Rosenheim – Es gibt immer weniger Notdienste in der Region und durch die Corona-Pandemie gleichzeitig mehr Haustiere. Das bringt nicht nur die Tierärzte in Not – sondern auch Besitzer. Warum immer weniger Praxen Notdienste anbieten, erklärt Dr. Dirk Butenandt, Leiter der Tierklinik Rosenheim, im Interview. Zudem erzählt er, warum er sich keinen schöneren Beruf vorstellen könnte – er aber trotz allem mit Sorge in die Zukunft blickt.
Sie leiten eine der einzigen Notfall-Praxen in der Region.
Ja, das ist richtig. Noch können wir das anbieten. Unsere Tierklinik hat von 8 bis 24 Uhr durchgehend geöffnet. Wir bieten somit außerhalb unserer regulären Öffnungszeiten die verlässliche Erreichbarkeit für Notfälle an Werktagen von 19 bis 24 Uhr und am Wochenende und feiertags von 8 bis 24 Uhr an. Oftmals wird vergessen, was wir für eine irre Arbeitsbelastung haben. Vor der Pandemie hatten wir rund um die Uhr geöffnet. Um das stemmen zu können, brauchten wir bis zu 16 Tierärzte. Und selbst dann sind wir während der Wochenenden an unsere Grenzen gekommen, sodass die Halter zum Teil längere Wartezeiten in Kauf nehmen mussten. Seit Corona hat sich die Situation noch einmal verschärft.
Inwiefern?
Während der Corona-Zeit haben sich viele Menschen ein Haustier angeschafft. Aus diesem Grund merken wir jetzt einen deutlichen Anstieg. Weil uns aber das Personal fehlt, konnten wir die Öffnungszeiten nicht wieder ausweiten. Trotzdem kümmern wir uns nach wie vor um die Rundumversorgung. Bis auf Kunsthüften bieten wir bei uns alle Leistungen an. Angefangen von der Allgemeinpraxis mit Gesundheitschecks, Impfungen und Kastrationen über die Diagnostik innerer Krankheiten bis hin zu Frakturversorgung, Computertomografie oder der Notoperation bei Bandscheibenvorfällen.
Welche Tiere versorgen Sie?
Hauptsächlich Hunde und Katzen. Aber wir haben auch eine sehr treue Vogelkundschaft und einige Schildkröten. Zudem versorgen wir auch Meerschweinchen und Kaninchen. Unsere Kunden kommen aus den Landkreisen Mühldorf, Traunstein, dem Berchtesgadener Land und zum Teil auch aus Tirol, bis nach Salzburg und Innsbruck.
Wer während der Notfallzeiten sein Tier in die Klinik bringt, muss mit Mehrkosten rechnen.
Ja. Und diese zusätzlichen Kosten sind den Besitzern oft nicht bewusst. Leider wird uns oft unterstellt, dass wir in der Nacht nur Fälle aufnehmen, um Profit zu schlagen. Das stimmt natürlich nicht, zumal wir tagsüber mit unseren Preisen durchaus im Rosenheimer Mittelfeld liegen. Aber wenn am Abend jemand mit seinem Tier bei uns vorbeikommt, sind wir gesetzlich dazu angehalten, den doppelten Satz zu berechnen. Zudem bekommen unsere Mitarbeiter einen Zuschlag, wenn sie in der Nacht arbeiten.
Rechnet sich das überhaupt?
Wenn man den Aufwand und das Engagement dagegenstellt, rechnet es sich selten. Man darf nicht vergessen, wie viel Lebenszeit, Herzblut und Belastung ein Notdienst mit sich zieht. Das ist wirklich enorm. Seit 15 Jahren leite ich die Tierklinik, seit 20 Jahren biete ich Nacht-Notdienste an. Das sind viele Jahre ohne ein richtiges Weihnachten oder eine wirkliche Nachtruhe. Wenn es sich wirklich rechnen würde, wären wir sicher nicht die Einzigen in der Region, die noch verlässlich einen Notdienst anbieten.
Warum machen Sie es dann trotzdem?
Der Hauptantrieb ist für mich immer noch, den Tieren zu helfen. Einen Notdienst aufrechtzuerhalten, funktioniert nur, wenn es auch Mitarbeiter gibt, die nachts arbeiten. Obwohl wir hier sehr gute, engagierte Mitarbeiter haben, muss ich selber regelmäßig nachts aufstehen und arbeiten. Hinzu kommt, dass jeder, der bis 24 Uhr mit einem Notfall zu uns kommt, auch behandelt wird. In schweren Fällen oder bei Notoperationen, geht das dann bis in die frühen Morgenstunden, meist gibt es dann gar keinen Schlaf mehr. Aber wir ziehen eben auch aus den erfolgreich behandelten Notfällen eine enorme Bestätigung.
Würde es nicht helfen, die Notfalldienste auf mehrere Schultern zu verteilen?
Das war der ursprüngliche Plan. Ich habe 160 Kollegen aus Traunstein, Mühldorf und dem Berchtesgadener Land angeschrieben, um die Notdienste aufzuteilen, aber lediglich zehn Rückmeldungen bekommen. Einige haben angeboten, jedes vierte Wochenende bis 22 Uhr zu übernehmen. Keiner wollte einen Notdienst nach 22 Uhr anbieten. Ein verlässlicher Notdienst ist für mich nicht, am Wochenende für wenige Stunden eine Notfallsprechstunde einzurichten.
Danach richten sich die echten Notfälle leider nicht. Zudem braucht man für viele Notoperationen die entsprechende Ausstattung und mehrere Leute, um diese fachgerecht durchführen zu können. Daher mache ich den Kollegen keinen Vorwurf, weil auch sie zahlreiche Patienten zu versorgen haben und in kleineren Praxen gar nicht über die nötigen personellen Kapazitäten und die entsprechende Ausstattung verfügen.
Bei Ihnen im Haus scheinen die meisten Operationen möglich zu sein.
Die meisten Operationen führen wir in unserer Tierklinik durch. Wir haben dafür vom Ultraschall übers Röntgen bis hin zum CT alles im Haus. Unser hauseigenes Labor ermöglicht uns, schnell Probleme zu erkennen, um den Tieren zeitnah zu helfen. Durch Warten auf Ergebnisse vom Fremdlabor geht leider oft viel Zeit verloren.
In den letzten Monaten haben wir unsere Katzenstation nach katzenfreundlichen Standards erweitert und modernisiert, sodass Katzen jetzt Rückzugsmöglichkeiten haben und die Boxen indirekt beheizt werden können. Gerade bei längeren Stationsaufenthalten ist dies sehr wichtig.
Glauben Sie, dass sich die Situation zeitnah verbessern wird?
Nein, im Gegenteil, es wird eher schlechter. Vor zehn Jahren gab es noch mehr Praxen, die verlässlich Notdienst angeboten haben, allerdings haben die Mitarbeiter zum Teil darunter gelitten, weil das Arbeitszeitgesetz nicht eingehalten wurde. Wenn ich an die tierärztliche Versorgung denke, blicke ich schon mit Sorge in die Zukunft.
Ist der Beruf „Tierarzt“ für viele überhaupt noch attraktiv?
Die Bewerberzahlen in den Studiengängen sind nach wie vor sehr hoch. Aber die Bereitschaft an Wochenenden und nachts zu arbeiten hat leider stark nachgelassen. Ich möchte ganz klar hervorheben, dass wir ein tolles und sehr engagiertes Team haben. Unsere Mitarbeiter bringen ein sehr großes Engagement für den Beruf mit, aber selbstverständlich ist das längst nicht mehr. Über mehr Nachwuchs in der kurativen Praxis mit der Bereitschaft zum Notdienst würden wir uns alle sehr freuen.
Nachwuchssorgen gibt es also auch bei Ihnen?
Ja, wir freuen uns über jeden motivierten Mitarbeiter und können einen attraktiven Arbeitsplatz anbieten. Die Bereitschaft, an Wochenenden und nachts zu arbeiten, gehört für uns aber nach wie vor zum Beruf dazu. Unser Anspruch ist eine sehr gute Versorgung, auch während der Notdienstzeiten. Die Kosten stehen bei uns nicht im Vordergrund. Der erhöhte Gebührensatz wird nur im Notdienst angewendet. Wir wollen den Tieren helfen. Sollten sich die Besitzer nur eine eingeschränkte Behandlung leisten können, finden wir in der Regel immer eine Lösung. Aber man muss miteinander und nicht gegeneinander arbeiten.
Interview: Anna Heise