Rosenheim – Gewaltandrohungen, Beleidigungen und offener Hass gehören zum Alltag von Jakob Springfeld. Jetzt kommt der Autor mit seinem Buch „Unter Nazis. Jung, ostdeutsch, gegen rechts“ zur Lesung nach Rosenheim. Vorab sprach er exklusiv mit den OVB-Heimatzeitungen darüber, wie es war, im Osten aufzuwachsen, wie er die AfD einschätzt und warum er mit großer Sorge auf die momentane weltpolitische Situation blickt.
Wie war es für Sie, im Osten aufzuwachsen?
In Zwickau aufzuwachsen, war für mich ein Auf und Ab. Auf der einen Seite ist es die Stadt meiner Jugend. Hier wohnen meine Freunde, mit denen ich politisch aktiv geworden bin und viele schöne Dinge erlebt habe. Auf der anderen Seite ist es auch die Stadt, in der ich bedroht wurde und ein Neonazi vor der Haustür meiner Eltern stand und einen Sticker hinterlassen hat. Das heißt, unsere Wohnadresse ist in der rechten Szene bekannt.
Warum haben Sie sich entschlossen, ein Buch zu schreiben?
Ich habe damals schon Tagebuch geführt, um die verschiedenen Eindrücke besser verarbeiten zu können. So entstand die Idee, ein Buch zu schreiben. Stimmen aus dem ländlichen Raum und gerade aus Ostdeutschland werden noch zu selten gehört.
Ich finde es wichtig, den Finger in die Wunde zu legen. Wenn rechte Gewalt passiert, muss man darüber sprechen. Aber es sollten eben auch diejenigen gehört werden, die sich für Demokratie engagieren und einsetzen. Unser Ziel ist es, Menschen im ländlichen Raum, ob in Ost- oder Westdeutschland, dazu zu motivieren, auch aktiv zu werden.
Sie haben immer wieder persönliche Anfeindungen erlebt.
Ich glaube, einige Neonazis wissen, dass es eine mediale Aufmerksamkeit geben würde, wenn sie mich jetzt angreifen würden. Deswegen schützt die Öffentlichkeit, glaube ich, auch das eine oder andere Mal.
Grundsätzlich bin ich einfach viel vorsichtiger geworden, gerade in Orten, die so groß sind wie Zwickau, bin ich nicht alleine in der Stadt unterwegs und lasse mich meistens irgendwie herumfahren. Dann kann mir schon mal da irgendwie weniger passieren. Trotzdem ist die Lage angespannt und Hass im Netz ist weiterhin alltäglich.
Wie ist es auf Ihren Lesungen?
Einige unserer Lesungen mussten unter Polizeischutz stattfinden. In Bautzen standen mal zehn bis 15 Neonazis vor dem Ort, an dem die Lesung stattfand. Die Tür wurde dann verbarrikadiert und ich wurde zum Bahnhof eskortiert. So etwas kommt also auch vor. Gleichzeitig bekommen die Veranstalter oft Stress von der AfD oder Rechtsextremen, wenn sie zu meiner Lesung einladen.
Aber: Ich hatte jetzt um die 120 Lesungen, bei circa acht davon kam es zu Zwischenfällen. Es ist also nicht der Normalfall.
Was machen diese Situationen mit Ihnen?
Es sorgt bei mir oft für Angst, und es ist manchmal ein sehr unschönes Gefühl. Es ist oft ein psychisches Auf und Ab. Man hat Tage, da fühlt man sich, gerade durch die aktuellen Proteste, sehr bestärkt, und dann gibt es wieder Tage, wo man im Anschluss von ganz vielen Menschen hört, die von rechter Gewalt und Rassismus berichten. Da hatte ich schon das ein oder andere Mal das Gefühl, gegen Windmühlen zu kämpfen. Aber ich habe gelernt, damit umzugehen. Zumal es auch Unterstützung gibt, beispielsweise Beratungsstellen für Betroffene von rechter Gewalt.
Blicken Sie mit Sorge auf die momentane politische Situation?
Die Situation ist natürlich auf vielen Ebenen unterschiedlich zu bewerten. In den USA steht womöglich eine Wiederwahl von Trump bevor, was äußerst beunruhigend ist. In Deutschland sieht man einen Rechtsruck, der meiner Ansicht nach nicht nur von der Stärke der AfD ausgeht, sondern auch darin, wie andere Parteien rechte Framings in Teilen übernehmen und beispielsweise gegen Geflüchtete oder Bürgergeld-Empfänger hetzen. All das finde ich ziemlich beunruhigend, und gleichzeitig macht es mir natürlich große Hoffnung, dass es aktuell diese Massenproteste gibt – nicht nur in Leipzig, Dresden und Berlin, sondern auch in Zwickau, Bautzen oder Plauen.
Trotz der Proteste setzen nach wie vor viele Leute auf die AfD.
Zumindest auf der Bundesebene sind die Stimmenwerte der AfD leicht gesunken. Ich glaube, das hängt in Teilen mit den Protesten zusammen. Das zeigt, dass die Proteste wichtig und richtig sind, aber was am Ende zählt, ist, welche politischen Maßnahmen darauf folgen. Beispielsweise die Einführung eines Demokratiefördergesetzes im Bundestag. Dass die AfD eine extrem rechte und in vielen Fällen rassistische Partei ist, wissen viele.
Auf der anderen Seite gibt es, mit Blick auf die soziale Ungleichheit oder die Klimakrise, viele ungelöste Fragen, welche die Menschen in die Hände von Extremisten spielen. Aber Sorgen und Ängste sind in meinen Augen keine Legitimation oder eine Erklärung dafür, die AfD zu wählen.
Nehmen Sie auch die Kommunalpolitiker in die Pflicht?
Ja, absolut. Ich glaube, es geht schon damit los, dass es in vielen Stadt- oder Gemeinderäten keine Brandmauer gegen rechte Parteien wie die AfD gibt. Dann werden Dinge wie Genderverbote von AfD, Freien Wählern, CSU und FDP durchgedrückt. Dadurch normalisiert sich, dass eine Partie antidemokratisch ist. Auch Kommunalpolitiker müssen ihrer Verantwortung bewusst werden.
Viele sagen nichts und denken, sie sind neutral.
Das ist das Problem. Die vermeintliche Neutralität, die viele so oft predigen, ist nicht neutral. Wenn man nichts sagt, bereitet man rechtsextremen Kräften einen freien Weg. Und das kann es am Ende des Tages auch nicht sein. Gleichzeitig ist es erschreckend zu sehen, wie Politiker, die sich klar gegen die AfD positionieren, zum Teil angefeindet werden.
Erst kürzlich habe ich von einem SPD-Kommunalpolitiker gehört, auf dessen Zuhause es einen Brandanschlag gegeben hat, mutmaßlich, weil er bei Demokratie-Protesten dabei war. Diese Geschichten schüchtern natürlich ein und das zeigt, glaube ich, dass es allerhöchste Eisenbahn ist, dass sich die demokratischen Kräfte zusammenschließen und klar positionieren, anstatt zu versuchen, nirgendwo anzuecken.
Muss in Ihren Augen mehr Aufklärung betrieben werden?
Ja, auf jeden Fall. Wir haben in Sachsen einen akuten Lehrermangel und politische Bildungsarbeit ist dann häufig das, was als Erstes hinten herunterfällt. Hinzu kommt, dass an vielen Orten das Bedrohungsrisiko steigt. Wen man sich als Lehrkraft klar gegen die AfD positioniert, kann es schon einmal vorkommen, dass AfD-wählende Eltern beim nächsten Elterngespräch vor der Tür stehen, um Stress zu machen. Auch solche Berichte höre ich immer wieder auf meiner Lesungsreise und das schränkt natürlich die politische Bildungsarbeit an vielen Stellen ein. Zudem verstehen viele Schulen meiner Ansicht nach den Begriff „politische Neutralität“ so ein Stück weit falsch und denken, man darf sich nicht äußern, wenn irgendwie extrem rechte oder rassistische Aussagen fallen. Dabei geht es hier um einen demokratischen Grundkonsens, den wir alle verteidigen und benennen müssen – auch Lehrkräfte und Schulleitungen.
Interview: Anna Heise