Applaus für Angeklagte nach dem Urteil

von Redaktion

Der Prozess war mit Spannung erwartet worden: Gestern standen drei Aktivisten vor Gericht, die im April 2023 eine leer stehende Immobilie an der Münchener Straße in Rosenheim besetzt hatten. Wie hoch die Strafe ausfiel und warum das Urteil an einer Stelle auch kurios ist.

Rund 30 Demonstranten versammelten sich am gestrigen Montag um 17 Uhr im Salingarten. Sie demonstrierten unter anderem für die drei Menschen, die im April 2023 das leer stehende Gebäude des ehemaligen Hotels „Goldener Hirsch“ in der Münchener Straße besetzt hatten. Eine halbe Stunde lang wurden Reden gehalten, danach ging die Gruppe mit Fahnen und Spruchbannern durch die Straße. Als bei der Abschlusskundgebung im Luitpoldpark das Gerücht die Runde machte, es sei in Rosenheim erneut ein Haus besetzt worden, machte sich ein Großteil der Teilnehmer auf in die Langbehnstraße. Dort verkündete ein Banner an einem Gebäude tatsächlich, das Haus wäre besetzt. Die Polizei traf dort aber niemanden an. Kurz danach kursierte in den sozialen Medien ein Video, in dem eine Person mit verfremdeter Stimme ebenfalls behauptete, es wäre ein Gebäude besetzt worden. Dies bestätigte auch ein Sprecher der Aktivisten gegenüber den OVB-Heimatzeitungen, wollte aber weder die Adresse nennen noch sich zu anderen Details äußern. Dies sollte erst im Lauf der Nacht erfolgen. Foto Wildauer

Rosenheim – Wirklich gewöhnlich war dieser Prozess nicht. Das wurde spätestens dann klar, als die drei Angeklagten – trotz einer Verurteilung – den Gerichtssaal am Amtsgericht unter riesigem Applaus der rund 30 Zuschauer wieder verließen.

Davor mussten sich die 19-Jährigen, eine Frau und zwei Männer aus der Region, vor dem Gericht verantworten, weil sie im April 2023 in das ehemalige Hotel „Goldener Hirsch“ eingedrungen und das Gebäude über Stunden besetzt hatte. Dazu spannten die Aktivisten des Kollektivs „Rosenheim besetzen“ Stahlseile im Inneren des Hauses und ketteten sich an einem Rohr fest, um der Polizei die Räumung zu erschweren.

Angeklagte gestehen
die Hausbesetzung

Dass sich das Geschehen vor rund einem Jahr genau so abgespielt hatte, räumten die Anwälte für ihre Angeklagten gleich zu Beginn des Prozesses ein. Unkommentiert wollten die drei Aktivisten das Ganze aber nicht lassen. Um ihre Motive für ihr Verhalten, das als Hausfriedensbruch und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte angeklagt war, zu erklären, hatten sich die Aktivisten etwas Besonderes überlegt. Abwechselnd lasen sie über mehrere Minuten hinweg ein Schriftstück vor, indem sie unter anderem den Leerstand in Rosenheim und die Entscheidungen der Politik kritisierten. Schließlich könne es nicht sein, dass trotz der Wohnraumkrise ein so großes Gebäude mitten in der Stadt leer steht. Dadurch verschärfe sich die Wohnraumknappheit weiter, was für viele Rosenheimer mehr und mehr zum Problem werde, so die Angeklagten. „Es ist illegal, Häuser zu besetzen und so ein Zeichen gegen diese bedrückenden Verhältnisse zu setzen. Wieso ist es aber legal, ein Haus in der Innenstadt jahrelang leer stehen zu lassen, während so viele vergeblich nach bezahlbarem Wohnraum suchen?“, fragte einer von ihnen.

Kritik gab es aber auch an Polizei und Staatsanwaltschaft. Für die Aktivisten sei es unverständlich, dass eine Vielzahl von Polizeibeamten das Gebäude, in dem „drei Jugendliche friedlich Kekse futterten und Tee tranken“, lautstark stürmten. Zudem sei die Geldstrafe in Höhe von 1350 Euro, welche die Angeklagten laut dem Strafbefehl zunächst bezahlen sollten, viel zu hoch. Gegen diesen hatten die Aktivisten daher auch Einspruch eingelegt, weshalb es überhaupt erst zur Verhandlung vor dem Amtsgericht kam.

Damit aber noch nicht genug: Die Aktivisten beschwerten sich auch, dass der Hauseigentümer des ehemaligen Hotels noch nichts am Leerstand verändert habe und wollten mehr über seine Pläne für das leer stehende Gebäude wissen. Das ging Richter Marco Bühl allerdings zu weit. „Wir sind hier vor Gericht und in keiner politischen Arena“, sagte er. Diese Frage spiele für den Strafrahmen keine Rolle. In den Zeugenstand musste der Hauseigentümer trotzdem. Andere Erkenntnisse für den Prozess brachte seine Aussage allerdings nicht.

Genauso wenig wie die Schilderungen der Kripo-Beamtin, die den Fall bearbeitete. Auch zu den Vorwürfen der Verteidigung, dass die Angeklagten nach der Festnahme eine Stunde lang nur in Unterwäsche in der Zelle saßen und die damals 18-Jährige von männlichen Polizisten belehrt wurde, konnte sie nichts sagen. Als die Heranwachsenden im Vernehmungszimmer saßen, seien sie „ganz normal gekleidet“ gewesen. Damit konnte auch das – wie von der Verteidigung beabsichtigt – nicht als strafmildernder Umstand gewertet werden.

Die Frage, die hingegen noch zu klären war, war, ob die Angeklagten nach dem Jugendstrafrecht zu bestrafen sind. Für Staatsanwalt Wolfgang Fiedler war nach den Aussagen der Jugendgerichtshilfe nicht auszuschließen, dass bei den drei 19-Jährigen, von denen zwei studieren und einer sogar noch zur Schule geht, eine Reifeverzögerung vorliegt. Er plädierte daher dafür, dass die Aktivisten nach Jugendstrafrecht zu 160 Stunden gemeinnütziger Arbeit verurteilt werden.

Gemeinnützige Arbeit
für alle drei

Das sah die Verteidigung anders. Zwar sei es gut, dass die Staatsanwaltschaft von der härteren Bestrafung, wie sie sie zunächst im Strafbefehl gefordert hatte, Abstand nehme, dennoch seien 160 Stunden „ein bisschen viel“. „In den 80ern haben Amtsgerichte Hausbesetzer sogar freigesprochen“, sagte die Verteidigerin der angeklagten Frau. Deshalb dürften es maximal 50 Stunden gemeinnützige Arbeit sein, meinte die Anwältin.

Ihre beiden Kollegen schlossen sich dem an. Genauso wie Richter Marco Bühl. „50 Stunden gemeinnützige Arbeit halte ich für angemessen“, sagte er. Schließlich bräuchten die Angeklagten keine erzieherischen Tagesstrukturen, da sie mit ihren Lebensläufen und gesicherten Umfeldern vor dem Jugendgericht eher zur Seltenheit gehörten.

Dennoch hatte Bühl im Urteil noch eine „Spezialaufgabe“ für die Angeklagten: Alle drei müssen einen fünfseitigen Aufsatz für das Gericht schreiben. Zwei der Angeklagten zum Thema „Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit und Eigentumsgarantie: Warum gemäß der Verfassung und der Verfassungsgerichte Hausbesetzung zur Erreichung politischer Ziele nicht erlaubt sind“ und einer zum Thema „Bezahlbarer Wohnraum: Wie die Parteien im Bundestag in ihren Programmen damit umgehen“. „Dabei geht es nicht darum, die drei von irgendwas zu überzeugen, sondern darum, dass sie sehen, wie die andere Seite diese Themen sieht“, sagte Bühl. Falls die Aufsätze „etwas werden“, wolle der Richter die Angeklagten im Sommer noch mal einladen, um über ihre Ansicht genauer zu diskutieren.

Solidaritäts-Demo und Gerüchte über neue Hausbesetzung

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