Rosenheim – „Eine Schule sieht mich erst wieder, wenn ich meine eigenen Kinder zur Einschulung bringe.“ Das war, so sagt Matthias Bogenberger, seine felsenfeste Überzeugung nach dem Abitur. Und dennoch wurde er dann nicht nur Lehrer, sondern auch Rektor und blieb das 26 Jahre lang an ein und derselben Schule, der Philipp-Neri-Schule in Rosenheim, die ihn jetzt in den Ruhestand verabschiedete.
Eine ganz
besondere Schule
Der Knackpunkt dabei: Die Philipp-Neri-Schule ist eine ganz besondere, eine Schule für Kinder mit geistigen Beeinträchtigungen. Matthias Bogenberger selbst würde das aber anders formulieren und dazu muss man ein wenig ausholen: Seinen Zivildienst nach dem Abitur leistete er in der Kinderklinik Aschau ab und da, sagt er, „entdeckte ich, dass Schule auch so ganz anders sein kann, als ich sie erlebt habe: Ohne Repressionen, stattdessen so frei, wie Schule nur sein kann.“
Kampf gegen das Schubladendenken
Und er lernte dort auch sehr früh, dass der Schlüssel zum Verständnis der Kinder kein komplizierter ist: Man müsse nur versuchen, sagt Matthias Bogenberger, sie mit ihren eigenen Augen zu sehen und so auch die Welt um sie herum. „Kein Kind sieht sich selbst als behindert an, diese Kategorien stülpen wir ‚Normalen‘ ihnen über und ganz ohne solche Kategorisierungen geht es auch nicht. Dennoch: Im alltäglichen Umgang mit ihnen sollten wir so ein Schubladendenken vergessen.“ Und es ist wichtig, sich daran zu erinnern: Diese Äußerungen stammen nicht von einem Junglehrer, der gerade sein Referendariat antritt und noch voller schöner, teilweise romantischer Illusionen über seinen Beruf steckt. Sondern von einem, der 37 Praxisjahre als Lehrer hinter sich hat.
Praxisjahre, in denen er, und das ist vielleicht der Schlüssel, immer neue Ideen hatte, wie der Chancenhorizont für Kinder mit Behinderungen zu erweitern wäre. Nur ein Beispiel: Matthias Bogenberger setzte zu einer Zeit auf den Computereinsatz in der Schule – nämlich schon in den Achtzigern – als in den meisten Büros noch ganz selbstverständlich mit der Schreibmaschine hantiert wurde. Computer und Schule, das war für die meisten Science-Fiction und Computer an einer Schule für Kinder mit geistigen Beeinträchtigungen vollends ein schlechter Witz. Für Matthias Bogenberger aber war schon damals klar: Für einen Legastheniker etwa würde das Schreiben von Texten weniger peinvoll und weniger bedrohlich sein, wenn er wüsste, dass die Maschine Fehler automatisch korrigieren würde. Und Spracherkennung würde den Kreis noch einmal erweitern, da bereits das gesprochene Wort zu schriftlichem Text wird. Diese Ideen, wie gesagt, in der computertechnischen Steinzeit entwickelt und, wie Matthias Bogenberger beschreibt, „überhaupt nur umzusetzen, weil wir unsere allerersten entsprechenden Programme selbst schrieben.“
Die Frage aber „Ist das überhaupt eine Technik für behinderte Kinder?“ stellte sich ihm nie, denn seiner Ansicht nach wäre so eine Frage vollkommen falsch gestellt. Die richtige wäre hier wie überall sonst: Mit welchen Methoden kann ich den Zugang erleichtern?
Rollenbild als Begleiter vieler
Entscheidend dabei: Für die Laudatoren beim kleinen Festakt zur Verabschiedung, wie etwa Thomas Schwarz vom Caritasverband oder Klaus Gößl vom Kultusministerium, war dieses „der Zeit oft meilenweit voraus sein“ geradezu ein Kennzeichen für Matthias Bogenberger. Sich mit Visionen in einer „langsameren“ Umwelt durchzusetzen, fordert Geduld und auch Kraft. Und nicht umsonst gibt es den Spruch, dass zu jedem erfolgreichen Menschen ein Ehepartner gehört, der ihm den Rücken freihält. Einen solchen hat in seiner Frau Dagmar Klotzbücher auch Matthias Bogenberger gefunden. Er hatte aber noch eine weitere sichere Basis: Sein Lehrerkollegium, das ihm geschenktes Vertrauen mit Solidarität und tätiger Unterstützung vergalt.
„Ich sah mich in meiner Rolle als Rektor nie gern als Anführer, stattdessen als Begleiter vieler, die ihrerseits tolle Ideen und bewundernswertes Engagement hatten und haben.“
Inklusion alltäglich werden lassen
Anlässlich des 50-jährigen Jubiläums der Philipp-Neri-Schule 2022, hatte Matthias Bogenberger gesagt: „Inklusion werden wir erst dann erreicht haben, wenn keiner mit dem Wort etwas Rechtes mehr anfangen kann, weil dieser Zustand schon zu unserem Alltag geworden ist.“
Davon sind wir sicher noch weit entfernt. Man muss aber bedenken, dass es zu den Zeiten, in denen Matthias Bogenberger sein Referendariat begann, noch gar nicht lange her war, dass behinderte Kinder kein Anrecht auf Betreuung oder gar einen Schulbesuch hatten. Dies als Maßstab genommen haben sich die Umstände wirklich gewaltig verbessert – und einer, der die Entwicklung mit vorantrieb, war Matthias Bogenberger ein Umstand, der ihn – und auch das ist bezeichnend – weniger stolz macht als vielmehr mit großer Freude und Dankbarkeit erfüllt.