Rosenheim – „Achtung, gleich wird es laut“, sagt Mesnerin Bettina Schmid-Rameth bevor sie an der Kurbel der etwa einen Meter hohen Kastenratsche dreht. Ein Rumpeln und Klackern ist zu hören, es hallt von den Wänden der Gebäude wider. Auf dem freien Platz neben der Kirche St. Nikolaus, auf dem Schmid-Rameth die Ratsche dreht, suchen die Passanten teils erschrocken, teils neugierig nach der Ursache der Geräusche.
Anstrengende
Handhabung
Als die Mesnerin fertig ist, atmet sie erleichtert durch. „Es ist sehr anstrengend, die große Ratsche zu drehen“, sagt sie. Gerade als das Klappern der Ratsche verstummt, hört man die Kirchenglocken. Schmid-Rameth hört ihnen für eine Weile zu. „Lange werden die Glocken nicht mehr läuten“, sagt sie.
Denn: Von Gründonnerstag bis Ostern sollen die Kirchenglocken laut Yunes Baccouche, Gemeindereferent der Stadtteilkirche Rosenheim-Inn, still sein, um an den Tod von Jesus Christus zu erinnern. Damit die Menschen trotzdem zur Messe gerufen werden, seien die Ratschen erfunden worden. Dieser Brauch lebe nicht nur in Deutschland, sondern auch in Österreich, wo er als immaterielles Unesco-Weltkulturerbe anerkannt wurde.
Am Karfreitag werden in Rosenheim rund 20 Ministranten der Kirche St. Nikolaus um das Gotteshaus gehen und die Klöppelratsche spielen. Dabei handelt es sich um ein handgroßes Holzinstrument, bei dem ein Klöppel gegen eine Holzplatte schlägt. Außerdem gibt es auch die sogenannte Rasselratsche, die man aus dem Handgelenk im Kreis dreht, um ein rasselndes Geräusch zu erzeugen. Laut Schmid-Rameth darf die große Kastenratsche nicht in der Stadt gespielt werden. Dafür sei sie zu laut. „Das Ratschenspielen hat in der St.-Nikolaus-Kirche keine verwurzelte Tradition“, sagt Baccouche. Deshalb werde die Ratsche dort nur einmal am Karfreitag um 14 Uhr gespielt, um zur Freitagsliturgie zu rufen. „In manch anderen Gemeinden rufen die Ratschen zusätzlich zum Angelusgebet“, sagt er. Das geschehe morgens, mittags und abends. Beispielsweise sei das in seiner Kindheit in Ampfing so gewesen. Dort sei er selbst Ministrant gewesen und habe jedes Jahr die Ratschen gespielt. „Das war immer spannend, sich im Ministrantengewand zu treffen und die Ratschen zu spielen“, sagt er.
Auch Schmid-Rameth ist in Prutting mit dem Brauch aufgewachsen. Ihr wurde damals erzählt, dass die Glocken nach Rom fliegen würden. „Es war immer etwas Besonderes, wenn die Glocken leise waren“, sagt sie. Nun organisiert sie das Ratschen in Rosenheim. „Die Kinder freuen sich immer riesig auf die Ratschen, es gibt gar nicht genug für jedes Kind“, sagt sie.
Viel üben müssten die Ministranten nicht. „Ein bis zwei Tage vorher gebe ich ihnen aber eine Ratsche zum Ausprobieren, damit sie sich an die Lautstärke gewöhnen“, sagt Schmid-Rameth.
Zeichen
von Verzicht
Trotz der Begeisterung bei den Kindern bemerkt sie, dass der Brauch nicht mehr so bekannt ist wie früher. „Manche Menschen fragen mich, warum die Glocken nicht klingen“, sagt sie. Besonders seit Corona sei viel von der Tradition verloren gegangen. „Das finde ich schade“, sagt Schmid-Rameth.
Denn für sie bedeutet der Brauch auch, Verzicht zu erfahren und davon zu lernen. „Immer, wenn die Glocken nicht mehr spielen, merke ich, wie sehr ich das vertraute Klingeln vermisse“, sagt sie. Umso mehr freut sie sich darauf, wenn sie am Ostersonntag wieder erklingen.