„Kinder brauchen einen Ort zum Trauern“

von Redaktion

Nach elf Jahren ist für Beate Düntsch-Hermann Schluss. Die Leiterin des Trauerzentrums „Lacrima“ der Johanniter-Unfallhilfe im Familienzentrum Christkönig geht in den Ruhestand. Nun blickt sie auf die vergangenen Jahre zurück und erklärt, warum sie die Reißleine ziehen musste.

Rosenheim – Ein Bub zündet eine Kerze an. Er sei den Tag zuvor traurig gewesen. Beim Klavierspielen habe er sich an seinen Papa erinnern müssen. Sein Vater habe ihm gerne beim Spielen zugehört. „Doch Papi kann das nicht mehr. Der wäre jetzt bestimmt ganz stolz auf mich“, habe der Junge gesagt. Er wollte weinen bei dem Gedanken an seinem verstorbenen Vater. „Aber das habe ich mich nicht getraut, weil die Mami gestern das erste Mal wieder richtig gelacht hat.“

Todesfälle erschüttern
Kinder massiv

Es ist eine Geschichte, die Beate Düntsch-Hermann sehr berührt hat. Elf Jahre lang leitete sie das Trauerzentrum „Lacrima“ der Johanniter-Unfallhilfe in Rosenheim ehrenamtlich und half den Kindern bei der Trauerbewältigung. „Im Falle des Jungen wollte er die Verantwortung für das verbliebene Elternteil übernehmen“, sagt Düntsch-Hermann. Ganz oft wollen Kinder beim Verlust eines Elternteils dem anderen keine weiteren Sorgen bereiten. Sie werden fleißiger in der Schule und helfen freiwillig im Haushalt.

Dann gebe es auch Kinder, die Rücksicht und einen Schutzraum brauchen. In der Schule sacken die Noten ab und die Stimmung der Kinder schwankt. Nicht untypisch seien auch kurzzeitige Rückschritte in der Entwicklung. „Es gab einmal einen Neunjährigen, der wieder die Duplo-Steine herausgeholt hat. Oder ein Sechsjähriger, der auf einmal wieder in einer Babysprache redete“, sagt die Leiterin.

Die betroffenen Kinder wollen in die Zeit zurück, als die Welt noch in Ordnung war. Denn der Tod einer nahestehenden Person erschüttert ein Kind massiv.

Seit elf Jahren begleitet Beate Düntsch-Hermann Kinder durch die Trauer. Jede Geschichte ist individuell und jedes Kind geht nach ihrer Erfahrung mit dem Tod anders um.

„Die harte Haut
bekommt Risse“

Die Geschichten der Kinder hat Beate Düntsch-Hermann nie an sich herangelassen. „Eine Voraussetzung für die Arbeit mit ‚Lacrima‘ ist, dass wir zwischen Mitleid und Mitgefühl unterscheiden“, sagt sie. Zwar fühle sie mit jeder Familie mit, aber leiden tue sie nicht. Das habe sie durch ihren Beruf als Kinderärztin gelernt. Doch nun sei es genug. „Die harte Haut bekommt langsam Risse“, sagt Düntsch-Hermann. Die Schicksale prallen nicht mehr an ihr ab. Deshalb hat sie sich nun für die Rente entschieden.

„Trauer ist
ein Geschenk“

Auf die Zeit bei „Lacrima„ blickt sie dennoch zufrieden zurück. Angefangen hat alles in München, wo das Zentrum des Trauerzentrums ist. Jeden Tag fuhr Düntsch-Hermann von ihrem Wohnort Tuntenhausen nach Aubing bei München, um dort trauernden Kindern zur Seite zu stehen. Mit der Zeit kamen viele Familien aus dem Landkreis Rosenheim auf sie zu und fragten nach einem freien Platz in den Angeboten der Trauerhilfe. Doch die Fahrten stellten sich für viele Familien als Herausforderung dar.

Damals fiel bei ihr die Entscheidung, auch in Rosenheim einen Standort aufzumachen. Die einst ehrenamtliche Mitarbeiterin Beate Düntsch-Hermann wurde zur Leiterin der neuen Gruppe.

„Derzeit gibt es zwei Gruppen, die wir betreuen“, sagt sie. In der Kindergruppe sind sieben Kinder zwischen sechs und zwölf Jahren. Fünf Ehrenamtliche kümmern sich um sie.

In der Jugendgruppe passen drei Mitarbeiter auf die sechs Kinder auf. Was sie den Kindern in dieser Zeit mit auf den Weg geben möchte: „Trauer ist ein Geschenk.“ Und, dass es okay ist, dass jeder auf seine Weise und unterschiedlich lange trauert. Bei „Lacrima“ erhalten die Kinder einen Ort, in dem sie sich austauschen können, aber auch ihre Emotionen rauslassen können. Für Beate Düntsch-Hermann war die Zeit bei „Lacrima“ eine „sinnstiftende Arbeit“. Doch nun heißt es für sie Abschied zu nehmen. Sie wird zurück in ihre Heimat Berlin ziehen.

Auch für Diakon Tobias Rilling, Sachgebietsleiter von „Lacrima“ heißt es, sich zu verabschieden. „Sie war immer sehr zuverlässig und auch in der Leitung des Teams sehr kompetent“, sagt er.

Viel für
„Lacrima“ bewirkt

Beate Düntsch-Hermann habe in ihrer Zeit als Leitung vieles bewirkt. „Letztlich haben wir ihr es zu verdanken, dass Lacrima nicht nur als Gruppenangebot wahrgenommen wird, sondern auch als Fachstelle für trauernde Familien einen Namen bekommen hat“, so Rilling. Düntsch-Hermanns sehnlichster Wunsch sei es gewesen, dass die Stelle der Leitung von einer ehrenamtlichen Stellung zu einer Festanstellung wird. Dieser Wunsch wurde ihr noch erfüllt. „Lacrima Rosenheim wird immer ein Verdienst von Beate Düntsch-Hermann sein und bleiben. Dafür gebührt ihr ein riesengroßes Dankeschön“, so Rilling.

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