Rosenheim – Max (Name geändert) hat Sport geliebt. Doch der Corona-Lockdown hat Spuren hinterlassen. „Max ist psychisch in sich zusammengefallen“, sagt sein Vater, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will. Max sei auch nach Ende des Lockdowns nicht mehr aus dem Haus gegangen. Er habe lieber daheim gesessen und Online-Spiele gespielt. „Er hatte Angst, sich mit Corona anzustecken“, sagt der Vater. Durch die psychische Belastung, die Heißhungerattacken und dem Bewegungsmangel habe der Bub zugenommen. Nach einem Besuch beim Arzt steht fest: Max leidet an Adipositas.
Eine Sportart für
alle Gewichtsklassen
„Der Kinderarzt hat uns dann auf ein Sportangebot für Kinder mit Adipositas hingewiesen“, sagt Max‘ Vater. Er meldete seinen Sohn bei der ambulanten Adipositasschulung „Big Friends und Rosenheim Rebels“ an. Das einjährige Programm besteht unter anderem aus der Teilnahme in einem American-Football-Team. Max‘ Vater sehe seitdem große Veränderungen bei seinem Sohn. „Max ist richtig stolz auf seine Siege im Spiel“, sagt er.
Jahresprogramm mit Expertenbegleitung
Ernährungsberaterin und Kurskoordinatorin Bettina Kuba arbeitet für das „Lufti-Team“, das das einjährige Programm für Kinder wie Max organisiert. Das „Lufti-Team“ ist ein gemeinnütziger Verein, der Kindern mit Krankheiten hilft. Begonnen habe alles 1996 mit Projekten für junge Asthmatiker. Seitdem haben sich die Hilfsangebote erweitert und seit 2009 wurden auch Hilfen für Kinder und Jugendliche mit Adipositas angeboten. „Wir haben ein interdisziplinäres Team aus Medizinern, Ernährungs- und psychosozialen Beratern und Sporttrainern“, sagt Kuba. Seit 2023 besteht die Kooperation zwischen „Lufti“ und den „Rosenheim Rebels“. „Das langfristige Ziel ist, die Kinder zu Sport und gesunder Ernährung zu motivieren“, sagt Kuba. Die Umstellung der Lebens- und Essgewohnheiten soll Spaß machen und auch nach der Schulung freiwillig beibehalten werden.
Laut Kuba sei der Sport besonders geeignet. „Beim American Football braucht es Leicht- und Schwergewichte“, sagt sie. So sei das Gewicht der Kinder auch ein Vorteil. Trotzdem gäbe es keinen Körperkontakt und damit auch kaum Verletzungsgefahr. Anstatt einander anzurempeln, trägt jedes Kind zwei grüne Bänder um der Hüfte, an denen sie von den Mitspielern zurückgehalten werden.
„Die Moral der Kinder ist super und der Zusammenhalt untereinander ebenfalls toll“, sagt Trainer Dominic Tzolov. Kinder mit Adipositas würden gut aufgenommen. „Dabei gibt es etwa fünf übergewichtige Kinder pro Gruppe im Alter von acht bis 17 Jahren“, sagt er. Er finde es schön, zuzusehen, wie das Selbstvertrauen der Kinder wächst. „Am Anfang haben manche Kinder Angst vor dem Ball, lernen dann aber, sich ihrer Angst zu stellen“, sagt er. Dieses Überwinden der eigenen Angst könnten die Kinder auch auf andere Lebensbereiche anwenden. „Wir sind keine Psychotherapeuten“, stellt Bettina Kuba klar. Auch den Begriff „Abnehmgruppe“ weist Kuba zurück. „Das Abnehmen passiert dabei als Nebeneffekt, im Fokus steht die Stärkung des Selbstvertrauens“, sagt Kuba. Denn gerade bei Übergewicht sind Scham und Stigma groß – deshalb möchten die teilnehmenden Eltern und Kinder auch anonym bleiben. „Ich will nicht, dass mein Bub dasselbe durchmachen muss wie ich“, sagt die Mutter von Lukas (Name geändert). Sie habe selbst gemeine Kommentare zu ihrem Gewicht bekommen. Adipositas sei in der ganzen Familie ein Thema. „Dabei funktionieren unsere Körper nur anders, wir legen bei gleichen Essgewohnheiten um ein Vielfaches schneller Gewicht zu als andere Menschen“, sagt sie. Auch Lukas nahm während Corona zu.
Eine Schulung für
die ganze Familie
Doch die Teilnahme an der Adipositasschulung helfe. „Lukas ist jetzt viel aktiver geworden“, sagt seine Mutter. Doch nicht nur das: Laut Lukas‘ Mutter habe sich die gesamte Familie mit verändert. „Er lernt über das Programm, mit anderen Kindern zu kochen und bringt die neuen Rezepte auch bei uns auf den Esstisch“, sagt sie. Bei der Adipositasschulung würde die ganze Familie miteinbezogen werden. „Bei Adipositas spielt nicht nur die Psyche des Kindes eine Rolle, sondern auch die der Eltern“, sagt Lukas Mutter. So habe sie in psychosozialen Elternsitzungen gelernt, ihre Unsicherheiten nicht auf Lukas zu projizieren.
Erfolge mit Langzeitwirkung
Bei vielen Kindern hat das Konzept Erfolg. „Ich spiele seitdem auch daheim Football“, sagt Lukas. Anfangs sei er nicht gerne zum Training gegangen, doch das habe sich geändert. „Was mir gefällt, ist, dass man nicht spielen muss, wenn man nicht will“, sagt er. Genau das habe ihn davon überzeugt, sich weiter im Team zu engagieren.