Rosenheim – Bis unter die Decke stapeln sich die Bücher in den Regalen. Auch der Boden ist voll mit Bücherkisten, nur ein schmaler Gang führt durch den kleinen Antiquitätenladen. 10000 Bücher sind es insgesamt, schätzt Helmut Martin, Inhaber des Antiquariats Am Roßacker. Die ältesten sind aus der Mitte des sechzehnten Jahrhunderts. „Bücher müssen Füße kriegen“, sagt er. Damit meine er, dass Bücher weitergegeben und gelesen werden sollen.
Begonnen hat
alles im Jahr 1987
Bei Martin bekommen viele Bücher „Füße“, denn in dem Antiquariat werden teils jahrhundertealte Bücher gekauft und verkauft.
Begonnen hat alles 1987, als er auf die jüdische Pianistin Lola Sinz traf. Die Musikerin ist während der Nazizeit ins Allgäu geflüchtet. Mit im Gepäck: Viele alte Bücher. Martin war damals auf der Suche nach weiteren Exemplaren gewesen, die er kaufen konnte.
So trafen sich die beiden und seien Freunde geworden. Die Bücher, die Sinz verkaufte, hätten in Martin einen Hunger nach mehr Antiquitäten geweckt. So baute sich der hauptberufliche Religionslehrer eine Sammlung an historischen Objekten auf. Bald war kein Platz mehr. So suchte er nach Räumen, in denen er seinen Laden aufbauen konnte.
2004 eröffnete Martin zusammen mit dem Historiker Bernhard Stalla das Antiquariat am Roßacker. Die beiden hatten sich über ihre gemeinsame Leidenschaft für Antiquitäten kennengelernt. „Wir haben unser Wissen ergänzt“, sagt Stalla. Er habe Martin beraten und die Antiquitäten geordnet. Stalla betont, dass er kein Angestellter gewesen ist, sondern Martin ehrenamtlich geholfen habe. Nach fünf Jahren Zusammenarbeit fokussierte Stalla sich auf seine Aufträge als Freiberufler, doch Helmut Martin blieb bei dem Antiquariat.
„Heutzutage gibt es so viele schnelle Veränderungen, die Bücher dagegen vermitteln Beständigkeit“, sagt Martin. Viele seiner Kunden würden eine solche Beständigkeit inmitten der hektischen Gegenwart suchen. Andere Käufer seien Studenten auf der Suche nach seltenen Büchern für wissenschaftliche Arbeiten.
Auch Touristen kämen zu Martins Antiquariat. „Einige Menschen kommen aber auch nur vorbei, um zu stöbern und zu entdecken“, sagt Martin. Zu entdecken gibt es im Antiquariat vieles. Beispielsweise eine Ausgabe des Kinderromans „Karlsson vom Dach“, der von der Autorin Astrid Lindgren signiert wurde. Adressat der Signatur ist der ebenfalls bekannte Kinderbuchautor Otfried Preußler, der 2013 in Prien am Chiemsee verstorben ist.
„Nach dem Tod Preußlers landete ein Teil seiner Bibliothek bei mir“, sagt Martin. Er habe damals einen Anruf von einem Wohnungsauflöser bekommen. „Der meinte, er hätte Bücher, aber er dürfe nicht sagen, von wem“, sagt Martin. Doch spätestens als er die Signatur von Astrid Lindgren sah, war ihm klar, wessen Bücher er übernommen hatte.
Das signierte Buch sei für ihn zu wertvoll, um es zu verkaufen doch er habe nichts dagegen, wenn Besucher darin schmökern würden. „Manchmal kann man als Antiquar eben nicht widerstehen und behält ein Buch erst mal für sich“, sagt er.
Andere Schätze dagegen wurden bereits verkauft. So zum Beispiel auch ein handgeschriebener Brief von Charles Darwin für 3000 Euro. Dieser Brief war damit einer von Martins teuersten verkauften Antiquitäten. Auch Zeitungsausschnitte sammelt er. Neben alten Ausgaben des damaligen Rosenheimer Anzeigers aus den 1940er-Jahren bewahrt er sich auch mehr oder weniger aktuelle Zeitungsartikel auf.
„Ein Artikel über Rosenheimer Schülerinnen in den 50er-Jahren hat mich dazu inspiriert, Jahresberichte zu sammeln“, sagt er. Dabei habe er auch namhafte Menschen wie Edmund Stoiber unter den Schülernamen entdeckt. Auch alte Kochbücher oder einen Palästina-Reiseführer gibt es in seiner Sammlung. „Hinter diesen Aufzeichnungen lassen sich Geschichten nachvollziehen, von Menschen, Ländern und Zeitgeistern“, sagt Martin.
20 Kisten voller
Kriminalromane
An die Geschichte von einer unscheinbar wirkenden Kriminalromanserie erinnert sich Martin besonders. „Mich rief eine Frau an, deren Verwandter verstorben war und 20 Kisten voller Kriminalromane hinterlassen hat“, sagt Martin. Er habe sich mit dem Genre bisher kaum auseinandergesetzt. Schließlich hat ein Kriminalmuseum die Bücher gekauft. „Die Leidenschaft, welche die verstorbene Person für Kriminalromane gehabt hat, hat mich berührt“, sagt Martin. Seitdem habe er jedes Mal an diese Geschichte hinter der Bücherreihe denken müssen, wann immer er einen Krimi sah.