„Dann werden wir enteignet“

von Redaktion

Wut und Entsetzen: Bei der Brenner-Sprechstunde kochen die Emotionen hoch

Rosenheim – Kopfschütteln und Sprachlosigkeit: Diese Reaktionen waren bei der Sprechstunde zum Brenner-Nordzulauf in Rosenheim am häufigsten zu beobachten. Auf den großen Plänen, die in der Turnhalle der Grund- und Mittelschule in Westerndorf St. Peter ausgestellt waren, suchten Betroffene ihre Häuser – und mussten teils mit Entsetzen feststellen, wie nah die Bahn künftig wirklich dort vorbeifahren wird.

„Viele fühlen sich auf
den Arm genommen“

„Viele von den Betroffenen konnten zwar schon erahnen, was auf sie zukommt“, sagt Lothar Thaler, Vorsitzender der Bürgerinitiative Brennerdialog vor Ort. Aber jetzt würden die Anwohner erst direkt sehen, wie die Pläne zum Brenner-Nordzulauf genau aussehen. „Viele fühlen sich auf den Arm genommen – vorsichtig ausgedrückt“, sagt Thaler.

Das trifft auch auf Ingrid und Werner Murnauer aus Langenpfunzen zu. „Unseren Hof gibt es seit 1471. Wenn die Trasse kommt, müssen wir zusperren“, sagt Ingrid Murnauer. Ihre Wangen sind gerötet. Immer wieder erwähnt sie, wie aufgebracht sie ist. Es ist eine Mischung aus Machtlosigkeit und Wut. Von der Bahn habe die Familie bisher keine Informationen erhalten, wie es für sie weitergehen könnte. Denn die Bahntrasse würde direkt über ihre Weiden führen: „Die Bahn kommt hierhin“, sagt Murnauer und deutet auf den Plan. „Dann haben wir keine drei Meter Koppel mehr.“

Schließlich kommt Matthias Neumaier hinzu. Er ist Planer der Deutschen Bahn und für die Strecke des Brenner-Nordzulaufs zuständig – aber auch für den Dialog mit den Bürgern. Auf die Nachfrage von Neumaier, ob bei der Planung auch Flächen von Familie Murnauer überbaut werden, entgegnet Werner Murnauer fest entschlossen: „Nein, weil wir das nicht zulassen werden.“ Seine Frau hingegen ist nicht mehr so optimistisch. „Was willst du denn machen? Dann enteignen sie uns. Glaubst du, dass es die Bahn interessiert, was du willst?“, fragt sie. Es sind Gespräche, wie Neumaier und seine Kollegen sie bei den Sprechstunden am laufenden Band führen: Emotionen treffen auf Sachlichkeit.

„Wir haben nicht nur Frust bei den Gesprächen“, sagt eine Bahn-Mitarbeiterin vor Ort zu Ingrid Murnauer. Besonders in Ostermünchen hätte es viele positive Reaktionen gegeben. Ihr ist allerdings auch klar: „Wir können nicht jeden überzeugen.“ Selbst Lothar Thaler hat schon fast lobende Worte für die Veranstaltung übrig. „Das ist höchst professionell angelegt. Das muss man neidlos anerkennen“, sagt der Brennerdialog-Vorsitzende. Eine Sache stört ihn allerdings besonders: Von möglichen Baustellen ist auf den bisherigen Plänen nichts zu sehen. „Die Präsentationen und Animationen sind alle sehr beschönigend“, sagt er. Ein Betroffener habe ihm berichtet, dass er auf Nachfrage Auskunft über die Dimension der Baustelle bekommen habe. „Der kann seinen Acker im Prinzip zusperren“, sagt Thaler. 60 Tagwerk seiner Flächen wären betroffen. Das entspricht etwa 20,44 Hektar – eine Fläche von mehr als 29 Fußballfeldern.

Auch für die Murnauers wären die Folgen fatal. Besonders für ihren Sohn, der derzeit die Ausbildung zum Landwirt absolviert. Er wollte aus dem derzeitigen Pferdebetrieb wieder einen Mutterkuhbetrieb machen.

Wenn Träume und
Lebenspläne sterben

Doch hier könnten ihm die Pläne der Bahn einen Strich durch die Rechnung machen. Der Sohn der Nachbarn habe seinen Traum von der Landwirtschaft bereits aufgegeben, sagt Murnauer. Er mache nun eine Ausbildung zum Mechaniker – seine Eltern hatten ihm aufgrund der Bahn-Pläne von der Landwirtschaft abgeraten. Für Thaler hingegen kommt Aufgeben nicht infrage. „Ich gehe weiterhin davon aus, dass wir das Projekt verhindern können“, sagt er. „Wir sind noch nicht entmutigt, aber viele Betroffene hier muss man erst einmal wieder aufbauen.“

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