Rosenheim – Verspätungen, Ausfälle und Streiks: Zugfahren ist gerade mit viel Frust verbunden. Für den Schriftsteller Jaroslav Rudiš dagegen hat es eine heilende Wirkung. Wie sich das Bahnreisen trotz Unannehmlichkeiten genießen lässt, verrät er im OVB–Interview.
Sie selbst bezeichnen sich als einen „Eisenbahnmenschen“.
Ich würde tatsächlich gerne beruflich als Eisenbahner tätig sein, nur leider ist mir das aufgrund meiner Sehschwäche nie möglich gewesen. Meine Leidenschaft zum Bahnreisen ist mir allerdings geblieben und zieht sich durch mein gesamtes literarisches Werk. Diese Leidenschaft teilen wir Eisenbahnmenschen – Umwege und Verspätungen stören uns nicht. Wir genießen einfach die Zeit im Zug.
Ihr Buch beschreiben Sie als „persönliche Liebeserklärung an die Eisenbahn“. Wie ist das angesichts der vielen Verspätungen und Streiks bei der Bahn möglich?
Ich mag Eisenbahnen einfach (lacht). Ich bin der Ansicht, dass uns das Eisenbahnwesen in Europa zusammenhält und wir durch das Zugfahren Teil dieses großen Eisenbahnuniversums werden. Beim Einsteigen in einen Zug in Rosenheim könnte man innerhalb eines Tages nach Antwerpen, Italien oder nach Prag gelangen. Selbst bei den verrücktesten Bahnfahrten bin ich trotzdem immer am Ziel angekommen – ich wurde noch nie im Stich gelassen.
Nimmt Ihnen die aktuelle Situation bei der Bahn nicht die Freude am Zugfahren?
Wenn Züge ganz ausfallen und das Reisen dadurch verhindert wird, ist das natürlich ärgerlich. Solch ein Streik zieht viele in Mitleidenschaft – auch leidenschaftliche Zugliebhaber. Wegen des Streiks am Donnerstag musste ich sogar eine Lesung in der Schweiz verschieben. Leider schaden auch schon geringe Verspätungen dem Ruf der Eisenbahn. Viele Menschen betrachten die Bahn deswegen als unzuverlässig und fahren stattdessen lieber Auto.
Wie lässt sich das Reisen mit dem Zug trotz der Verspätungen genießen?
Das werde ich tatsächlich oft gefragt. Die Zeit im Zug kann man wunderbar mit sich selbst verbringen – sei es mit Lesen, Arbeiten oder nur aus dem Fenster schauen. Auch wenn ich mal mit dem Schreiben nicht weiterkomme, setze ich mich in die Bahn und lasse mich einfach treiben. Ich habe tatsächlich auch schon viele Geschichten im Zug geschrieben. Aber auch einfach mal nichts zu tun – das ist auch nicht verkehrt.
Was wollen Sie mit Ihrem Buch vermitteln?
Ich möchte diese Leidenschaft für das Bahnfahren einfach mit anderen teilen. Ich hätte aber nie damit gerechnet, dass das Buch so gut ankommt. Seit der Erscheinung im Jahr 2021 wurde es bereits in verschiedenste Sprachen übersetzt. Viele Leserinnen und Leser nehmen mein Buch auch mit auf ihre Reise. Ich treffe wirklich immer wieder Leute im Zug, die mein Buch gelesen haben und diese Leidenschaft mit mir teilen, was mich sehr freut.
Was genau gefällt Ihnen am Zugfahren im Vergleich zu anderen Verkehrsmitteln?
Ob ich alleine reise oder in Gesellschaft von anderen Eisenbahnmenschen oder meiner Partnerin – eine Zugfahrt bietet einem sehr viel Raum zum Nachdenken und zur Meditation. Wir Eisenbahnmenschen sprechen dabei tatsächlich von „Eisenbahn-Yoga“: Diese meditative, heilende Wirkung einer Eisenbahnfahrt ist nicht zu unterschätzen. Ich weiß eigentlich nie, welche Route ich nehme. Dieses planlose, ziellose Reisen gefällt mir sehr gut. Manchmal fahre ich auch gerne mit dem Auto, kann mich dabei aber selbstverständlich nicht so sehr auf die Reise konzentrieren.
Was erhoffen Sie sich für die Zukunft?
Ich habe natürlich das Deutschland-Ticket, würde mir aber wünschen, dass es ähnlich attraktive Angebote auch für den Fernverkehr, also für ganz Europa geben würde. Die Bahncard 100 ist einfach viel zu teuer. Ich bin fest davon fest überzeugt, dass viele Leute sofort auf das Zugfahren umsteigen würden, wenn die Kosten von Zugfahrkarten gesenkt werden würden. Grundsätzlich sollte unbedingt mehr Geld in neue Züge und Verbindungen investiert werden. Interview: Qiana Eisenreich