„Ich denke nicht, ich mache einfach“

von Redaktion

Bahn-Held hilft Fahrgästen aus der Patsche und wird als „Eisenbahner mit Herz“ geehrt

Rosenheim – Jeden Tag eine gute Tat. Dieses Motto leitet Thomas Böhm. Seit vier Jahren arbeitet der Nürnberger als Kundenbetreuer bei der Bayerischen Regiobahn. Er kontrolliert Tickets, gibt Auskünfte über Fahrpläne und informiert über die unterschiedlichen Tarife. „Für mich ist es ein absoluter Traumberuf“, sagt Böhm. Er sitzt am Rosenheimer Bahnhof, beobachtet die Züge. Kurz denkt er nach, dann lächelt er. „Manchmal fühlt sich mein Job an wie ein bezahlter Komödienstadel. Die Arbeit bleibt gleich, aber die Schauspieler wechseln alle paar Stationen.“ Er erzählt von Randalierern, Schwarzfahrern und denjenigen, an die er sich auch Monate später noch gern erinnert. An Jörn und Arn Tacke aus Hannover zum Beispiel.

Auf der Suche
nach Alternativen

Vater und Sohn waren gerade auf dem Weg von Italien nach München, um von dort weiter nach Hannover zu fahren. Doch in Kufstein verpassten sie unverschuldet aufgrund eines Gleiswechsels den letzten Zug. Durch Zufall trafen sie auf Thomas Böhm. Gemeinsam suchten sie nach einer Lösung. „Wir haben nach verfügbaren Hotels geschaut“, erinnert sich der Kundenbetreuer. Weil das keine Option gewesen sei, bot Böhm an, die beiden nach München zu fahren – mit seinem Privatauto.

Über 300 Kilometer
für die Kunden

Das Problem: Böhms Schicht endete zu dieser Zeit noch verpflichtend am Dienstort in Rosenheim. Nach der letzten Fahrt musste er also mit dem Taxi dorthin fahren, sein Auto abholen und zurück nach Kufstein fahren. „Als ich dort angekommen bin, war es bereits halb drei“, sagt der Kundenbetreuer. Er sammelte Vater und Sohn ein und setzte sie vor dem Münchener Hauptbahnhof ab. Insgesamt legte er so über 300 Kilometer zurück. „Wir haben uns mit Handschlag verabschiedet und keine Nummern ausgetauscht“, sagt Böhm. Als er sich nach der Verabschiedung zurück in sein Auto setzt, findet er einen 50-Euro-Schein in der Mittelkonsole seines Autos.

Seitdem ist fast über ein Jahr vergangen. „Monatelang habe ich von beiden nichts mehr gehört“, sagt Böhm. Bis zu dem Moment, als er von der Marketingabteilung der BRB informiert wurde, dass er für den Wettbewerb „Eisenbahner mit Herz“ des Verkehrsbündnisses „Allianz pro Schiene“ vorgeschlagen und von einer Fachjury als Sieger ausgewählt wurde. Bei einer Gala in Potsdam erhielt Böhm die Auszeichnung „Bundessieger Silber“ und traf auf Jörn Tacke und seinen Sohn. „Uns war sofort klar, dass wir die Geschichte, direkt nachdem es passiert ist, einreichen“, sagt Tacke am Telefon. Er sei überwältigt gewesen von der Hilfsbereitschaft, könne auch Monate später nicht glauben, dass Thomas Böhm den langen Weg von Kufstein nach München für zwei Fremde auf sich genommen hat – mitten in der Nacht. „Ich mache die Erfahrung, dass so viele Eisenbahner und Eisenbahnerinnen täglich mehr als das Nötigste machen“, sagt Böhm. Er habe in dem Moment überhaupt nicht darüber nachgedacht, wie spät es ist oder wie weit der Weg ist. Vielmehr sei es ihm wichtig gewesen, dass Vater und Sohn wohlbehalten an ihrem Ziel ankommen. „Ich denke nicht nach, ich mache einfach“, sagt er.

Polizisten unter die
Arme gegriffen

Wie damals, als er einen gestrandeten Polizisten aus Norddeutschland von Rosenheim nach Traunstein fuhr, weil der den letzten Zug verpasst hatte. Oder vor zwei Jahren, als er einer Frau aus Russland dabei half, ihr Handy wiederzufinden, das sie im Zug vergessen hatte. Weil sie das Handy erst einen Tag später abholen konnte, habe er ihr sein Gästezimmer angeboten. „Wir haben zusammen ein bayerisches Bier getrunken und am nächsten Tag habe ich sie nach Innsbruck zu ihrem Telefon gefahren“, sagt Thomas Böhm.

Er zuckt mit den Schultern. Für ihn sind diese Dinge selbstverständlich. Und doch gibt es eine Geschichte, auf die er besonders stolz ist. Im März war das, kurz vor 20.30 Uhr, als Böhm gerade mit dem Zug in Rosenheim ankam. Bereits während der Fahrt sei eine ältere Frau auf ihn zugekommen und habe ihn nach alternativen Verbindungen nach Salzburg gefragt. Ihre Freundin, mit der sie auf dem Weg nach Rom sei, habe den Zug verpasst und stehe noch in München.

München – Raubling
mit dem Taxi

Böhm telefonierte und organisierte. Er riet der Dame, ein Taxi von München zur Autobahnausfahrt in Raubling zu nehmen. Dort wartete er bereits im Auto auf sie. „Alles war sehr eng getaktet“, erinnert sich der Kundenbetreuer. Die Freundin der Dame sei zu der Zeit bereits auf dem Weg nach Salzburg gewesen. „Dort sollte sie die Zugbegleiter darüber informieren, dass wir auf dem Weg sind“, sagt Thomas Böhm.

Von Raubling fährt er nach Salzburg. Es sei dunkel gewesen und habe geregnet. Er parkt direkt vor dem Hauptbahnhof, schnappt sich die Tasche der Seniorin und rennt in Richtung Gleis. Dort hätten die Zugbegleiter ihn bereits empfangen. „Wenn wir nur ein paar Sekunden später gekommen wären, hätte der Zug nicht warten können“, sagt er. So habe er die beiden Frauen wieder zusammengebracht. „Ich war richtig glücklich. Ich hatte noch nie einen Fernverkehrszug aufgehalten.“

Für eine bessere Welt
aufeinander achten

Es sind Momente wie diese, die den Beruf für ihn so besonders machen. Böhm will Menschen helfen, dafür sorgen, dass sie wohlbehalten ankommen. Auch wenn das bedeutet, dass er hin und wieder mitten in der Nacht über die Autobahn düsen oder hunderte Kilometer fahren muss. „Wenn jeder ein bisschen mehr auf den anderen schaut, würde unsere Welt ganz anders aussehen“, sagt er.

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