Rosenheim – Ein Mädchen sitzt in der Schulpause immer alleine. Von ihren Klassenkameraden wird sie gemieden. Sie schließen sie aus und wechseln kein Wort mit ihr. Eines Tages wird sie von ihren Mitschülern in eine Whatsapp-Klassengruppe eingeladen. Das Mädchen freut sich. Sie nimmt die Einladung an. Nur um dann zu sehen, dass die gesamte Klasse nach und nach aus der Gruppe austritt. Am Ende ist sie alleine.
Kinder sollen
sensibilisiert werden
Mobbing, Ausgrenzung und Beleidigungen finden schon lange nicht mehr nur auf dem Pausenhof statt. Das weiß auch Marco Bühl, Jugendschöffenrichter und Pressesprecher am Amtsgericht Rosenheim. Das Handy sei schon lange nicht mehr nur ein einfaches Kommunikationsmittel. Kinder und Jugendliche benutzen es immer häufiger für digitale Straftaten.
Für Bühl ist es deshalb wichtig, auf das Thema aufmerksam zu machen. „Ich möchte die Kinder sensibilisieren, welche Gefahren auf den sozialen Medien und im Internet lauern“, sagt er. Er bietet im Auftrag des Amtsgerichts Rosenheim die Veranstaltung „Mach dein Handy nicht zur Waffe“ an. Er klärt auch an Schulen in Stadt und Landkreis Rosenheim über die Gefahren und Konsequenzen im Umgang mit dem Handy auf.
Denn als Richter weiß er, wovon er redet. Die Zahlen von Straftaten am Handy würden steigen. „Das Handy spielt immer eine Rolle, wenn es um Betäubungsmittel, also Drogengeschäfte, geht“, sagt er. Die Bestellungen und die Verabredung für die Übergabe laufen meist in Chats ab. „Auch spielen sie fast immer eine Rolle, wenn es um die Verbreitung von kinder- und jugendpornografischen Inhalten unter Jugendlichen geht“, sagt Bühl.
Strafbar machen sich diejenigen, die ein pornografisches Foto oder Video von einer unter 14-jährigen Person besitzen oder produzieren. Schockierend sei für Bühl, dass die Jugendlichen und Heranwachsenden sich keiner Schuld bewusst sind. „Ihnen fehlt das Bewusstsein dafür, dass Kinderpornografie strafbar ist und welches Leid man seinem Opfer antut“, sagt der Richter. Solche Fälle seien schon lange keine Seltenheit mehr. „Nacktfotos können von den Tätern auch als Druckmittel eingesetzt werden, um noch mehr Bilder zu verlangen. In manchen Fällen geht es bis hin zum erpressten Geschlechtsverkehr“, sagt Bühl.
Unter 14-Jährige seien noch nicht strafmündig. „Beim Jugendamt sind solche Fälle richtig aufgehoben“, sagt Bühl. „Im Jugendrecht steht der Erziehungsgedanke im Vordergrund. „Von sozialen Trainingskursen über einen Täter-Opfer-Ausgleich, über Kurse zum Umgang mit sozialen Medien, über Arbeitsstunden bis hin zu Jugendstrafe, kann alles dabei sein“, sagt er.
Hilfe erhalten jugendliche Opfer und Täter bei Beratungsstellen. Eine davon ist die Rosenheimer Suchtberatungsstelle Neon. In Zusammenarbeit mit der Polizeiinspektion Rosenheim entwickelten sie das Angebot RECONNECT, um jugendlichen Täter nach einer digitalen Straftat zu unterstützen.
Es gebe verschiedene Gründe für solch ein Vergehen. „In vielen Fällen sind es „jugendtypische“ Phänomene: Grenzen austesten und überschreiten, Selbstwerterhöhung durch Herabsetzen anderer, Rolle in der Peer-Group ausloten und einfach nur das klassische Mitläufertum“, sagt Benjamin Grünbichler, Geschäftsführer von Neon. Am häufigsten hätten sie es mit Jugendlichen zu tun, die extremistische oder kinderpornografische Inhalte über Social Media verschicken. In einzelnen Fällen gehe es dem Täter um die Schädigung seines Opfers. „Häufiger ist es jedoch das unachtsame und gedankenlose Verhalten im Cyberspace“, sagt Grünbichler.
Fokus liegt
auf Aufklärung
Auch in Schulen ist die Suchtberatungsstelle tätig. Mit ihrem „Präventionsprojekt an Schulen“ klären sie über das richtige Verhalten in der digitalen Welt auf. Auch die Eltern werden mit einbezogen. „Da sehen wir häufig auch Spielraum nach oben“, sagt Grünbichler.
Beratungsstellen und Aufklärung sind extrem wichtig. Davon ist Marco Bühl überzeugt. Auch die Schulen in der Region zeigen Interesse daran. „Wir wollen die Kinder davor schützen, dass sie im Erziehungsregister beziehungsweise Bundeszentralregister Einträge bekommen“, sagt der Richter.
Wenn ein Jugendlicher verurteilt wird, führt dies zu einem Eintrag im Bundeszentralregister beziehungsweise Erziehungsregister. Bei Bewerbungen könne so was zu Problemen werden. „Die Zahlen und Entwicklungen zeigen leider, dass den Kindern und Jugendlichen das Bewusstsein dafür fehlt. Daran wollen wir nun ansetzen“, sagt Bühl.