Die Seilretterin aus Rosenheim

von Redaktion

Sozial, nachhaltig und fair: So möchte Bettina Junkersdorf aus Rosenheim wirtschaften. Nur mit einer Nähmaschine ausgestattet, beginnt sie, Accessoires aus alten Kletterseilen zu nähen. Mittlerweile hat sie sich selbstständig gemacht und verfolgt ein bestimmtes Ziel.

Rosenheim – Eigentlich hatte Bettina Junkersdorf nie etwas fürs Klettern übrig gehabt. Sie spielte lieber Gitarre und tourte als Musikerin durch die Welt. Doch irgendetwas fehlte in ihrem Leben. Sie wollte die Welt verbessern und zu mehr Umweltschutz beitragen. Freunde überredeten Junkersdorf zu einem Kletterausflug. Ein Freund gab ihr ein altes Seil und fragte sie, ob sie nicht etwas daraus basteln könnte. Die Rosenheimerin setzte sich an ihre Nähmaschine und damit begann ihr großes Projekt.

Dabei stellte sich Junkersdorf die Frage, was mit den alten Kletterseilen passiert, die unbrauchbar werden. Sie startete eine Umfrage bei Kletterhallen. Doch eine Antwort darauf hatte keiner. Jedes Seil habe nur eine gewisse Lebensdauer. Sobald ein kleiner Makel entsteht, kann es nicht mehr fürs Klettern benutzt werden. Junkersdorf vermutet, dass diese sofort im Müll landen. Das wollte die 41-Jährige ändern.

Herzensprojekt für
mehr Nachhaltigkeit

Junkersdorf stellte Sammeltonnen in Kletterhallen auf. Am Anfang waren es nur wenige Seile, die zusammen kamen. Sie nähte daraus einfache Accessoires, wie Hundeleinen, Gürtel oder Schlüsselanhänger.

Immer mehr Kletterhallen kamen hinzu und Junkersdorf bekam immer mehr Ideen, die sie umsetzen wollte. Sie gründete 2016 die Firma „Newseed“ und eröffnete einen Onlineshop. „Es ist mein Herzensprojekt, um für mehr Nachhaltigkeit einzustehen und die Welt etwas besser zu machen“, sagt die Rosenheimerin.

In ihrem Shop bietet sie nun über 30 verschiedene Produkte an. Darunter Geldbeutel, Rucksäcke, Teppiche und Untersetzer. Die Seile erhält sie aus den 35 Sammeltonnen, die in Kletterhallen, Bergsteigerschulen und Klettergärten stehen.

Von der Kletterhalle in Thalkirchen in München bekommt Junkersdorf zudem alle drei bis vier Wochen eine Tonne mit bis zu 50 Kilogramm Seilen. „Die Beteiligung ist so groß, dass wir mittlerweile eine Warteliste haben“, sagt Junkersdorf. Vom Seilhersteller Edelrid aus dem Allgäu bekommt sie Schnittreste und Kletterseile, die es nicht in die Produktion schafften. Die Rosenheimer Firma Weishäupl spendet Verschnitte aus der Produktion von Sonnenschirmen.

Die Freude über die große Beteiligung war aber nicht immer so groß. Der Anfang sei schwer gewesen. Ihr Shop ging schnell viral. Die Nachfrage nach den Produkten stieg. Der Keller füllte sich mit Kletterseilen. Mit ihrer Nähmaschine versuchte Junkersdorf, die Seile zu verarbeiten. „Irgendwann war ich überfordert und gestresst. Ich wusste nicht mehr, wie es weitergehen soll“, sagt Junkersdorf. Die Lösung war, die Produktion auszulagern. Begeisterte Helfer fand Junkersdorf bei der Behindertenwerkstatt „Lebenshilfe Hand in Hand“ in Guben.

Vom alten Seil
zum neuen Produkt

„Die Tonnen werden direkt in die Werkstatt geliefert. Dort werden die Kletterseile von den Mitarbeitern gewaschen, gepresst und zusammengenäht“, sagt Junkersdorf. Zwölf Mitarbeiter sind an der Produktion beteiligt. Wenn die Sammeltonnen geliefert werden, sortieren die Mitarbeiter die Kletterseile nach Verwendungszweck. Dafür werden sie auch auf eine Länge geschnitten. Dann geht es an die Reinigung. Besonders die gebrauchten Seile müssen sorgfältig gesäubert werden. „Für Topflappen, Untersetzer und Liegestühle nehmen wir immer Schnittreste, da diese noch unbenutzt sind“, sagt Junkersdorf.

Dann geht es für die Mitarbeiter ans Trennen. Das Äußere muss vom Seilkern getrennt werden. Denn nur der Seilmantel wird für die weitere Verarbeitung gebraucht. Auch ohne den Seilkern bleibt das Äußere hart und in seiner runden Form. Deshalb presst eine Maschine diese platt. „Früher habe ich das mit meinem Bügeleisen gemacht. Das hat ewig gedauert“, sagt Junkersdorf und lacht.

Bevor es ans Nähen geht, müssen die Seile trocknen und noch einmal sortiert werden. Denn nicht jeder Seilmantel eignet sich für die Herstellung jedes Produkts. „Ich hatte immer eine klare Vorstellung, wie die Produkte aussehen sollten. Welche Farben ich dafür verwenden möchte. Daran mussten sich auch meine Mitarbeiter halten“, sagt Junkersdorf. Doch das hat sich geändert. Die Mitarbeiter setzen ihre eigenen Ideen um und treffen damit die verschiedenen Geschmäcker der Kunden – und auch den von Junkersdorf.

Zusammenarbeit für
Junkersdorf wichtig

Eine große Überraschung war für sie der Liegestuhl, der von den Mitarbeitern entworfen und hergestellt wurde. „Ich wusste davon nichts. Bei einem Besuch präsentierten sie ihn mir“, erinnert sich die 41-Jährige. Nun ist er Teil des Sortiments. Für Junkersdorf ist diese Zusammenarbeit wichtig. „Es ist schön zu sehen, wie viel Spaß alle beim Arbeiten haben und neue Produkte entwickeln.“

Für die Lebenshilfe Werkstätten „Hand in Hand“ war die Anfrage zunächst ungewöhnlich. Doch die Mitarbeiter zeigten sich schnell begeistert und wollten das Projekt mit angehen. „Natürlich verlief die erste Zeit sehr holprig und manchmal standen wir vor den verschiedensten Problemen“, sagt Henry Dommenz, Werkstattleiter in Guben. Doch die Mitarbeiter fanden sich in die Arbeit ein.

Kreativität ausleben
und etwas Gutes tun

Junkersdorf schaut zufrieden auf ihre Erfolge zurück. So produzierte die Firma auch Werbegeschenke für Unternehmen wie Microsoft und die Münchner Bank. Zudem fertigte sie eine Sonderkollektion von Schlüsselanhänger für die Olympischen Spiele in Tokio an.

Für die Zukunft hat Junkersdorf noch viele Ideen. Doch sie geht es entspannt an, denn Sorgfalt ist ihr wichtig. Von ihrer Arbeit kann sie gut leben. Doch das war für sie nie die Hauptsache. „Mit dieser Arbeit kann ich meine Kreativität ausleben und gleichzeitig etwas Gutes tun“, sagt sie.

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