„Wir stehen vor einem Kollaps“

von Redaktion

Interview Veronika Lindner vom Verband für Kita-Fachkräfte kämpft für Verbesserungen

Rosenheim – Veronika Lindner liebt ihren Beruf. Seit 2018 arbeitet sie als Kita-Leiterin und weiß, welche Herausforderungen warten. „Jeden Tag werden Bedürfnisse der Kinder und des Fachpersonals in Kindertageseinrichtungen missachtet“, sagt die Vorsitzende des Verbands für Kita-Fachkräfte. Die aktuellen Rahmenbedingungen würden es nicht erlauben, auf jedes einzelne Kind Rücksicht zu nehmen. Viele Kinder gehen laut der Vorsitzenden im hektischen Alltag unter. „Oftmals ist es nicht mal möglich, jedes Kind gut zu betreuen und zu umsorgen“, fügt sie hinzu. Aus diesem Grund hat sie gemeinsam mit den anderen Mitgliedern ihres Verbands eine Petition gestartet. Insgesamt sind so rund 14800 Unterschriften zusammengekommen. Diese sollen Ende des Monats an Doris Rauscher, Vorsitzende des Sozialausschusses im bayerischen Landtag übergeben werden.

Stecken wir schon mitten im Kita-Kollaps?

Ja. Wir müssen feststellen, dass die Situation immer schlimmer wird, und die Maßnahmen, die ergriffen werden, nicht ausreichen. Dadurch dreht sich die Spirale weiter und wir rutschen in einen Teufelskreis. Es gelingt uns nicht, das System zu stabilisieren und uns so aufzustellen, dass es gelingt, neues Personal zu finden, das gerne in dem Beruf arbeitet. Ich habe einfach das Gefühl, dass vonseiten des Freistaats zu wenig gemacht wird.

Und trotzdem machen Sie den Beruf gerne.

Ja. Es ist immer wieder schön, die Familien ein Stück weit auf ihrem Lebensweg zu begleiten. Man bekommt von den Kindern viel Resonanz und kann immer wieder Fortschritte feststellen. Es ist ein toller Beruf, durch den man Erfahrungen sammeln kann und den Kindern für die Zukunft viel mitgeben kann.

Wie würden Sie die Situation in den Kitas beschrieben?

Die Situation ist schwierig. Die gesetzlich vorgegebenen Rahmenbedingungen reichen durch die gestiegenen Anforderungen nicht mehr aus. Der Personalmangel ist hoch und verschärft die Situation. Er führt dazu, dass nicht auf jedes einzelne Kind Rücksicht genommen werden kann und einige im hektischen Alltag untergehen. Das wiederum hat zur Folge, dass  die  Kinder  bei Personalmangel nicht ausreichend gebildet und gefördert werden können.

Die Situation stellt auch Eltern vor Herausforderungen.

Das stimmt, beispielsweise dann, wenn Öffnungszeiten gekürzt werden, die Eltern aber berufstätig sind. Die Eltern sind auf die Bildung und die Betreuung in den Kitas angewiesen, immer wieder können diese Erwartungen in den Einrichtungen aber nicht erfüllt werden.

Hat sich die Situation im Vergleich zu den Vorjahren verschlechtert?

Ja, gerade mit Blick auf den Personalmangel. Es dauert deutlich länger, bis offene Stellen wieder neu besetzt werden können.

Warum entscheiden sich immer weniger Fachkräfte dafür, in der Kita zu arbeiten?

Ich glaube nicht, dass es weniger Fachkräfte gibt. Das Problem ist, dass Einrichtungen schneller gebaut werden, als Personal gefunden und ausgebildet wird. Hinzu kommt, dass durch die geltenden Rechtsansprüche noch mehr Plätze und somit auch mehr Personal benötigt wird.

Wie kann das Problem gelöst werden?

Es gibt nicht die eine Lösung, aber wir haben viele verschiedene Ideen. Die Umsetzung von fünf dieser Ideen fordern wir in unserer Petition „Stoppt den Kita-Kollaps #rettetdiekitas“. Da wäre beispielsweise die flächendeckende Bereitstellung von Verwaltungsfachkräften und von Hauswirtschaftskräften, um das Personal zu entlasten.

Einfach formuliert: Dem Kita-Personal soll die Bürokratie erspart werden?

Genau, es muss nicht unbedingt sein, dass eine Fachkraft, die für eine gute Bildung der Kinder ausgebildet ist, beispielsweise den Geschirrspüler ein- und ausräumt oder Staub wischt. Jedoch gehört genau das zu unseren täglichen Aufgaben in den Kitas. Wünschenswert wäre an dieser Stelle, dass diese Aufgaben von Hauswirtschaftskräften übernommen werden, sodass wir mehr Zeit haben, um uns um die Kinder zu kümmern.

Neben dem Abbau der bürokratischen Hürden fordern Sie in der Petition auch den Ausbau und die Vergütung von Ausbildungsplätzen.

Es muss mehr Ausbildungsplätze geben. Zwar hat sich in den vergangenen Jahren an dieser Stelle einiges getan, aber wir merken, dass es nicht ausreicht. Es fehlt beispielsweise die Möglichkeit der Teilzeit-Ausbildung. Deutlich gefragter ist mittlerweile die praxisintegrierte Ausbildung. Im Rahmen dieser Ausbildung können Schule und Praktikum miteinander verbunden werden. In der Kinderpflegeausbildung gibt es aber weiterhin das  Problem, dass die Ausbildung nicht vergütet ist. Denn nicht jeder hat einen Anspruch auf BAföG. Uns wäre es einfach wichtig, dass die Erzieher- und Kinderpflegeausbildung entsprechend honoriert wird. Dadurch könnte ein zusätzlicher Anreiz geschaffen werden, um in den Beruf einzusteigen.

Eine Möglichkeit, um beispielsweise den Personalmangel in den Griff zu bekommen, wäre die Einstellung von Mitarbeitern, die aus dem Ausland kommen und in der Region wohnen.

Das funktioniert jedoch nur dann, wenn ausländische Abschlüsse schneller anerkannt werden. Es gibt Kommunen, in denen das bereits sehr gut funktioniert, bei anderen wartet man zum Teil mehrere Wochen. Trotz allem ist es uns wichtig, dass die Qualität auch weiterhin gewährleistet werden muss. Das kann beispielsweise dadurch gelingen, dass die Ausbildungen überprüft und fehlende Schwerpunkte nachgeschult werden.

In der Petition fordern Sie auch einen besseren gesetzlich vorgeschriebenen Anstellungsschlüssel von aktuell 11,0 auf 8,0 ab September 2026.

Damit wollen wir erreichen, dass es mehr Personal in den einzelnen Gruppen gibt. Dadurch könnte es gelingen, dass mehr Personal vor Ort ist, um die Gruppe teilen zu können und sich um einzelne Kinder zu kümmern. Zudem würde dadurch mehr Zeit für Elternarbeit und andere Aufgaben möglich werden. 

Auch die Gruppen sollen kleiner werden. Was erhoffen Sie sich davon?

Dadurch könnte das Personal entlastet werden, zudem kann auf die einzelnen Befindlichkeiten der Kinder besser eingegangen werden. In der Regel befinden sich in einer Kindergartengruppe 25 Kinder. In den Räumen ist es sehr laut. Das ist nicht nur für das Personal anstrengend, sondern auch für die Kinder. Wenn das Personal dann ohnehin knapp ist und eine Gruppe aufgrund des fehlenden Platzes auch zeitweise nicht geteilt werden kann, führt dies häufig zu Reizüberflutung. Bei kleineren Gruppen würde es dieses Problem  viel weniger geben. 

Hört sich an, als ob Sie vor einer Vielzahl von Herausforderungen stehen.

Das kann man wohl so sagen. Mit der Petition wird es uns hoffentlich gelingen, mehr Aufmerksamkeit auf den Bereich zu lenken und den Politikern und Politikerinnen Ideen, aber auch Ratschläge an die Hand zu geben.

Was erhoffen Sie sich von der Petition?

Wir gehen aktuell nicht davon aus, dass jeder einzelne Punkt angenommen wird, aber wir hoffen, dass wir wenigstens einiges durchbekommen. Für diejenigen, die in der Praxis tätig sind, würden der Anstellungsschlüssel und die Gruppengröße den wohl größten Unterschied machen. Für die Politik am einfachsten umzusetzen wäre wahrscheinlich der Ausbau der Ausbildungsplätze.

Was würden Sie Menschen sagen, die darüber nachdenken, ihren Berufsweg einzugschlagen, im Bereich der Kinderbetreuung zu arbeiten?

Ich würde ihnen sagen, dass es ein herausfordernder Beruf ist. Aber: Wenn wir uns weiterhin dafür einsetzen, dass sich die Bedingungen verbessern, dann kann es wieder ein ganz toller Beruf werden, mit dem man viel bewegen kann.

Interview: Anna Heise

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