Sofortige Haftentlassungen denkbar

von Redaktion

Es ist eine Entscheidung, die nach wie vor für Diskussionen sorgt: Seit dem 1. April darf in Deutschland Cannabis konsumiert werden. Das hat Folgen für Gerichte und Staatsanwaltschaften. Einige Menschen könnten sogar aus dem Gefängnis entlassen werden. So ist die Lage in der Region Rosenheim.

Rosenheim – Es müssen anstrengende Wochen für Dr. Rainer Vietze, Oberstaatsanwalt in Traunstein, und seine Kollegen gewesen sein. Rund 3300 Gerichtsverfahren mussten dort von der Staatsanwaltschaft – dazu gehört auch die Zweigstelle Rosenheim – überprüft und durchgesehen werden. Und das per Hand, teilweise nach Dienstschluss und am Wochenende. Bereits seit dem vergangenen Herbst gibt es die zusätzliche Arbeit, sagt Vietze. Der Grund: die Legalisierung von Cannabis zum 1. April.

Neues Cannabisgesetz
führt zu Straffreiheit

Nach dem neuen Cannabisgesetz (CanG) dürfen Menschen über 18 Jahre bis zu 25 Gramm Cannabis bei sich tragen und in der Öffentlichkeit konsumieren. Solange der Abstand von 100 Metern zu Kinder- und Jugendeinrichtungen wie Kitas oder Schulen eingehalten wird. Zu Hause darf man bis zu 50 Gramm aufbewahren und drei Cannabis-Pflanzen für den Eigenkonsum anbauen. Genau das war bisher allerdings illegal. Wer dagegen verstieß, landete nicht selten vor Gericht und wurde bestraft – mit Geld- oder sogar Haftstrafen.

Dadurch standen Juristen vor der Frage, was mit den Fällen passiert, in denen das Verhalten, das zur Verurteilung geführt hat, jetzt nicht mehr strafbar ist. Die Lösung: Das neue Cannabisgesetz schreibt vor, dass in diesen Fällen für die Betroffenen eine rückwirkende Straffreiheit gilt – die sogenannte Amnestieregelung. Mit anderen Worten: Inhaftierte müssen freigelassen und noch ausstehende Geldstrafen nicht mehr bezahlt werden. Eine vor dem 1. April bereits bezahlte Geldstrafe muss allerdings nicht zurückerstattet werden.

Ob und wie weit die Strafen am Ende erlassen werden, ist Aufgabe der Staatsanwaltschaften und Gerichte. In Bayern betrifft das rund 29000 Akten, teilt ein Pressesprecher des bayerischen Justizministeriums auf OVB-Anfrage mit. Die Prüfung betreffe alle Urteile, die bis zum 1. April 2024 noch nicht vollständig vollstreckt worden sind – unabhängig davon, wann das Urteil gesprochen wurde.

In wie vielen Fällen der 3300 Verfahren im Zuständigkeitsbereich der Staatsanwaltschaft tatsächlich die Strafe geändert wird, kann Rainer Vietze nicht sagen. „Es dürfte sich aber um eine dreistellige Zahl – wohl maximal 500 – handeln“, sagt der Oberstaatsanwalt. Dass Gefangene aufgrund des neuen Gesetzes aus der Haft entlassen werden, sei in der Region jedoch nicht der Fall. Dennoch seien zahlreiche Maßnahmen wie die Löschung von Ausschreibungen zur Festnahme oder die Zurücknahme von Haftbefehlen durchzuführen. Damit sollen unberechtigte Inhaftierungen vermieden werden.

„Der Mehraufwand für unsere Behörde ist dadurch erheblich“, sagt Vietze. Auch, weil er und seine Kollegen alle schriftlichen Urteile einzeln durchschauen müssen. Nur so könne festgestellt werden, um welches Betäubungsmittel und um welche Menge es sich im Einzelfall gehandelt hat. Für den Oberstaatsanwalt sei die Amnestieregelung des neuen Gesetzes daher „teilweise nur schwer nachvollziehbar“.

Auch am Rosenheimer Amtsgericht müssen alte Verfahren, die einen Bezug zu Cannabis haben, überprüft werden. Das bestätigt Stefan Tillmann, Pressesprecher des Gerichts. Allerdings seien das ausschließlich Jugendstrafsachen, welche die Amtsgerichte anstelle der Staatsanwaltschaften vollstrecken.

„Dennoch handelt es sich hier um diverse Verfahren – zum Teil auch noch laufende“, sagt Tillmann. Aus diesem Grund könne er noch keine genauen Zahlen nennen, wie viele Fälle in Rosenheim betroffen sind. Bei der Polizei verändert sich aufgrund des neuen Cannabisgesetzes vorerst hingegen nicht viel. Zumindest bei den Verkehrskontrollen. Nach wie vor sei das Führen eines Fahrzeugs unter dem Einfluss berauschender Mittel verboten, sagt Alexander Huber, Pressesprecher des Polizeipräsidiums Oberbayern Süd, auf OVB-Anfrage. Daran habe sich auch durch die Cannabis-Legalisierung nichts geändert. Schließlich sei auch der Konsum von Alkohol straffrei, das Fahren unter Alkoholeinfluss unter gewissen Umständen aber nicht.

Aber weitere
Sanktionen möglich

Wer gegen die Regeln verstößt, muss auch weiterhin mit Sanktionen rechnen. „Die Verkehrskontrollen laufen in Zukunft genauso ab wie zuvor“, sagt Huber. Wenn der Verdacht besteht, dass der Fahrzeugführer Drogen konsumiert hat, werde eine Blutuntersuchung angeordnet.

Im vergangenen Jahr sind in und um Rosenheim 50 Fahrten, bei denen der Fahrer unter dem Einfluss von Drogen stand, geahndet worden, teilt Robert Maurer, Polizeihauptkommissar der Polizeiinspektion Rosenheim, mit. Neun davon hätten zu Strafverfahren geführt.

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