Rosenheim – „Das reichhaltige Programm bot eine abwechslungsreiche Fülle von musikalischen Darbietungen ernsten und heiteren Charakters und lieferte wiederum den erfreulichen Beweis von dem erfolgreichen Bemühen der Lehrerschaft, den Sinn der Musik in die jungen Herzen zu pflanzen und zur Blüthe zu bringen, sowie von der schönen Begabung und dem Eifer, mit dem alle bei den Produktionen auf musikalischem Gebiet Betheiligten ihren Uebungen sich hingaben.“
Sätze von damals, die weiter Bestand haben
So beschrieb der Rosenheimer Anzeiger die musikalische Umrahmung der ersten Abiturfeier in Rosenheim, die am 14. Juli 1899 am Königlichen Humanistischen Gymnasium stattfand, das heute Ignaz-Günther-Gymnasium heißt. Die Sätze passen auch für die Entlassungsfeier der Schule 125 Jahre später: Der „Sinn der Musik“ war offensichtlich auch in den „jungen Herzen“ von 2024 „zur Blüthe gebracht“ worden Mit Stücken von Giuseppe Sammartini, Haydn, Klaus Karl und Beethoven begeisterten die Absolventen die voll besetzte Aula mit einer „abwechslungsreichen Fülle von musikalischen Darbietungen ernsten und heiteren Charakters.“
Smartphones
statt Fechtwaffen
Natürlich hat sich in den letzten 125 Jahren einiges verändert. Man braucht ja nur die Fotos der beiden Abiturjahrgänge zu vergleichen: Der Abiturjahrgang 2024 ist nicht nur bedeutend größer, er ist auch in vielerlei Hinsicht deutlich bunter als der von 1899. Auch hat heute niemand bei seiner Entlassungsfeier eine Fechtwaffe in der Hand, eher ein Smartphone in der Tasche. Auch in dem, was sie können, unterscheiden sich die beiden Jahrgänge: Bei manchen Prüfungsaufgaben von damals, hätten die Absolventen heute keine Chance mehr. Umgekehrt aber gilt das auch: Bei den Abiaufgaben von 2024, in denen Themen wie „Weltraumschrott“, „Leitzinserhöhung“ oder „Literaturkritik in Zeiten des Internets“ vorkamen, wären die Abiturienten von 1899 aufgeschmissen. In etlichen Fächern hätten sie gar kein Abitur machen können, weil sie in ihrer Schulzeit nur etwa halb so viele Fächer hatten wie die Gymnasiasten heute. Manches scheint sich am Ignaz-Günther-Gymnasium aber in all den Jahren tatsächlich nicht verändert zu haben. 1899 konnte der damalige Schulleiter, Max Miller, feststellen, „daß es an Wohlwollen von Seite des Lehrercollegiums nicht gefehlt habe“.
125 Jahre Wohlwollen und Fürsorge
Und über den Absolventen, der damals die Abiturrede halten durfte, hieß es im Zeitungsbericht: „In edel durchdachter quellenfrischer Ansprache an den verdienstvollen kgl. Rektor und die Herren Professoren dankte der jugendliche Redner im Namen seiner Kommilitonen für die gebotene Fürsorge im Studium.“ Das war bei der Feier 2024 ganz genauso: Rafael Hanusch und Dominik Lang bedankten sich im Namen des Jahrgangs in ebenso „quellenfrischer Ansprache“: „Wir gingen auf eine Schule, die Menschlichkeit und Respekt großschreibt. Auf eine Schule, mit den besten Leuten, die man sich vorstellen kann. Eine Schule, die uns maßgeblich geholfen hat, die Personen zu werden, als die wir jetzt hier stehen.“
Anton Maier, der Vertreter der Eltern, konnte das aus Sicht eines Vaters von Kindern an der Schule durchaus bestätigen. Und weil es in einem Schülerleben auch Anstrengungen und Enttäuschungen gebe, sei so eine Atmosphäre an einer Schule von großem Wert.
Das Leben als Pralinenschachtel
Man könne da Zutrauen für das eigene Leben entwickeln. Denn schon aus dem Kino wisse man ja: „Das Leben ist wie eine Schachtel Pralinen: Man weiß nie, was man bekommt.“ Die Absolventen könnten für ihre Zukunft ganz zuversichtlich sein, stellte der stellvertretende Schulleiter Udo Segerer fest.
Ein Jahrgang, der
für Geschichten sorgt
Der Abijahrgang 2024 sei schließlich ein besonderer Jahrgang. Nicht in erster Linie wegen seiner überdurchschnittlichen Leistungen im Abitur, sondern eher wegen der vielen Geschichten, die man über diesen Jahrgang seit acht Jahren in der Schule zu hören bekomme. Etwa die Anekdote des Schulleiters (der krankheitsbedingt keine Stimme hatte): Ihm sei auf dem Gang einmal bei einer Fünftklässlerin herausgerutscht: „Du bist ja ein netter kleiner Zwerg!“ Die Antwort kam prompt: „Und Du ein netter großer Zwerg!“ Und bei einem Konzert in der Aula habe ein Fünftklässler den Schulleiter in der ersten Reihe höflich darauf hingewiesen, dass der Platz eigentlich für „unseren Direktor“ reserviert sei. Beide Fünftklässler saßen jetzt als Absolventen auf der Bühne.
Solche Geschichten gebe es erstaunlich viele über den Jahrgang, so Segerer. Sie verrieten Witz, Mut und Engagement für das Ganze. Leute mit solchen Eigenschaften könnten die Zukunft mitgestalten. Von den überall zu vernehmenden Unkenrufen, die Jugend werde es später mal nicht so gut haben wie die Generationen vorher, bräuchten die Absolventen sich nicht beeindrucken lassen. Wie der Schulleiter 1899 wünschte Segerer den Absolventen für die Zukunft „gut Glück allerwegen“.
Schließlich konnte der stellvertretende Schulleiter gemeinsam mit Carsten Drechsler, der den Jahrgang nach übereinstimmender Ansicht der Absolventen sehr fürsorglich als Oberstufenkoordinator bis zum Abitur begleitet hatte, zur Verleihung der „Absolutorial-Zeugnisse“ schreiten. Wie 1899 trug natürlich die Aula „aus Anlaß der Schlußfeier festlichen decorativen Schmuck“ mit „werthvollen Grüngewächsen“.
114 Absolventen – einige ragen heraus
Von den 114 Absolventen erreichten die besten Gesamtergebnisse der Schule: Elisabeth Pihusch, Anna Amberger, Miriam Huber, Johannes Burkhart, David Lambrich, Tara Joelle Angermann und Anna Herrmann. Es gab außerdem zahlreiche Urkunden, Preise oder Ehrennadeln für herausragende Leistungen in einzelnen Bereichen oder für außerordentliche Verdienste um das Schulleben.
Nach der Verleihung der Abiturzeugnisse trafen sich die jungen Erwachsenen mit Verwandten, Freunden und Lehrkräften bei strahlendem Wetter auf dem Schulhof zum Stehempfang. Und wie im Jahr 1899 konnte man auch 2024 feststellen: „Die Schlußfeier machte auf alle Theilnehmer einen erhebenden Eindruck.“ re