Rosenheim – Schnauzer und Schnurrbärte sind wieder voll im Trend – zumindest im November. Denn seit dem Jahr 2003 steht dieser Monat ganz im Zeichen des Schnurrbarts. Hintergrund ist der Movember, was sich aus dem englischen Wort für Schnurrbart (Mustache) und dem November ableitet. Beim Movember handelt es sich um eine internationale Stiftung. Deren Fokus liegt dabei auf dem Thema Männergesundheit. Doch was hat das mit Schnurrbärten zu tun? „Weil es auffällt wahrscheinlich“, vermutet Dr. Markus Wöhr, Chefarzt der Klinik für Urologie und Kinderurologie am Romed-Klinikum Rosenheim. Er erklärt im OVB-Interview unter anderem, warum Männer oft viel zu spät zum Arzt gehen – und welche Rolle das Bild des „typischen“ Mannes dabei spielt.
Den Movember gibt es ja jetzt schon seit 2003. Haben Sie das Gefühl, dass sich seitdem schon etwas getan hat beim Thema Männergesundheit?
Das lässt sich gar nicht so leicht beantworten. Es gibt immer wieder Kampagnen oder Phasen, wo die Männergesundheit in den Fokus der Öffentlichkeit gerät. Das ist aber nicht nachhaltig. Es gab ja letztes Jahr diese Phase, wo mehrere Fußballer plötzlich einen Hodentumor hatten. Die ganze Republik war aufgeregt. Was ist los, warum haben jetzt plötzlich drei Fußballprofis innerhalb eines Jahres einen Hodentumor? Das hat aber nichts damit zu tun, dass Hodentumore jetzt häufiger auftreten. Vielmehr sind Fußballer eben typischerweise junge Männer, die genau in dem klassischen Alter für den Hodentumor sind. Dann rückt die Männergesundheit kurzfristig in den Fokus – und dann verschwindet sie wieder.
Der jährliche Besuch beim Gynäkologen ist für die meisten Frauen selbstverständlich. Warum ist das bei der Vorsorge bei Männern nicht der Fall?
Frauen sind genetisch bedingt anders. Die werden von ihren Müttern, spätestens mit Einsetzen der Periode, regelmäßig beim Frauenarzt vorgestellt. Da ist das relativ etabliert, genauso wie das Brustkrebs-Screening. Das heißt, über 70 Prozent der Frauen gehen zur Vorsorgeuntersuchung. Bei den Männern sind es nach wie vor um die 20 Prozent.
Also rennen Ihnen die Männer auch nach solchen Kampagnen wie dem Movember hier nicht gerade die Tür ein?
Nein, aber der stete Tropfen höhlt den Stein. Deswegen ist ja auch sinnvoll, dass solche Kampagnen regelmäßig wiederholt werden. Mit dem Ziel, eine möglichst große Außenwirkung zu erreichen und so allmählich das Verhalten der Männer zu ändern. Aber das ist nicht so einfach.
Es gibt ja immer noch das klassische Rollenbild vom „starken Mann“. Gehen Männer deshalb oft nicht zur Vorsorge?
Wir leben ja in einer patriarchalischen Gesellschaft. Das heißt also, dieses stark sein, männlich sein, keine Schwäche zeigen, das ist schon etwas, was in den Verhaltensmustern sehr stark verankert ist. Deswegen achten Männer generell weniger auf ihre Gesundheit. Männer gehen ja auch immer erst zum Doktor, wenn sie Beschwerden haben. Aber Schmerz oder stärkere Beschwerden sind ein ganz schlechter Parameter, um festzustellen, ob einem irgendetwas fehlt.
Sondern?
Wir haben beim Movember eigentlich mehrere Themenfelder. Wir haben zum einen die bösartigen Tumore, wie den Hodentumor, auf die wir aufmerksam machen wollen. Ein Ziel der Movember-Aktion ist es unter anderem jetzt, die jungen Männer daran zu erinnern, dass sie sich regelmäßig selber untersuchen. Denn sie sind die Ersten, die es merken. Der Hodentumor tut auch nicht weh – man merkt nur die Verhärtung oder Vergrößerung des Hodens.
Und worauf müssen ältere Männer speziell achten?
Bei den älteren Männern ist es das Prostatakarzinom, auf das wir aufmerksam machen wollen. Hier ist es wichtig, dass man zur Vorsorge geht. Natürlich verhindert keine Vorsorge, dass man ein Prostatakarzinom bekommt. Aber sie sorgt dafür, dass man es möglicherweise schon in Zeiten entdeckt, wo man es auch noch gut heilen kann.
Heißt aber, der Gedanke an die Vorsorge müsste schon früh von den Eltern weitergegeben werden – wie es bei Frauen eben auch ist.
Eigentlich ja. Nur haben Männer nicht diesen Aufhängepunkt, wie die Monatsblutung oder dann vielleicht die Verhütung. Eine ärztliche Vorsorgeuntersuchung wird eigentlich erst im mittleren Lebensalter relevant.
Wie häufig ist denn so ein Hodentumor?
Sechs bis acht Fälle pro 100000 Einwohner pro Jahr. Das sind natürlich wenig Fälle. Aber es ist dennoch die häufigste Tumorerkrankung, die junge Männer trifft.
Beim „typischen“ Mann denkt man ja auch eher an viel Fleisch und Bier und so etwas. Welche Rolle spielt denn der Lebensstil beim Thema Männergesundheit?
Männer sterben deutlich früher als Frauen. In Mitteleuropa sind das um die fünf Jahre. Das liegt unter anderem auch am Lebensstil. Männer essen mehr, sie haben häufiger Übergewicht als Frauen, sie rauchen mehr, sie trinken mehr und sie haben ein ganz anderes Risikoverhalten. Das ist schon so. Aber es ist nicht nur gesellschaftlich bedingt. Das muss man auch immer relativieren, weil Männer ein Y-Chromosom haben, was Frauen nicht haben.
Was hat das Y-Chromosom damit zu tun?
Dieses Y-Chromosom bringt so ein paar genetische Risiken mit, die mitverantwortlich sind, dass Männer früher sterben. Dies betrifft auch Stoffwechselvorgänge. Allein die Anwesenheit von Testosteron sorgt dafür, dass Männer eben anders sind, aggressiver, dass sie nicht so viel reden, mehr handlungsorientiert sind. Gerade bei jungen Männern ist auch das Risikoverhalten anders. Hier fehlt das Bewusstsein dafür.
Welche Rolle spielen die klassischen Rollenbilder, wie: „Ein echter Mann darf keine Gefühle zeigen“? Holen sich Männer dadurch bei psychischen Problemen seltener Hilfe?
Betrachtet man die Suizid-Statistiken, fällt auf, dass sich am häufigsten junge und ältere Männer umbringen und es im Verhältnis mehr Männer als Frauen sind. Das hat schon was damit zu tun, dass Männer eben nicht lernen oder nie gelernt haben, über ihre Probleme zu reden. Männer schlucken oft alles runter und nehmen keine Hilfe an. Bei den älteren Männern ist es auch so, dass sie häufig versäumen, sich eine soziale Umgebung zu schaffen. Das heißt, sie haben oft nach dem Tod der Frau keine Ansprechpartner mehr und sind einsam.
Kann man dem irgendwie vorbeugen?
Man muss bereits den Jugendlichen beibringen, auf die eigene Gesundheit zu achten. Heißt also: ihnen vermitteln, sich selbst zu untersuchen, denn beim Abtasten lassen sich Veränderungen feststellen. Und natürlich ist es von Vorteil, sich viel zu bewegen, das Risikoverhalten zu minimieren, nicht rauchen, nicht trinken und keine Drogen nehmen. Cannabis zum Beispiel ist alles andere als harmlos.
Und wie ist es beim Prostatakrebs?
Das Prostatakarzinom ist auch, ähnlich wie bei Brustkrebs, etwas, was auch vererbt werden kann. Wer also Verwandte hat, die betroffen waren, sollte ab 45 Jahren zur Vorsorge gehen. Wer keine Vorbelastung in der Familie hat, sollte ab dem 50. Lebensjahr zum Urologen.
Verdrängen Männer ihre Beschwerden häufig?
Ja. Jeder hat eigentlich immer Angst vor der Diagnose. Vor allem, wenn es einem gut geht und man vermeintlich keine Beschwerden hat, ist das ja eine abstrakte Bedrohung.
Das ist ein Dilemma, oder?
Ja, wir wollen den Krebs frühzeitig entdecken. Dann bestehen gute Heilungschancen. Außerdem versuchen wir auch, gerade beim Prostatakarzinom eine Überdiagnose zu verhindern, um unnötige Behandlungen zu vermeiden. Das heißt: Je früher ich eine Risikoeinschätzung vornehmen kann und dann überwache, umso eher kann ich auch behandeln, wenn es notwendig wird. Wenn man den Feind kennt, dann kann man sich viel besser darauf einstellen und damit umgehen.
Interview: Patricia Huber