Rosenheim – Es ist still in dem Spielefachhandel „BB-Spiele“ in Rosenheim. Noch eine Stunde, dann öffnet das Geschäft. Hin und wieder hört man von den Mitarbeitern an der Kasse ein Flüstern. Eine andere Angestellte putzt die Tische ab. In den Wandregalen stehen Mangas und fiktive Figuren aus Serien und Filmen. Jay Siglreithmaier sitzt an einem der Tische und malt. Und das obwohl der nicht-binäre Künstler blind ist.
Spezielle Technik
entwickelt
Zu seinen Arbeiten zählen Warhammer-Miniaturen. Es sind kleine Figuren und Fahrzeuge, die zusammengebaut und bemalt werden. Einige von ihnen bestehen aus vielen kleinen Einzelteilen, die schnell übersehen werden können. Doch das ist für Siglreithmaier kein Problem. Mithilfe spezieller Techniken setzt er die Figuren zusammen und gestaltet sie farbig.
Dabei werden zuerst die Einzelteile der Miniatur aus dem Gussrahmen geschnitten. Danach werden die Ränder glattgefeilt. „Wenn ich jedes einzelne Teil mit den Händen anfasse, lerne ich die Minis kennen“, sagt Siglreithmaier. Der Bauplan wird eingescannt und eine App liest diesen vor. Mit einem Edding-Stift hebt Jay Siglreithmaier die Nummer auf dem Gussrahmen hervor. So kann sie die App erkennen und vorlesen. Dann setzt er die Figuren zusammen und grundiert sie. Mit dem Finger geht er die Konturen der Miniaturen nach. Es entsteht ein Plan, welche Farbe an welche Stelle kommt. Dafür holt er aus einer Tasche eine große Box mit Farben und eine Farbpalette heraus. Jede Farbe hat ihren festen Platz. „Die Flaschen haben unterschiedliche Größe, dadurch kann ich sie auseinanderhalten“, sagt Siglreithmaier. So sind die Tuben der Kontrastfarben ein paar Zentimeter größer als die Grundfarben.
Aber auch durch einfaches Schütteln lassen sich Unterschiede bemerken. „Anhand der Konsistenz der Farbe lässt sich erkennen, wie dick sie ist“, sagt Siglreithmaier und schüttelt eine Flasche. Die Farbe sei cremiger und bewege sich kaum in der Tube. Für eine kleine Kriegerfigur entscheidet er sich für schwarze und dunkelrote Farben. Die rote Farbe kommt auf eine Farbpalette in die linke untere Ecke. Direkt darüber kommt ein schwarzer Farbklecks. Bevor es losgeht, klemmt er die Figur in ein Spannwerkzeug, damit beide Hände frei sind.
Aus der Box kommen selbst gebaute Werkzeuge zum Vorschein. In die rechte Hand nimmt er einen kleinen feinen Pinsel und in die linke ein Federstahldraht. „Damit kann ich fühlen, welchen Teil ich gerade bemale und kann den Pinsel genauer platzieren“, sagt Siglreithmaier.
Der Federstahldraht wird angesetzt und mit roter Farbe bemalt er den Umhang der Miniatur. Dabei kratzt der Stab über die Oberfläche der Figur, der Pinsel folgt ihm dicht. Hin und wieder malt er über. Aber nur leicht. „Wenn ich fertig bin, schicke ich ganz viele Bilder an meine Freunde, die mir meine Fehler aufzählen“, sagt Siglreithmaier und lacht.
Dann geht der Pinsel in den Wasserbehälter. Denn jetzt kommt die schwarze Farbe für den Anzug. Gekonnt schwingt Siglreithmaier den Pinsel. Schnell bemalt er die Arme der Miniatur und macht sich in wenigen Sekunden an den Helm. Er optimierte den Arbeitsprozess mit klaren Regeln. Alles hat seinen Platz. Jedes Werkzeug und jede Farbe. Für eine kleinere Figur braucht er etwa eine Stunde. Bei großen Figuren dauert der gesamte Prozess bis zu zwei Wochen. Während Siglreithmaier erzählt, nimmt der Helm Gestalt an. Kurze Zeit später ist er fertig. Zufrieden lächelt Siglreithmaier.
Ein Hobby für die
dunklen Zeiten
Doch lange Zeit konnte Jay Siglreithmaier nicht lächeln. Er leidet seit 2009 an idiopathischer intrakranieller Hypertension. Eine seltene Krankheit, die durch einen erhöhten Hirndruck entsteht, wenn zu viel Hirnwasser produziert wird. Patienten leiden an chronischen Kopfschmerzen und Sehstörungen. In einigen Fällen – wie dem von Siglreithmaier – endete die Krankheit in Erblindung.
„Ich habe plötzlich Blitze gesehen und hatte starke Kopfschmerzen“, erinnert er sich. Ärzte fanden zunächst keine Ursache. Viele seien ratlos gewesen. Die Schmerzen wurden stärker. Siglreithmaier verzweifelte. Dann kam die Diagnose. Augenvitamine sollten den Prozess verlangsamen. Doch zwei Monate später war es so weit.
2014 verlor das rechte Auge die Sehkraft. Zwei Jahre später das linke Auge. Es ist nicht schwarz, es ist nicht hell, es ist einfach nichts. So beschreibt Siglreithmaier den Moment vor sieben Jahren, als die vollständige Erblindung eintrat.
Mehrere Operationen standen an. Doch die verschlimmerten den Krankheitszustand nur. Bei der ersten Operation erlitt Siglreithmaier einen Schlaganfall, die linke Körperseite war von da an gelähmt. „Klar entwickelt man dabei eine Depression, wenn man seit 13 Jahren krank ist und damit alleingelassen wird“, sagt Siglreithmaier. Das Bemalen der Miniaturen ist eine Art Überlebenshilfe. Es helfe gegen die Depressionen und den Teufelskreis von negativen Gedanken. „So ist es nicht nur schwarz oder hell, sondern wunderschön bunt“, sagt er und lacht.
Begeistert sind auch die Mitarbeiter von „BB-Spiele“. Um auf das besondere Talent von Siglreithmaier aufmerksam zu machen, drehten sie ein Video für ihren Youtube-Kanal. „Es war eine Herzensangelegenheit von uns. Wir wollten damit andere Menschen mit Beeinträchtigungen inspirieren“, sagt Luca Romano, Marketing-Mitarbeiter des Spielefachhandels. Alle paar Wochen kommt Siglreithmaier in den Laden und holt eine Bestellung ab. „Es ist immer schön, zu sehen, wenn er den Laden betritt und glücklich vor sich hin lächelt“, sagt Romano.