Traunreut/Traunstein – Mit dem Slogan „Eine starke Gemeinschaft“ wirbt der Wirtschaftsverband Landkreis Traunstein für sich. Den Eindruck einer starken Gemeinschaft konnte man auch beim Jahresempfang gewinnen, der kürzlich stattfand – nach 2023 erneut in den Betriebsräumen der Firma Siteco in Traunreut. Man kennt sich, schätzt sich, es bestehen konstruktive Verbindungen zwischen den Vertretern von Wirtschaft, Behörden, Verwaltung, Organisationen und Entscheidungsträgern.
Das zeugte der umfassende Dialog unter den knapp 400 geladenen Gästen des Wirtschaftsverbandes. In diesem Jahr stand das Thema „Sicherheitspolitik in und um Europa 2024“ auf der Agenda, zu dem man sich mit dem ehemaligen Vorsitzenden der Münchner Sicherheitskonferenz, Professor Wolfgang Ischinger, einen prominenten Redner eingeladen hatte.
Die Grundlagen
für Wohlstand
Ihm überreichte Thomas Eberl, der Vorsitzende des Wirtschaftsverbandes, eine Zeitungskopie einer amerikanischen Tageszeitung zu seinem kürzlich gefeierten Geburtstag als Überraschungsgeschenk. Traunreuts Bürgermeister Hans-Peter Dangschat zeigte sich stolz, dass der Verband zum zweiten Mal bei einem „Top Player der Region“ in Traunreut zu Gast sei. Landrat Siegfried Walch machte dem Gastreferenten Professor Wolfgang Ischinger fast schon im Stile eines Tourismus-Werbers deutlich, dass er sich „im schönsten Landkreis Bayerns und der Welt“ befinde und lobte die wirtschaftliche Stabilität der Region in schwierigen Zeiten. Diese komme nicht von ungefähr, lebe man doch in der Region und in den Firmen Werte wie Fleiß, Mut, Verantwortungsbewusstsein und nachhaltiges Handeln über Generationen – Gewinnstreben inklusive. Er machte deutlich, dass Freiheit und Sicherheit Grundlagen für den Wohlstand der Menschen in der Region seien. Gastredner Ischinger, zu dessen politisch-diplomatischem Werdegang viele Tätigkeiten wie beispielsweise als Staatssekretär im Außenministerium und Botschafter in den USA und Großbritannien gehören, ging in seinem Vortrag auf die Rede von Wladimir Putin ein, die dieser 2007 bei der Münchner Sicherheitskonferenz mit dem Motto „Ich lass mir das von dem Westen nicht mehr gefallen“ gehalten hatte. Man habe zuvor mit ihm gut zusammen gearbeitet und ihn in den Folgejahren aber nicht wirklich ernst genommen. „Wir haben Putin falsch eingeschätzt!,“ war sein nüchternes Fazit. Ischinger machte deutlich, dass sich der russische Präsident in den Jahren seiner Regierungszeit verändert habe.
Putin strebe heute die Wiedererrichtung eines großrussischen Reiches mit Vasallen- und Pufferstaaten an. Gleichzeitig sei die russische Zielsetzung der Unterwerfung der Ukraine nicht haltbar und nach Meinung Ischingers militärisch praktisch auch nicht zu erreichen. „Russland hat den Krieg eigentlich verloren“, zog er ein nüchternes Fazit. Er finde es vollkommen richtig, dass Deutschland „kriegstüchtig“ werden müsse und benutzte damit ein Zitat von Verteidigungsminister Boris Pistorius. Kriegstüchtig zu sein – diese Eigenschaft sprach er Deutschland derzeit ab. Dies gelte ebenso für die Europäische Union. Zu China machte Ischinger die Feststellung, dass das Land bis noch vor wenigen Jahren über zwei Jahrhunderte hinweg keine weltpolitische Rolle gespielt habe. Jetzt müsse man sich damit auseinandersetzen, dass das Land bei der Lösung der Konflikte in und um Europa eine Rolle spiele. Er machte deutlich, dass China – auch historisch gesehen – kein Freund Russlands sei. Dennoch sei der Fokus Chinas aufgrund seiner Rivalität zu den USA darauf gerichtet, den Amerikanern keinen Vorteil zu verschaffen. „Die sind happy, wenn die USA mit Konflikten beschäftigt sind“, so Ischinger.
Der frühere Chefdiplomat nahm sich viel Zeit, mit den Anwesenden zu diskutieren und ihnen seine persönliche Einschätzung zu politischen Standpunkten weiterzugeben. Ischinger ermutigte die Anwesenden zum Abschluss seiner Ausführungen, zur Europawahl am 9. Juni zu gehen und bei den Bürgern für die Beteiligung an der Wahl zu werben. Er hoffe, dass es keinen größeren Rechtsruck gäbe.
Appell zu Teilnahme an Europawahl
Das Ziel sei, dass Europa als „Macht des Friedens“ stabil stehe und reife. Derzeit agiere Deutschland, so Ischingers Einschätzung, „wie wilde Hühner“. Er nannte dafür die UN-Abstimmung mit der Forderung einer Waffenruhe zwischen Israel und der Terrororganisation Hamas als Beispiel. Deutschland verstehe es nicht, außenpolitisch mit einer Stimme zu sprechen. Europa müsse man den Status von „Zwergenstaaten“ attestieren, wenn man die europäischen Einzelkämpfer mit den großen Nationen und Machtblöcken vergleiche.