„Wir müssen lauter werden“

von Redaktion

Mike Boid über die Probleme im Alltag eines Gehörlosen in Rosenheim

Rosenheim – Mike Boid ist frustriert. Seine Stimme zittert und wird lauter. „Wir Gehörlose leben wie in einem abgeschiedenen Dorf. Viele haben schon aufgehört, zu kämpfen“, sagt er. Seit seinem vierten Lebensjahr ist Boid taub. In seinem Alltag steht er immer wieder vor kleinen und großen Herausforderungen. Und das seit Jahren und ohne Verbesserung, betont der 49-Jährige. Denn Hilfe habe er bislang nicht von der Politik bekommen.

Sprechen und
Lippenlesen gelernt

Mit vier Jahren bekam
Boid Schwierigkeiten beim Sprechen. Er stotterte und konnte einfache Wörter nicht nachsprechen. Seine Mutter brachte ihn zum Arzt. Dieser diagnostizierte Taubheit auf beiden Ohren. Doch das war für den damals vierjährigen Mike kein Grund zur Trauer. „Ich dachte mir nur: Pech gehabt“, sagt er und lacht. Er bekam ein Hörgerät.

Seine Mutter brachte ihm das Sprechen und Lippenlesen bei. Das Leben war gut. Doch in der sechsten Klasse änderte sich alles. „Da begann das Mobbing und ich fragte mich, wieso ausgerechnet ich taub bin“, sagt Boid. Immer wieder stellte er sich diese Frage. Bis seine Schule einen Tag der offenen Tür veranstaltete. Boid lernte einen Mann im Rollstuhl kennen. Dieser war taub, stumm und fast vollständig erblindet. „Da wusste ich, dass das, was ich habe, gar nichts ist“, sagt Boid. Nach dieser Begegnung fing er an, die Gebärdensprache zu lernen.

Nun möchte er sich mehr für Betroffene einsetzen. Auch in Rosenheim gebe es vieles, was sich verändern müsse. Der Besuch bei Behörden, Polizei, Krankenhäusern und Ärzten sei mit viel Aufwand verbunden. „Einen Termin können wir nur über E-Mails ausmachen und oft wartet man Tage auf eine Rückmeldung“, sagt Boid. In den meisten Fällen gebe es keinen Dolmetscher, darum müsse sich der 49-Jährige selbst drum kümmern. Deren Übersetzungsarbeit sei meistens auf 30 Minuten beschränkt. „Es muss doch selbstverständlich sein, dass ein Dolmetscher vor Ort ist“, sagt Boid. Das Absetzen eines Notrufs habe sich allerdings in den letzten Jahren verändert. Es gebe Apps und Notrufknöpfe. Letzteres kaufte Boid für 70 Euro. Dass die Krankenkassen nicht die Kosten für wichtige Hilfsmittel übernehmen, könne er nicht verstehen. „Mein Hörgerät hat 3800 Euro gekostet, wovon meine Krankenkasse 900 Euro übernommen hat“, sagt Boid. Für 140 Euro müsse er selbst Batterien und Schläuche kaufen. „Die Krankenkasse zahlt so viele Dinge, die nicht gebraucht werden“, sagt Boid. „Aber für uns kleine Leute können sie nicht aufkommen.“ Es sind Situationen, die auch seine Freunde vom Hörgeschädigtenverein Rosenheim kennen. Regelmäßig treffen sich die Mitglieder im Pfarrheim Heilige Familie. Spielen Dart oder bauen an der Modelleisenbahn, die ihre kleinen Runden durch den Raum dreht. Auch Kegelturniere und Seniorentreffen werden für die Mitglieder veranstaltet. Einmal im Jahr findet ein Sommerfest und eine Weihnachtsfeier statt. Der Verein bedeutet den Mitgliedern viel. Sie lachen gemeinsam und tauschen sich aus. Auch sie wollen auf die Probleme aufmerksam machen.

Arztbesuche
sind schwierig

Zwei davon sind der Vorsitzende Florian Eberl und seine Stellvertreterin Brigitta Stegbauer. „Wenn ein Bus oder eine Bahn Verspätung hat oder ausfällt, hören wir die Durchsage nicht“, sagt Stegbauer. An vielen Orten würde es an Informationstafeln fehlen. Auch Arztbesuche seien schwierig. Gehörgeschädigte können Symptome nicht so einfach erklären, wie jemand ohne Beeinträchtigung. Schon oft sei es vorgekommen, dass ein Arzt ein Rezept ausgestellt hat, ohne sich die Beschwerden angehört zu haben.

Florian Eberl sieht das größte Problem an fehlenden Ansprechpartnern in Rosenheim. „So geht es nicht weiter“, sagt Eberl in Gebärdensprache. Vieles müsse sich in den Augen der Vereinsmitglieder verändern. Sie verlangen nicht, dass alle Menschen die Gebärdensprache lernen müssen. „Denn auch wir müssen uns bemühen“, sagt Boid. Jedoch hoffen sie auf ein besseres Miteinander und mehr Gleichheit.

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