinge ausgerechnet seiner Familie passiert sind. Er nimmt die Situation so, wie sie ist, und versucht, das Beste daraus zu machen. Einfach sei es trotzdem nicht gewesen. Auch, weil die anderen drei Geschwister während dieser Zeit zu kurz gekommen sind und viel zurückstecken mussten. Und das trotz der Unterstützung von Helfern aus dem Dorf, Freunden und Familienmitgliedern.
Unterstützung durch den „Bunten Kreis“
Mitte Januar 2021 kam Johannes schließlich zum ersten Mal nach Hause. Seitdem stehen der Familie die Kinderkrankenschwestern der Sozialmedizinischen Nachsorge vom Bunten Kreis Rosenheim zur Seite. Sie begleiten die Eltern bei Arztterminen, beantworten Fragen rund um den Umgang mit Beatmungsgeräten, dem Überwachungsmonitor sowie der Sondenernährung, die auch zu Hause noch weitergeht. „Johannes musste ein halbes Jahr beatmet werden und braucht nach wie vor Sauerstoff“, erklärt Thomas Kriechbaumer.
Nach und nach gewöhnt sich die Familie an das neue Leben zu sechst. Agnes ist jetzt schon ein Vorschulkind, die Drillinge werden ab nächstem September in den Kindergarten gehen.
Johannes ist mittlerweile seine Sonde los und hat damit begonnen Brei zu essen. „Das Kauen bereitet ihm noch Probleme“, sagt Mutter Andrea. Mehrmals in der Woche hat er Physio, besucht eine Atem- und Sprechtherapie. Einmal im Jahr geht es zum Kardiologen, wöchentlich wird mit dem Kinderarzt telefoniert. Hin und wieder tauscht sich Andrea Kriechbaumer in der Selbsthilfegruppe „Winzigklein in Rosenheim“ – initiiert von der Stiftung Ambulantes Kinderhospiz München (AKM) im Zentrum Südostbayern – mit anderen Frühcheneltern aus.
„Man wächst mit seinen Aufgaben“
„Man wächst mit seinen Aufgaben“, sagt Thomas Kriechbaumer. Kurz hält er inne. Schaut zur Tür. Dort steht Johannes. Er grinst, schaut in die Runde. Dann läuft er in die Arme seiner Mama. „Wir sind froh, dass wir auf unser Bauchgefühl gehört haben“, sagt sie.