Rosenheim – „Ich würde einfach sagen: probiert es aus und nicht gleich aufgeben. Weil wenn man da so in der Ecke sitzt, egal mit welchem Problem und sich nicht öffnet, dann hat man keine Chance rauszukommen.“ Rauszukommen aus einem Problem – das ist nicht nur das Anliegen dieser Frau, die einen alkoholkranken Menschen in der Familie hat. Es wäre wohl der sehnlichste Wunsch aller, die das Gefühl haben, vor Schwierigkeiten zu stehen, die sich wie eine unüberwindbare Wand aufzutürmen scheinen.
Manche von ihnen wissen aber, dass sie ihrem Schicksal nicht ganz und gar ausgeliefert sind. Es sind die, die den Weg in eine der 119 Selbsthilfegruppe gefunden haben, die in Stadt und Landkreis von der Selbsthilfekontaktstelle der Diakonie betreut werden. Allerdings: Der Schritt dorthin ist oft nicht einfach: „Es bedarf ja schon einer großen Überwindung, wenn man einer Selbsthilfegruppe beitritt. Entweder großer Überwindung oder großer Verzweiflung“ Sagt etwa eine Dame, die einer Gruppe angehört, deren Thema Inkontinenz ist. Und man darf wohl vermuten, dass es den meisten anfangs wie ihr geht: die Möglichkeit Hilfe zu erfahren, erscheint viel geringer, als die Peinlichkeit, sich mit einem Problem zu outen.
Das ist fast tragisch, meinen so gut wie alle, die sich einer Selbsthilfegruppe angeschlossen haben, denn so gut wie alle haben ein und dieselbe Erfahrung gemacht: „Die Gruppe ist wie eine Glocke, unter der man behütet sprechen kann und wo man sich gegenseitig achtet“, meint eine Frau, die einer Gruppe für Frauen mit psychischen Erkrankungen angehört. Doch Ziel aller Selbsthilfegruppen ist es beileibe nicht nur, einen Raum zu schaffen, in dem man sich einmal über seine Probleme auskotzen kann, in geschütztem Rahmen und vor Leuten, von denen sicher ist, dass sie einen verstehen.“ Es redet sich natürlich ganz anders unter Betroffenen. Aber was ich nicht möchte, dass es nur eine Jammergruppe ist. Jeder kann erzählen, wie schrecklich das alles ist, aber wir schauen eben auch, wie es weitergehen könnte.” Sagt eine Frau, die einer Gruppe „Trauernde nach Suizid“ angehört. Damit aber all diese Erfahrungen andere darin bestärken können, ebenfalls den Schritt in eine Selbsthilfegruppe zu wagen, müssen sie publik gemacht werden. Den Weg, den die Selbsthilfekontaktstelle Rosenheim dafür fand, ist der einer Ausstellung, einer Fotoausstellung, genauer gesagt. „Denn Worte wirken eindringlicher, wenn man den Menschen sehen kann, von dem sie stammen“, sagt Olga Nickel von der Selbsthilfekontaktstelle. Und hier wiederum sagen Fotos manchmal mehr als Filmsequenzen: Weil sie es ermöglichen, ins Bild quasi einzutauchen, sich auf das Gegenüber einzulassen: Man ist dann den Momenten der Nachdenklichkeit, der Ruhe, aber auch des Austausches ganz nah. Für den Betrachter ergeben die eindringlichen Fotos der Rosenheimer Fotografin Maria Montero mit den dazu gestellten Zitaten ein plastisches Bild von der Vielfalt der Selbsthilfegruppen, ein Bild, bei dessen Einzelpersonen es nicht schwerfällt, sich selbst wiederzuerkennen. Und genau das ist auch das Ziel der Ausstellung, deren Motto lautet: “Miteinander – wie das Leben uns verbindet“. Denn wer erkennt, dass die Menschen, die in einer Selbsthilfegruppe Unterstützung fanden, nicht irgendwie besonders sind, oder anders sind als man selbst, wird möglicherweise ebenfalls den Weg dorthin wagen.
Und genau deshalb genügt es nicht, dass ein Ausstellungsprojekt von seiner Idee und der Umsetzung her mehr als gelungen ist, zum Erfolg gehört auch ein passender Ausstellungsort mit viel Publikumsverkehr. Den bietet aktuell die Sparkasse Rosenheim-Bad Aibling im Beratungs-Center Rosenheim Zentrum. Und ganz ausdrücklich wird von der Sparkasse betont: Jeder ist herzlich eingeladen, sich diese Ausstellung anzusehen. Johannes Thomae