Ein Jahr früher zum Schulscreening

von Redaktion

Interview Experten des Gesundheitsamtes über Sinnhaftigkeit und Umfang der Tests

Rosenheim – Ziel der Reform ist, die Kinder bei Bedarf früher gezielt fördern zu können. Am Einschulungsalter und dem Zeitpunkt der Einschulung ändert sich nichts. Bisher fand die Schuleingangsuntersuchung in der Regel drei bis zwölf Monate vor der Einschulung statt. Ab Sommer 2024 werden erstmals die Kinder zur reformierten Schuleingangsuntersuchung eingeladen, die zwischen dem 1. Oktober 2018 und dem 30. September 2019 geboren sind. Im Interview erklären Dr. Wolfgang Hierl, Dr. Gayane Poghosyan und Sabine Rentz vom Gesundheitsamt Rosenheim, was Eltern und Kinder erwartet.

Frau Dr. Poghosyan, Sie führen die Schuleingangsuntersuchungen durch. Wie gestalteten sich diese bislang und wie werden sie in Zukunft aussehen?

Poghosyan: Die Schuleingangsuntersuchung gibt es seit vielen Jahren. Durch die Reform wird nun zum einen der Umfang erweitert. Zum anderen wird der Zeitpunkt der Untersuchung vorverlegt, im Durchschnitt um ein Jahr. Bisher fand die Untersuchung im letzten Kindergartenjahr statt, also um den sechsten Geburtstag herum. In Zukunft werden die Kinder schon im vorletzten Kindergartenjahr untersucht.

Die Untersuchung besteht aus dem Schuleingangsscreening und der schulärztlichen Untersuchung. Rechtlich festgelegte Bestandteile des Schuleingangsscreenings sind die Erhebung der medizinischen Vorgeschichte, die Kontrolle des Impfstatus‘, und ob das Kind regelmäßig an den Vorsorgeuntersuchungen teilgenommen hat sowie die Messung von Gewicht und Körperlänge. Ein wichtiger Teil der Untersuchung ist das Entwicklungsscreening, wobei die sogenannten vorschulischen Vorläuferfähigkeiten beurteilt werden. Das sind die Basiskompetenzen, auf denen das spätere Erlernen vom Lesen, Schreiben und Rechnen aufbaut. In der reformierten Schuleingangsuntersuchung wurde der Umfang des Entwicklungsscreenings also wesentlich erweitert.

Und wie wird die Entwicklung des Kindes beurteilt?

Poghosyan: In dem bisherigen Konzept wurden hauptsächlich die Sprache sowie die Grapho- und Visuomotorik, also die Schreibvorläuferfähigkeiten wie die Hand-Finger-Motorik und die Hand-Auge-Koordination, geprüft. Das wird jetzt erheblich erweitert.

Es kommen Testungen der Rechenvorläuferfähigkeiten, sprich das Mengen- und Zahlenverständnis, der visuellen Wahrnehmung und der Fähigkeit zum Schlussfolgern dazu. Auch die Sprachtestung wurde nochmals erweitert.

Dadurch, dass der Test ein Jahr früher vorgenommen wird, fehlt den Kindern ja auch ein Jahr zur Entwicklung. Werden die Erwartungen bei der Prüfung altersgerecht angepasst?

Poghosyan: Absolut. Die Entwicklung ist ein dynamischer Prozess und zu jedem Entwicklungsstand gibt es gewisse Kompetenzen, die das Kind besitzen sollte. Mehr wird nicht erwartet. Natürlich sind die Testverfahren altersadaptiert, es gibt standardisierte Bewertungskriterien für verschiedene Altersgruppen. Die Entwicklungsbereiche, die getestet werden, sind aber immer die gleichen.

Hierl: Die Testverfahren wurden vom Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit entsprechend dem Stand der Wissenschaft aufgestellt und in einer Studie erprobt. Es wurde wirklich darauf geachtet, dass sie altersadaptiert sind. Anhand dessen wurde auch erkennbar, welche Vorteile diese Reform bringt.

Welche Vorteile wären das?

Hierl: Im letzten Kindergartenjahr blieb früher oft wenig Zeit bis zur Einschulung, um bei bestehenden Defiziten noch etwas ändern zu können. Durch die Vorverlagerung gewinnen die Kinder ein Jahr mehr Zeit, in dem gezielt bei Auffälligkeiten oder Defiziten gefördert werden kann. Ziel ist nicht eine Rückstellung vom Schulbesuch, sondern Kinder so weit für den Schuleintritt vorzubereiten, dass sie einen wirklich guten Start in das Schulleben haben.

Das macht wahrscheinlich auch Sinn angesichts der Tatsache, dass man auch sehr lange auf Ergotherapie- oder Logopädie-Plätze wartet, oder?

Hierl: Wir versuchen, die Eltern auch intensiv zu beraten, was sie selber beitragen können und wie zu Hause schon gefördert werden kann. Manchmal ist es einfach notwendig, dem Kind mehr Zeit zu widmen, damit es bestimmte Dinge, wie zum Beispiel die Graphomotorik oder das Malen, übt. Gerade mit einem spielerischen Ansatz können Kinder auch im häuslichen Umfeld motiviert werden. Darüber hinaus geben wir den Sorgeberechtigten in begründeten Fällen auch Empfehlungen zur Mitbeurteilung durch den betreuenden Arzt an die Hand.

Eine Prüfung beziehungsweise ein Test ist ja immer nur eine Momentaufnahme. Was wenn das Kind an diesem Tag einen schlechten Tag hat?

Hierl: Das kennen wir ja alle. Wir bemühen uns wirklich, einen spielerischen Ansatz zu pflegen. Unsere Mitarbeiterinnen schaffen eine angenehme Atmosphäre, in der sich das Kind öffnen kann, sodass erst gar keine Stresssituation aufkommt. So verhindern wir, dass eine Art Prüfungssituation entsteht. Es gibt also keinen Grund zur Sorge, dass das Kind einen Stempel aufgesetzt bekommt oder unter Druck gesetzt wird.

Und wie genau wird die Reform umgesetzt? Wer erhält bald Post vom Gesundheitsamt?

Rentz: Wir fangen in diesem Sommer ab Juni mit der Umstellung auf die reformierte Schuleingangsuntersuchung an. Die Umstellung wird dabei zeitlich gestaffelt. Vom Gesundheitsamt werden die Kinder eingeladen, die zwischen dem 1. Oktober 2018 und dem 30. September 2019 geboren sind. Getestet werden rund 3200 Kinder aus Stadt und Landkreis Rosenheim. Alle werden nach dem reformierten Testverfahren untersucht. Die Sorgeberechtigten erhalten dann vom Gesundheitsamt ein Einladungsschreiben mit einem personalisierten Code, mit dem sie auf unserer Webseite einen Termin buchen können. Dafür haben sie zwei Wochen Zeit. Wir werden jetzt in den nächsten Tagen bis Ende Mai die Einladungen für die Kinder verschicken, die im Oktober 2018 geboren sind. Die Termine sind dann für Anfang Juni buchbar.

Poghosyan: Wir sind dabei auch auf die Teilnahmebereitschaft der Eltern angewiesen. Manche Eltern befürchten vielleicht, dass ihr Kind noch zu jung ist, und reservieren erst sehr spät einen Termin. Die ersten Wochen sind dann nur spärlich gebucht und am Ende reichen die Termine nicht aus. Deshalb möchten wir noch einmal betonen: Keiner muss vor der Untersuchung Angst haben. Die reformierte Schuleingangsuntersuchung ist im Gegenteil eine Möglichkeit, frühzeitig Defizite im Bereich der vorschulischen Vorläuferfähigkeiten zu erkennen und Beratung zu bekommen.

Rentz: Es ist eine Chance für das Kind.

Interview: Tina Blum