Rosenheim – Es gibt für alles einen Grund. Davon ist Rainer Kumberger überzeugt. Seit 41 Jahren betreibt der 66-Jährige das Fitnessstudio „1st Fitness“ an der Georg-Aicher-Straße in Rosenheim. Ende des Monats soll das gesamte Studio geräumt werden. „Seit drei Jahren kann ich die Miete nicht mehr voll bezahlen. Und das, obwohl mir mein Vermieter, Richard Wurm, während der Corona-Lockdowns mehrmals sehr entgegenkam“, sagt Kumberger.
Vom Turnen zum
Bodybuilding
Er sitzt auf einem Sofa, vor ihm auf dem Tisch liegen Zeitschriften aus den vergangenen Jahren. Kunden begrüßt er mit Vornamen, hin und wieder unterbricht er das Gespräch, um ans Telefon zu gehen. „Ich habe schon immer gerne Sport gemacht“, erinnert sich Kumberger. Er habe geturnt, sich im Taekwondo probiert und sei schließlich beim Bodybuilding gelandet.
Aus einer Schublade zieht er ein Polaroid-Foto – aufgenommen am 15. Oktober 1987 um 19.30 Uhr. Es zeigt Rainer Kumberger kurz vor seinem ersten – und letzten – Wettkampf. „Da war ich in guter Form“, sagt er und lacht. Vier Jahre zuvor hatte er sich dazu entschieden, sein erstes eigenes Studio in Kolbermoor zu eröffnen. Auf 500 Quadratmetern schaffte er ein Paradies für Bodybuilder. Nachdem der Vermieter der Räume drei Jahre später Insolvenz angemeldet hatte, musste sich Kumberger nach einer neuen Bleibe umsehen – und wurde in der Georg-Aicher-Straße in Rosenheim fündig.
„Es lief sehr gut an“, sagt der heute 66-Jährige. Damals habe es in Rosenheim gerade einmal zwei Fitnessstudios gegeben. Über die Jahre seien die Mitgliederzahlen kontinuierlich gestiegen. „Zu den Hochzeiten haben 1500 Leute bei mir trainiert“, sagt Kumberger. 2010 erweiterte er sein Studio von 1400 auf 2000 Quadratmeter. „Ich bin mit Freude in die Arbeit gegangen und mit Freude wieder nach Hause“, sagt er.
Daran habe auch die Pandemie nichts geändert. Zumindest zu Beginn. Doch je länger sein Studio aufgrund des Lockdowns geschlossen bleiben musste, umso größer wurden die Probleme. Die Zahl der Kündigungen nahm zu, die Einnahmen sanken. „Es ging immer weiter abwärts“, erinnert sich Kumberger. Nach und nach musste er seine Mitarbeiter entlassen, seit September 2021 schmeißt er das Studio alleine.
Er betritt um 6 Uhr das Studio, öffnet es um 8 Uhr und bleibt bis 21.30 Uhr. Er unterhält sich mit den Kunden, gibt ihnen Tipps bei den verschiedenen Übungen und sorgt dafür, dass es an nichts fehlt. An vier Tagen im Jahr hat er frei, den Rest verbringt er in seinem Studio. Seit Mittwoch, 31. Januar, weiß er, dass damit Schluss ist. Es war der Tag, als ihm der Vermieter des Hauses mitgeteilt hat, dass er schließen muss.
„Bereits vor zwei Jahren wurde mir mein Mietverhältnis zum 31. Juli 2024 gekündigt“, sagt Kumberger. Weil nun jedoch ein Nachmieter – die Fitnesskette Jumpers – gefunden werden konnte, sei der Kündigungstermin auf den 29. Februar vorverlegt worden. „Gerechnet habe ich damit nicht“, sagt er. Auch, weil er immer davon ausgegangen ist, dass er das Ruder doch noch herumreißen kann, es ihm irgendwie gelingen könnte, die Kündigung aufzuheben. „Zum Schluss lief es gut, ich konnte die Einnahmen um zehn Prozent steigern“, sagt er. Ausgereicht hat das am Ende nicht.
„Ich hätte während der Pandemie mehr Gas geben müssen. Aber ich war noch nie der Marketing-Typ. Trainieren kann ich, Marketing kann ich nicht“, sagt er. Von Enttäuschung und Traurigkeit fehlt in seiner Stimme jede Spur. „Ich habe in meinem Leben gelernt, dass, wenn eine Tür zugeht, irgendwo eine andere aufgeht“, sagt er. Statt Trübsal zu blasen, ist er dankbar dafür, dass er in den vergangenen 40 Jahren seinen Traum ausleben konnte.
Die zusätzliche Freizeit will er nutzen, um Klavier zu spielen, zu lesen und zu trainieren. Aber auch, um sich um seine Gesundheit zu kümmern. Denn vor einem Jahr wurde bei ihm Krebs festgestellt. Seitdem hat er sechs Kilo abgenommen, ansonsten gehe es ihm sehr gut, sagt er. Er ernährt sich gesund, macht auch weiterhin regelmäßig Fitness-Training. „Ich war mein ganzes Leben lang gesund und der Krebs wird sich auch wieder verziehen“, sagt Kumberger.
Lob eines
Olympia-Teilnehmers
Es ist diese positive Lebenseinstellung, die ihn auch durch die kommenden Tage begleiten wird. Dann, wenn es darum geht, sich um die Abwicklung seines Studios zu kümmern. Inventar, Fitnessgerät, Kurzhanteln, Turnmatten, Umkleidebänke, Spiegel und Boxsäcke müssen rausgeräumt, die Theke abgerissen und die zahlreichen Wandbilder entfernt werden. „Kunstmaler haben ein paar 1000 Stunden Arbeit da rein gesteckt“, sagt Kumberger.
Es ist das erste Mal während des Gesprächs, dass er sentimental klingt. „In dem Studio stecken viele Erinnerungen“, sagt er. Er erzählt von Kunden, die zu Freunden geworden sind, und Olympia-Teilnehmern wie Peter Hensel, die zu ihm zum Training gekommen sind. „Es gab auch Tränen von einigen Kundinnen, als sie von der Schließung erfahren haben“, sagt er. Kurz blickt er sich um, streicht mit der Hand über die Theke.
Sein Blick bleibt an der Malerei an der Wand schräg gegenüber hängen, auf der ein Segelschiff zu sehen ist, das den Hafen verlässt. „Dieses Schiff bricht zu einem neuen Ziel auf. Und das ist gut so“, sagt er. Dann fügt er hinzu: „Aber was ich auch in meinen 66 Jahren gelernt habe, ist, dass letztendlich nicht das Ziel entscheidend ist, sondern der Mensch, zu dem man wird, auf dem Weg zu diesem Ziel.“