Fentanyl – Ein gefährliches Pflaster

von Redaktion

In der Region starben binnen eines Jahres drei Menschen an den Folgen von Fentanyl-Missbrauch. Jetzt hat die Polizei zwei Tatverdächtige wegen des Verdachts des Handels mit Betäubungsmitteln festgenommen. Doch das Problem bleibt, die Drogenszene ist erfinderisch.

Rosenheim – Es ist eine ungewöhnlich gefährliche Methode: Drogenabhängige durchsuchen Abfälle von Kliniken und Altenpflegeheimen nach gebrauchten Fentanyl-Pflastern. Sie kochen sie aus, um den Wirkstoff herauszulösen und ihn dann intravenös zu injizieren. „Fentanyl ist ein synthetisches Opioid, das zur Behandlung von starken Schmerzen eingesetzt wird – bei Krebspatienten oder nach Operationen“, erklärt der Rosenheimer Sucht-Experte Benjamin Grünbichler, der als Geschäftsführer bei „neon“ arbeitet.

Wenn Schmerzmittel nicht mehr ausreichen

Fentanyl ist ihm zufolge stärker als Morphin und wird oft verwendet, wenn andere Schmerzmittel nicht ausreichen. Das Problem: Fentanyl kann bereits in kleinen Mengen zu einer Überdosierung führen. „Zudem wird es illegal missbraucht, was das Risiko weiter erhöhen kann“, ergänzt Grünbichler. Denn Fentanyl wird nicht nur auf legalem Weg, von Ärzten in Krankenhäusern oder Schmerztherapiezentren verschrieben, sondern ist eben auch auf dem Schwarzmarkt erhältlich.

Die Folgen sind auch im Polizeipräsidium Oberbayern Süd bekannt. „Im Verlauf des Jahres 2022 kam es in unserem Bereich zu etwa 70 aktenkundigen Vorfällen, bei denen Fentanyl-Pflaster missbräuchlich verwendet, beziehungsweise sichergestellt wurden“, sagt Sprecherin Lisa Maier auf OVB-Anfrage. Der Wert liege deutlich über dem der Vor-Corona-Jahre. „Im Jahr 2023 scheint der Trend wieder leicht rückläufig zu sein“, sagt sie. Aber Maier macht kein Geheimnis daraus, dass sich ein Schwerpunkt in der Region abzeichnet.

„Vorgänge in Bezug auf illegalen Konsum von Fentanyl im Raum Rosenheim sind durchaus überproportional feststellbar“, sagt die Sprecherin. So hat es im Einsatzgebiet 18 Rauschgifttote gegeben, sechs sind vermutlich an Fentanyl-Missbrauch gestorben. In der Region sind vier Menschen an einer Überdosis gestorben, bei drei von ihnen war vermutlich Fentanyl im Spiel. „Im Jahr 2023 dürfte die Zahl der Rauschgifttodesfälle wohl ansteigen“, ergänzt Maier. Am Konsum von Fentanyl aber scheint die Steigerung nicht zu liegen.

Die Frage, warum der Konsum in der Region so hoch ist, lässt sich schwer beantworten. Zumal es – bei Verschreibung, aber auch der Entsorgung der Pflaster – strikte Regeln gibt. „Bei Fentanyl handelt es sich um ein Betäubungsmittel. Hierfür gibt es spezielle Rezepte und besondere Dokumentationspflichten. Es ist also deutlich schwieriger, ohne tatsächlichen Bedarf etwas zu bekommen“, sagt Florian Nagele, Geschäftsführer der Mangfall-Apotheke und Vertreter der Landesapothekenkammer in der Region.

Hinzu kommt, dass Fentanyl in der Apotheke in einem Tresor gelagert werden muss, der den Anforderungen des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) entspricht. „Unter 1000 Kilogramm Gewicht muss der Tresor mit Wand oder Boden verankert sein, ein Diebstahl ist hier also schwer möglich“, ergänzt Nagele. Zudem wird die Abgabe von Medikamenten verweigert, wenn der Verdacht besteht, dass sie missbräuchlich verwendet werden sollen. „Die Apotheke kontaktiert in der Regel den verordnenden Arzt, um Rücksprache zu halten, ob die Verordnung korrekt ist oder eventuell eben nicht“, sagt Nagele. Dann werde im Einzelfall entschieden. Dies sei oftmals nicht einfach zu entscheiden, da Apotheker einer Schweigepflicht unterliegen und somit abzuwägen ist, ob diese überhaupt gebrochen werden darf, indem man Informationen etwa an die Polizei weitergibt. Insgesamt wurden im Jahr 2022 laut Polizei 59 Delikte mit Bezug zum Arzneimittelgesetz erfasst.

Auch Florian Nagele weiß, dass Abhängige – gerade bei Fentanyl – oftmals im Müll von Krankenhäusern oder Pflegeheimen nach gebrauchten Pflastern suchen. Aus diesem Grund gibt es beispielsweise im Rosenheimer Romed-Klinikum strikte Regeln. „Bei der Entsorgung von Betäubungsmitteln müssen zwei Zeugen anwesend sein und mittels Unterschrift die korrekte Vernichtung bestätigen“, sagt Pressesprecherin Claudia Meyer. In diesem Zusammenhang weist sie darauf hin, dass es im Romed-Klinikum nur in seltenen Fällen zu einer Neuverschreibung von Betäubungsmitteln für den Zeitraum nach der Entlassung kommt.

Prävention und Therapie sind wichtig

Sollte es doch einmal dazu kommen, gibt es auch hier klare Vorgaben. So sei eine Betäubungsmittel-Verordnung nur mittels eines gesonderten amtlichen dreiteiligen Formulars möglich, welches über die Bundesopiumstelle vom verordnenden Arzt persönlich zu beantragen ist. „Der dritte Teil dieser Verordnung verbleibt beim Arzt und muss von ihm drei Jahre aufbewahrt werden“, ergänzt Meyer.

Für Benjamin Grünbichler müsste die Präventionsstrategie jedoch viel früher ansetzen. „Das Wichtigste aus unserer Sicht ist es, die psychotherapeutische Versorgung für Menschen mit psychischen Belastungen zu gewährleisten“, sagt der Sucht-Experte. Die Wartezeiten für einen Therapieplatz betragen laut Grünbichler häufig Monate. „In dieser Zeit verfestigen sich seelische Probleme und begünstigen den unreflektierten Substanzgebrauch beziehungsweise Medikamentenmissbrauch.“

Der Experte erinnert zudem daran, dass in Deutschland jedes Jahr zwischen 65000 und 70000 Menschen an den direkten Folgen des Alkoholkonsums und 130000 an den direkten Folgen des Rauchens sterben. „Uns Suchtberater wundert es daher häufig, wie viel Aufmerksamkeit die übrigen Drogen und Medikamente erhalten, die zusammengenommen unter 2000 Todesfälle im Jahr verursachen“, sagt er.

Die eigentlichen Probleme hinter Sucht und Drogenmissbrauch gehen die Verantwortlichen ihm zufolge viel zu halbherzig an.

Burkard Blienert – Sucht- und Drogenbeauftragter der Bundesregierung

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