Entschiedener Ruf nach Religionsunterricht

von Redaktion

Der Vorschlag der bayerischen Kultusministerin Anna Stolz, eine Stunde Religion zugunsten von Deutsch und Mathe an den Grundschulen zu streichen, stößt bei Vertretern der Kirche und Ministerpräsident Söder auf Entsetzen. Was Rosenheimer Pfarrer und Lehrer von ihrer umstrittenen Idee halten.

Rosenheim – Im bayerischen Kultusministerium wird im Moment heiß diskutiert: Nach dem mangelhaften Abschneiden der deutschen Schüler bei der jüngsten PISA-Studie empfiehlt die bayerische Kultusministerin Anna Stolz, eine Stunde Religion an den Grundschulen zu streichen und stattdessen mehr Mathe und Deutsch zu unterrichten. Ministerpräsident Söder lehnt eine solche Kürzung des Religionsunterrichts vehement ab.

Vorschlag nicht
nachvollziehbar

„Unserer Gesellschaft fehlt religiöses Wissen“, das steht für Dr. André Golob fest. Er ist Religionswissenschaftler und Pfarrer der Alt-Katholischen Kirchengemeinde in Rosenheim. Seiner Meinung nach ist es essenziell, den Kindern bereits im jungen Alter moralische Werte zu vermitteln.

Diese Wertevermittlung würde vor allem durch den Religionsunterricht gefestigt werden. „Dafür muss man sich an den Schulen sehr viel Zeit nehmen. Wenn dann von den drei Stunden Religion in der Woche, was vergleichsweise wenig ist, eine Stunde wegfällt, ist das schon eine Menge.“

Ebenso solle auch vermehrt moderne Theologie an den Schulen thematisiert werden. „Gerade in unserem digitalen Zeitalter könnte diese den Kindern dabei helfen, ihre eigene Identität besser zu verstehen, Dinge zu hinterfragen und Orientierung zu finden“, sagt Golob.

Für Golob sei der Vorschlag der Kultusministerin ebenfalls unverständlich. „Religion ist für den Menschen da. Es geht nicht darum, sich auf die Knie zu werfen, sondern um das eigene Wohlbefinden. Sich als Mensch weiterzuentwickeln und empathisch mit anderen Menschen umzugehen, hat dabei einen sehr hohen Stellenwert“, erläutert Golob.

„Außerdem wird im Religionsunterricht ständig über den Tellerrand hinausgeschaut und darüber aufgeklärt, inwiefern die verschiedenen Religionen miteinander verbunden sind.“ Dies würde den Schülern besonders Toleranz lehren, was vor dem Hintergrund der derzeitigen gesellschaftlichen und politischen Situation von großer Bedeutung sei. Den Kindern dies durch Kürzung des Religionsunterrichts zu entziehen, halte er für falsch.

Verlust von
Lebenswichtigem

Zustimmung bekommt er von Sebastian Heindl, Pfarrer der Christkönig-Kirche: Den Religionsunterricht in den Grundschulen zu kürzen, damit sich die Kinder in den Kernfächern verbessern, sei „der verkehrte Weg“. Seiner Einschätzung nach käme es oftmals nur noch auf die erbrachten Leistungen der Schüler an. Dadurch würden die lebenswichtigen Werte zunehmend verloren gehen. Eine Verdrängung von Religion aus der Gesellschaft würde einen Verlust von menschlichem Kontakt und Kommunikation mit sich bringen.

„Wir Menschen brauchen Orientierung, und diese bieten uns Religionen.“ Dabei spiele es keine Rolle, um welche Glaubensrichtung es sich handelt.

„Hinter Weihnachten und Ostern steckt mehr als nur Essen und Trinken – Religionen leisten einen entscheidenden Beitrag, unser Leben und unsere Kultur zu gestalten“, erklärt er. Aus diesen Gründen könne sich Heindl nur schwer vorstellen, dass sich die von der Kultusministerin empfohlenen Maßnahmen positiv auf die Kinder auswirken würden.

Helga Wagner, Schulleiterin der Prinzregentenschule, ist unschlüssig, was sie von dem Vorschlag der Kultusministerin halten soll. Grundsätzlich sei die Vermittlung von Werten und Demokratisierungsprozessen „wahnsinnig wichtig“, und dies fände eben gerade im Religions- und Ethikunterricht statt. Da die Grundschule unter anderem auch Islamunterricht anbietet, werde zudem der Sozialisierungsaspekt in verschiedenen Religionen thematisiert.

Andererseits empfindet Wagner das Anliegen Anna Stolz‘, die Kinder in den Kernfächern zu stärken, als durchaus nachvollziehbar: „Wir müssen besonders in Deutsch und Mathematik mehr anziehen“, bestätigt sie. Es sei notwendig, mehr Zeit in das Üben in diesen Sachbereichen zu investieren und den Kindern diese Zeit auch zu geben. Die Umstände in den Schulen würden zudem immer komplexer werden. Als Beispiel nennt die Schulleiterin die wachsenden Klassengrößen, worunter auch die Qualität des Unterrichts leide. „Als Lehrer muss man sich oft die Frage stellen, wie viele Schüler man in einer Unterrichtsstunde überhaupt erreichen kann.“

Alternativer
Lösungsvorschlag

Söders Empfehlung, statt im Fach Religion beim Englischunterricht einzusparen, steht sie kritisch gegenüber. „Als ich damals meinen Dienst als Lehrerin antrat, gab es in den Grundschulen noch keinen Englischunterricht“, erklärt sie.

Erst später wäre der Englischunterricht im Umfang von zwei Wochenstunden eingeführt worden. „Ich sehe es so: Je früher man mit dem Lernen einer Sprache beginnt, desto leichter tut man sich.“ Als alternativen Lösungsvorschlag, um die Kinder zu unterstützen, könne sie sich vorstellen, die Grundschulen zu Ganztagsschulen auszubauen.

Für die Zukunft würde sich die Schulleiterin eine differenziertere Betrachtung der Situation durch die Kultusministerin und den Ministerpräsidenten wünschen. „Es wäre schön, wenn sie sich die Zeit nehmen würden und sich einmal anschauen, wie es an den Schulen wirklich läuft.“ Nur dann könne man eine sinnvolle Lösung finden, die den Bedürfnissen der Schüler gerecht wird.

Beim Bayerischen Elternverband (BEV) stieß Söders Gegenvorschlag, statt in Religion gegebenenfalls Wochenstunden in Englisch zu streichen, auf Gegenwind. Es sei fragwürdig, wieso gerade beim Religionsunterricht eine Kürzung ausgeschlossen sei – dies jedoch nicht für das Fach Englisch gelte.

Kritisiert werde auch die Forderung Söders nach einer einheitlichen, flächendeckenden Lösung für alle Schulen Bayerns. Stattdessen solle man den Lehrerinnen und Lehrern „die Freiheit und die Sicherheit“ geben, „den Unterricht differenziert, flexibel und kindgerecht gestalten zu dürfen“ teilt Martin Löwe, Landesvorsitzender des BEV, in einer Pressemitteilung mit.

Adrian Pickel ist seit knapp 30 Jahren als Religionslehrer an der Grund- und Mittelschule Fürstätt tätig. Auch er spricht sich gegen eine Kürzung des Religionsunterrichts aus. Anders als in anderen Fächern hätten die Kinder im Religionsunterricht die Möglichkeit, in „einer sehr vertrauten Umgebung“ über ihre persönlichen Anliegen und Gefühle zu sprechen, was sich positiv auf deren seelische Gesundheit auswirke. „Es ist ein Schutzraum, den ich in anderen Fächern nicht habe“, beschreibt er. Daher wären die zwei bis drei Stunden Religion in der Woche laut Pickel „wertvoll und unverzichtbar“.

Darüber hinaus kämen die Schüler im Religionsunterricht stets mit anderen Glaubensrichtungen in Berührung, was einen toleranten und respektvollen Umgang fördere. Auch, weil der evangelische Religionsunterricht aufgrund der sinkenden Zahl der evangelischen Schüler zum Teil ohnehin bereits auf eine Wochenstunde reduziert worden sei, empfindet er den Vorschlag der Kultusministerin als weniger sinnvoll.

Ob es zielführend wäre, stattdessen bei anderen Fächern einzusparen, bezweifelt er: „Die Schule hat einen gesamtgesellschaftlichen Auftrag und die Kinder müssen ganzheitlich gefördert werden.“

„Werteerziehung auch im Matheunterricht“

Etwas anders schätzt Miriam Lakowski, Schulleiterin an der Grundschule Pang, die Situation ein. „Natürlich hat der Religionsunterricht seine Berechtigung“, erklärt sie, „aber man darf sich durchaus die Frage stellen, ob drei Stunden Religion in der Woche wirklich notwendig sind. Es ist ein heikles Thema.“

Das Argument der Werteerziehung ließe sich ihrer Meinung nach leicht entkräften, da diese nicht an den Religionsunterricht gebunden sei. „Bei uns findet immer Werteerziehung statt – sogar im Matheunterricht!“ Und auch eine Deutschstunde könne man so verpacken, dass den Kindern stets das Gefühl der Klassengemeinschaft vermittelt werde. Aber wie genau ein Lösungsvorschlag mit Blick auf die Zukunft aussehen könnte, sei schwierig zu beantworten. In jedem Fall müsse eine vernünftige Entscheidung her, die den Förderbedarf der Kinder berücksichtigt.

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