Rosenheim – Ein monumentales Kruzifix beherrscht die Altarwand der Pfarrkirche St. Hedwig im Rosenheimer Stadtteil Erlenau. Geschaffen hat es 1954 der Bildhauer Josef Hamberger als Abschlussarbeit in der Meisterklasse von Professor Josef Henselmann (1898 – 1987) an der Akademie der Bildenden Künste München.
„In meinem Leben gab es immer wieder Fügungen, wo sich für mich entscheidende Weichen gestellt haben“, erzählte Josef Hamberger vor einigen Jahren. „So war das auch 1946. Auf Empfehlung des Priener Arztes und Kunstsammlers Dr. Rupert Dorrer bin ich nach München gefahren, um mich bei Professor Henselmann an der Akademie vorzustellen. In einem Schuhkarton hatte ich meine kleinen Schnitzarbeiten dabei. Ich, der 20-jährige Kriegsheimkehrer, stapfte also durch die Ruinen des Akademiegebäudes und habe die Schulräume gesucht. Im Keller entdeckte ich sie und da kam einer auf mich zu und fragte, was ich da wolle. Es war Professor Henselmann, der nur einmal in der Woche vorbeischaute, und auf den ich wie zufällig getroffen war. Er hat über meine kitschigen kleinen Arbeiten furchtbar gelacht, aber Gefallen gefunden an einer Figur des heiligen Sebastian. So hat er mich an der Akademie in seiner Klasse aufgenommen.“
Über sein Studium berichtete der Künstler weiter: „Henselmann, der maßgeblich für eine ganze Generation von Bildhauern war, hat auch mich stark beeinflusst. Wir Studenten arbeiteten nicht nur an unseren eigenen Werken, sondern fertigten auch nach seinen Entwürfen Arbeiten für ihn an. Henselmann hat ja in meinen Akademiejahren an der großartigen neuen Altaranlage für den Passauer Dom St. Stephan gearbeitet. Der rechte Steinewerfer stammt übrigens von mir. Den habe ich aus Pappelholz geschnitzt.“
Zum Kreuz in St. Hedwig erläuterte der Bildhauer: „Das Thema für meine Abschlussarbeit 1954 an der Akademie, ein monumentales Kruzifix, lag sozusagen in der Luft. Gleichzeitig arbeitete nämlich Henselmann an seinem Chorbogenkruzifix für die Münchner Frauenkirche. Trotz des großen Vorbildes Henselmann habe ich aber zu meiner eigenen Lösung gefunden.“
Hamberger mischte bei seinem Kruzifix traditionelle Darstellungsweisen. Aus der Romanik übernahm er das knielange Lendentuch und aus der Gotik den Drei-Nagel-Typus mit übereinandergeschlagenen Beinen. Christus hält den Kopf leicht gesenkt und ein wenig auf seine linke Seite geneigt. Die Augen sind geschlossen und auf den entspannten Gesichtszügen meint man fast, ein mildes Lächeln zu entdecken. Christus hat den Tod überwunden; seine Erscheinung wirkt trotz Dornenkrone und Seitenwunde hoheitsvoll; Christus als König und Erlöser.
Hambergers jahrzehntelange künstlerische Karriere begann 1957, als er für den Neubau der Kirche St. Hedwig in der Erlenau seinen ersten Auftrag für eine Gesamtausstattung erhielt. Durch den Kirchenbau sollte das Neubaugebiet, in dem viele Heimatvertriebene nach dem Zweiten Weltkrieg eine neue Heimat gefunden hatten, ein seelsorgerisches Zentrum erhalten. Doch der Kirchenbau setzte auch Maßstäbe. Mit dem Rosenheimer Architekten Anton Bernhard (1927 – 2014), der den Wettbewerb gewonnen hatte, Josef Hamberger und Pfarrer Martin Haitzmann (1915 – 2003) hatte sich ein junges Team gefunden, das unter der Ägide von Kardinal Joseph Wendel die Ideen einer neuen Liturgie, wie sie Romano Guardini bereits 1917 in seiner Schrift „Vom Geist der Liturgie“ formuliert hatte und wie sie das Zweite Vatikanische Konzil erst Ende 1963 veröffentlichen wird, bereits umsetzen sollte. So entstand ein stützenloser Einheitsraum, wo sich die Gemeinde um den Altar, der vorgezogen auf einer Insel steht, versammeln kann. Mit der heiligen Hedwig wurde bewusst eine Kirchenpatronin gewählt, die Bayern und Schlesien verbindet.
Ursprünglich sollte das Kruzifix gar nicht in die Kirche St. Hedwig kommen, denn für die Ostwand war etwas ganz anderes geplant. „Ein beliebtes Thema in den 1950er-Jahren war ‚Die Anbetung des Lammes und die 24 Ältesten‘, wie es die Offenbarung des Johannes schildert“, erinnerte sich Josef Hamberger. „Ich hatte das als große Komposition mit vergoldeten Stuckfiguren entworfen. Die 24 Ältesten hätten in fünf langen Reihen die ganze Wandnische hinter dem Altarbereich gefüllt. Doch irgendwie überzeugte das nicht und wurde wieder verworfen.“
Als der 10. August 1958 und damit das Datum der Kirchenweihe mit Kardinal Joseph Wendel immer näher rückte, musste eine Lösung für die noch immer leere Altarwand gefunden werden. Hamberger hatte die rettende Idee. Auf dem Dachboden des elterlichen Bauernhofes in Pfannstiel bei Frasdorf hatte er doch seit vier Jahren seine Abschlussarbeit von der Akademie eingelagert, das monumentale Kruzifix. Das Kruzifix wurde geholt und aufgehängt; es passte wunderbar. Was zuerst als vorübergehende Leihgabe gedacht war, erwies sich schnell als fester Bestandteil des Kirchenraumes. Schließlich kaufte es Pfarrer Haitzmann für 2000 Mark vom Künstler.
1996 ließ Ulrich Dillmann, 1991 bis 1998 als Nachfolger von Haitzmann Pfarrer von St. Hedwig, von der Künstlerin Elisabeth Wohrizek (1936 – 2015), die auch schon 1985 das Mosaik der heiligen Hedwig neben dem Haupteingang gestaltet hatte, hinter dem Kreuz eine Mosaikscheibe anbringen, die die Auferstehungssonne symbolisieren soll. Nicht nur Josef Hamberger war nicht überzeugt von dieser späteren Ergänzung, da dadurch die Linien und die Wirkung des Kruzifixes verunklärt werden.