Rosenheim – Als erfahrener Sportmoderator, Talkmaster und jüngst Musiker hat Reinhold Beckmann sein Publikum im Griff: Locker begrüßte er die zahlreichen Zuhörer in der Buchhandlung Rupprecht und fesselte sie rhetorisch geschult fast zwei Stunden lang, indem er aus seinem Buch „Aenne und ihre Brüder. Die Geschichte meiner Mutter“ las. Ein „erzählendes Sachbuch“, wie es in der Ankündigung hieß.
Reinhold Beckmanns Mutter Aenne ist im Jahr 1921 in Wellingholzhausen bei Osnabrück geboren: „Wellingholzhausen ist kein katholisches Dorf. Es ist ein sehr katholisches Dorf“, konstatierte Beckmann. Er tauchte tief in das harte Handwerkerleben und das katholische Milieu dieses Dorfes ein, erzählte, wie Aennes Mutter ein Jahr nach Aennes Geburt starb und der Vater wieder heiratete. Darauf kam noch ein Bruder auf die Welt, sodass Aenne vier Brüder hatte. Beckmann erzählte, wie auch Aennes Vater bald starb und Aenne darauf einen Stiefvater bekam.
Nach kurzer Schulzeit, kurzer Zeit als Bauernmagd und kurzer Zeit als Bedienung in einer Kneipe heiratete sie den jungen Kaufmannssohn Willi Beckmann und bekam drei Söhne: „Manchmal geht’s auch zufällig ins Glück“, sagte Beckmann dazu, denn die Ehe wurde glücklich.
Auf dem Klavier stand immer der Adidas-Schuhkarton mit den Feldpostbriefen der vier Brüder von Aenne. Immer an Weihnachten wurden die Briefe gelesen und immer haderte Aenne mit ihrem Herrgott. Denn alle vier Brüder fielen im Krieg – der älteste in Ostpreußen, nachdem er die Belagerung von Leningrad mitgemacht hatte, der zweitälteste, der aus Wellingholzhausen wegwollte und es immerhin bis Leipzig schaffte, fiel kurz vor Moskau, der dritte wurde bei Stalingrad vermisst und der vierte fiel kurz vor Kriegsende. Kürzlich bekam Reinhold Beckmann die Erkennungsmarke seines vor Stalingrad gefallenen Bruders, dessen Leiche in einem Bunker entdeckt worden war. Diese Erkennungsmarke lag beim Schreiben des Buches neben ihm. All dies prägte die Familie. Während Beckmanns Vater lange schwieg, redete Aenne immer über diesen Krieg und die vier toten Brüder. Beckmann selber verweigerte deswegen den Kriegsdienst.
Während der Lesung ließ er seine Blicke über die Zuschauer schweifen und suchte Blickkontakt. Im Hintergrund wartete eine Gitarre. Am Schluss sang Beckmann dann das Lied, das er schon im Bundestag – beim Volkstrauertag – gesungen hatte, das Lied von den vier Brüdern. Das „Nie wieder!“ stand im Anschluss allen Zuhörern unsichtbar auf der Stirn.rj