„Kein böser Mensch“ – Dennoch in Haft

von Redaktion

37-jähriger Rosenheimer „schweren Herzens“ vom Amtsgericht verurteilt

Rosenheim – Ein Zugbegleiter im Zug aus München meldete am 23. August des vergangenen Jahres gegen 15 Uhr, dass während der Fahrt ein betrunkener Fahrgast randaliert und Suizidgedanken äußerte. Daraufhin warteten bereits zwei Beamte der Bundespolizei am Bahnsteig in Rosenheim auf den Zug, um den auffälligen Mann in Empfang zu nehmen. Dabei stellten sie fest, dass der Mann deutlich alkoholisiert war.

Als sie ihn nach seiner Befindlichkeit befragten, zeigte sich der Mann extrem unkooperativ. Wegen seines Zustandes schlugen ihm die Beamten vor, zur Ausnüchterung mitzukommen. Der Mann hatte allerdings andere Vorstellungen: Er leistete heftigen Widerstand und attackierte die Beamten.

Angeklagter
bestreitet Vorwürfe
vor Gericht nicht

Deshalb wurde er nun aus dem Inn-Salzach-Klinikum zum Amtsgericht nach Rosenheim gebracht, wo er sich vor der Richterin Julia Vogel zu verantworten hatte. Er selbst konnte sich, nach eigener Aussage, an die Vorgänge aus dem vergangenen Jahr gar nicht mehr erinnern. Er wisse nur noch, dass er in der Ausnüchterungszelle aufgewacht sei. Der Mann wollte aber auch keinen der Vorwürfe bestreiten.

Erinnern konnte er sich nur daran, dass er am Tag vor der verhängnisvollen Zugfahrt erfahren hatte, dass er nach Bernau in die JVA müsse, um eine Haftstrafe zu verbüßen. Darüber sei er verzweifelt gewesen, aus der Therapieanstalt entwichen und habe sich deshalb betrunken. In Rosenheim am Bahnhof habe er mit seinem Betreuer telefoniert, mehr wisse er nicht mehr.

Mann wirft Telefon
nach Polizisten und
wehrt sich mit Tritten

Die Beamten berichteten im Zeugenstand, dass er tatsächlich erst nach dem Telefonat ausgerastet sei. Sein Telefon habe er auch nach einem Beamten geworfen und sich mit Tritten und heftigem Widerstand gegen die polizeilichen Maßnahmen gewehrt. Dieser Telefonwurf habe einen der Beamten zwar schmerzhaft getroffen, allerdings könne dem Mann keine Absicht, jemanden treffen zu wollen, unterstellt werden.

Der forensische Gutachter Professor Michael Soyka berichtete, dass es sich bei dem Angeklagten um einen schwer alkoholkranken 37-jährigen Mann handle. Bereits 15-mal sei er in verschiedenen Anstalten zur Entgiftung gewesen, wobei er einmal einen Blutalkoholgehalt von 4,6 Promille aufzuweisen hatte. Gewiss sei eine familiäre Vorbelastung gegeben, zumal bereits seine Mutter und Großmutter Alkoholiker gewesen seien.

Tatsächlich habe der Angeklagte niemals einen Beruf gelernt und sei auch immer nur kurzzeitig irgendwelchen geringfügigen Tätigkeiten nachgegangen. Zudem sei bei den angeklagten Taten – gemäß Paragraf 21 Strafgesetzbuch – eine verminderte Schuldfähigkeit zu unterstellen. Eine Therapie im Maßregelvollzug könne er jedoch nicht befürworten. Es fehle hier an der notwendigen Erfolgsaussicht. Der Betreuer des Mannes erklärte daraufhin, dass eine geschlossene, freiwillige Langzeittherapie in einer Anstalt beantragt und bewilligt sei. Der 37-Jährige könne diese im Folgemonat antreten.

Die Richterin verlas im Anschluss den Auszug aus dem Bundeszentralregister und damit die Vorstrafen des 37-jährigen Angeklagten. Darin enthalten: 15 Eintragungen, die alle in Zusammenhang mit seiner Suchterkrankung stehen.

In seinem Schlusswort erklärte der Angeklagte: „Ich trinke nicht zum Spaß. Aber ich kann auch nicht sagen, warum ich immer wieder trinke.“

Der Staatsanwalt stellte fest, dass der 37-Jährige kein böser Mensch sei. Jedoch alkohol- und psychisch krank ist. Daher müsse der Mann psychisch behandelt werden. Dazu könne aber das Strafrecht nicht als Werkzeug dienen.

Strafe zur Bewährung
in diesem Fall nicht
mehr ausreichend

Angesichts der vielen Vorstrafen sehe er jedoch keine Möglichkeit, eine Bewährung zu beantragen, bei welcher der Mann dann die angedachte Therapie antreten könnte. Er sehe hier kein rechtlich und menschlich passendes Urteil. Auch wenn sich die Anklagen am unteren Rand der Strafbarkeit bewegen, müsse er eine Gefängnisstrafe von sechs Monaten beantragen.

Verteidiger Rechtsanwalt Alexander Kohut stimmte dem Staatsanwalt in rechtlicher Hinsicht zu, verwies jedoch darauf, dass die Probleme seines Mandanten kaum im Gefängnis korrigiert werden könnten. Im Hinblick auf die bevorstehende Therapie beantragte er eine Haftstrafe von vier Monaten, die eben deshalb nochmals zur Bewährung ausgesetzt werden solle.

Das Gericht entschied sich allerdings für fünf Monate Haft. Zu einer nochmaligen Bewährung sah die Richterin ungeachtet der allzu menschlichen Probleme keine Möglichkeit. „Sie bekamen bereits mehrfach Bewährungsstrafen und haben jedoch keine davon durchgestanden.“ Es fehle jegliche realistische positive Sozialprognose. Dieses Urteil fälle sie schweren Herzens.

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