Rosenheim – Paul Adlmaier sitzt an seinem Schreibtisch, an der Wand hängt ein Bild von ihm, seinem Vater und seinem Sohn. Direkt daneben hat jemand die Leitlinien des Unternehmens eingerahmt. Hier hat Adlmaier die vergangenen 31 Jahre verbracht. Jetzt zieht er seinen Schlussstrich. Über die Gründe spricht er im OVB-Interview.
Anfang der Woche haben Sie bekannt gegeben, dass Sie Ihr Geschäft schließen. Wie waren die ersten Reaktionen?
Es war natürlich schon eine kleine Bombe, die da in Rosenheim, der Region, aber auch in der Branche eingeschlagen hat. Eben auch, weil es für die meisten natürlich sehr überraschend kam. Aber mir wurde wahnsinnig viel Verständnis entgegengebracht. Vor allem von meinen Mitarbeitern. Das hat mich am meisten berührt. Alle können meine Entscheidung nachvollziehen. Ich arbeite, seit ich 17 Jahre alt bin, sechs Tage die Woche. Jetzt ist es an der Zeit, an mich selbst, aber auch an meine Familie zu denken. Diese Rückmeldungen zeigen mir, dass ich als Chef sehr viel richtig gemacht habe.
Also stehen Sie nach wie vor hinter Ihrer Entscheidung?
Natürlich habe ich noch einmal über die Entscheidung nachgedacht. Aber nach wie vor bin ich mir sicher, dass es der richtige Schritt war – und vor allem der richtige Zeitpunkt. Ich hatte im vergangenen Jahr mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen. Ich kann so nicht weitermachen, das wäre auch in meiner Funktion als Chef verantwortungslos. Hinzu kommt, dass ich keinen Nachfolger habe, da mein Sohn erst zwölf Jahre alt ist.
Ein externer Geschäftsführer wäre für Sie nicht infrage gekommen?
Ich kenne Kollegen in Deutschland, die das so gehandhabt haben. Leider hat es nie funktioniert, eben weil die persönliche Bindung fehlt. Mein Vater hat den Laden 1951 eröffnet und ich habe die Firma 1993 übernommen. Es war also immer ein Adlmaier da – auch wenn man uns in den Verkaufsräumen vielleicht nur selten gesehen hat.
Dafür hatten Sie eine Vielzahl anderer Aufgaben.
Meine Aufgabe war die Führung des Unternehmens und meiner Mitarbeiter, an denen ein Großteil des Erfolgs hängt. Ich habe mich zudem um die strategische Ausrichtung gekümmert, aber auch um Umbauten, Modernisierungen und Instandsetzungen. Auch technische Entwicklungen habe ich vorangetrieben. Als ich angefangen habe, kam ja gefühlt gerade erst der Computer auf den Markt (lacht). Bei all diesen Aufgaben darf man nicht vergessen: Ich habe weder eine Ausbildung als ITler, noch als Versicherungskaufmann, Architekt oder Bauingenieur. Trotzdem habe ich mich in diese Dinge hineingearbeitet – und mir natürlich immer wieder Hilfe von außen geholt.
Waren Sie immer mit Freude dabei?
Natürlich gab es auch einmal schlechte Tage. Aber größtenteils bin ich immer mit Freude in die Arbeit gegangen. Ich bin froh und dankbar, dass ich diesen Beruf gewählt habe und in die Fußstapfen meines Vaters getreten bin. Dieser Beruf hat mir über die Jahre wahnsinnig viel Freude bereitet.
Warum ist der Job so besonders?
Er ist abwechslungsreich. Wir haben alle sechs Monate eine neue Mode-Kollektion. Die Materie, mit der wir zu tun haben, verändert sich also permanent. Die Modebranche ist sehr bunt und schrill. Vor allem die Modemessen. Jahrzehntelang habe ich beispielsweise die weltgrößte Herrenmode-Woche in Köln besucht. Aber ich war auch in Berlin, Mailand, Florenz und Kopenhagen dabei. Fast überall haben wir zu den Premium-Kunden gehört, so hatten wir beispielsweise den ersten Hugo-Boss-Shop in ganz Bayern und haben uns so in der Herrenmode einen ziemlich guten Namen in der Branche gemacht.
Wie hat sich die Modebranche in den letzten Jahrzehnten verändert?
In den 70er-Jahren war zum Beispiel die größte Herausforderung für die Einzelhändler die Beschaffung der Waren. Da brauchte man ein gutes Händchen und musste die Ware frühzeitig und in ausreichenden Mengen bestellen, um entsprechende Umsätze machen zu können. Anfang der 80er-Jahre war die Situation dann eine komplett andere: Plötzlich war mehr Ware vorhanden, als benötigt wurde. Seitdem hat sich natürlich auch der Handel extrem verändert. Und mein Vater hat schon früh begonnen, sich intensiv mit unseren Kunden zu beschäftigen.
Heißt?
Bereits Ende der 60er-Jahre haben wir damit angefangen, eine Kundenkartei aufzubauen. Damals natürlich noch nicht digital, sondern per Schreibmaschine. Ich habe meinen Mitarbeitern immer gesagt, dass alles, was wir in unserem Geschäft tun, ausschließlich für unsere Kunden ist. Und ich glaube, diese Fokussierung auf den Kunden ist uns immer sehr gut gelungen. Dadurch haben wir etliche Stammkunden, die natürlich über die Nachricht der Schließung sehr enttäuscht waren, aber auch Verständnis gezeigt haben.
Wer sind die Kunden, die zu Ihnen ins Haus kommen?
Viele kommen zum ersten Mal zu uns, wenn sie in den Beruf starten, aber auch, wenn sie nach einem passenden Outfit für den Abschlussball suchen. Unser Haus wurden ihnen vom Papa oder vielleicht sogar vom Opa empfohlen. Ich würde sagen, dass unsere jüngsten Kunden 17 Jahre alt sind. Unsere Hoffnung war dann, dass wir die Männer bis an ihr Lebensende begleiten. Viele kommen übrigens auch zum ersten Mal zu uns, wenn die Hochzeit ansteht. Ich glaube, wir haben in den vergangenen 70 Jahren Tausende von Bräutigame eingekleidet.
Haben Sie eigentlich jemals darüber nachgedacht, sich auch in anderen Städten niederzulassen?
Das war nie unser Ziel. Auch, weil unser Konzept dann ein ganz anderes sein müsste.
Ihr schlimmstes Erlebnis?
Der 16. März 2020, als wir coronabedingt zusperren mussten. Das war ganz sicher eine der schwersten Zeiten, die ich als Unternehmer erlebt habe. Wir haben die Zeit jedoch genutzt, um uns technisch auf den neuesten Stand zu bringen und haben uns intensiv mit dem Thema Online-Handel beschäftigt. Mittlerweile liegt unser Online-Umsatz bei 30 Prozent. Das ist gar nicht so schlecht. Generell war das vergangene Jahr unser umsatzstärkstes Jahr seit der Eröffnung unseres Geschäfts.
Ist Rosenheim nach wie vor eine Einkaufsstadt?
Rosenheim ist für mich auch nach all den Jahren noch ein äußerst attraktiver Standort. Ich mache mir um den Handelsstandort Rosenheim nicht allzu viele Sorgen. Natürlich ist es wichtig, seine Hausaufgaben zu machen. Aber ich bin der Meinung, dass die beteiligten Akteure in Politik, Verwaltung, Citymanagement, beim Wirtschaftlichen Verband oder der IHK genügend Input an den richtigen Stellen geben.
Also haben Sie keine Sorge, keinen Nachmieter für Ihre Immobilie zu finden?
Nein. Ich bin zuversichtlich, dass wir eine attraktive Nachnutzung finden. Natürlich wäre mein Herzenswunsch, dass wieder ein Textilgeschäft einzieht. Aber ob dem tatsächlich so sein wird, müssen wir abwarten. Es gab schon einige Anrufe, was auf jeden Fall beweist, dass Rosenheim als Handelsstandort einen guten Namen in Deutschland hat und der Max-Josefs-Platz nach wie vor eine 1A-Lage ist.
Wie geht es für Sie jetzt weiter?
Ich hoffe, dass ich die kommenden sieben Monate mit vielen Kunden zu tun haben werde. Zudem beginnen wir zeitnah mit dem ersten Teil unseres Räumungsverkaufs unter dem Motto „Der letzte Sommer“. Die Rosenheimer können sich – so viel kann ich schon verraten – auf viele tolle Angebote freuen. „Der letzte Sommer“ wird dann im Herbst von unserem „Letzten Winter“ abgelöst. Dabei handelt es sich dann um den tatsächlichen Räumungsverkauf. Unser Ziel ist es, zum Jahresende ein leeres Haus zu haben.
Und für Sie privat?
Mein Sohn hatte schon die Sorge, dass ich ab dem kommenden Jahr rund um die Uhr zu Hause bin. Aber dem wird wohl nicht so sein (lacht). Ich habe einen großen Freundeskreis und diverse Hobbys. Zudem möchte ich mehr Zeit mit meiner Familie verbringen. Außerdem möchte ich mich meiner Gesundheit widmen. Vielleicht mache ich eine Reha, vielleicht besuche ich regelmäßig ein Fitnessstudio.
Hand aufs Herz: Wo werden Sie in Zukunft Ihre Kleidung kaufen?
Das hat mich meine Frau auch schon gefragt (lacht). Alles aus meinem Kleiderschrank ist von Adlmaier. Aber ich werde dem Rosenheimer Einzelhandel treu bleiben, wir haben hier ein paar sehr gute Modegeschäfte. Ich hatte mein ganzes bisheriges Leben mit Mode zu tun, und werde auch nach meinem Ruhestand darauf achten, mich modisch zu kleiden. Dafür habe ich in Rosenheim genügend Auswahl.
Interview: Anna Heise