Messerangreifer kommt milde davon

von Redaktion

Eine Auseinandersetzung mit Folgen: In einer Obdachlosenunterkunft in Rosenheim stach ein Mann (27) auf einen 36-Jährigen ein. Nun musste er sich vor Gericht verantworten. Während das Opfer immer wieder aggressiv reagierte, hat der Angeklagte vieles in seinem Leben verändert – zu seinem Vorteil.

Rosenheim – Am 12. März 2022 kam es in einer Obdachlosen-Unterkunft in Rosenheim zu einer Messerstecherei. Ein in Rosenheim geborener Mann mit sizilianischen Wurzeln (27) hatte dort mit einem Filetiermesser auf einen 36-jährigen Türken eingestochen und diesen mit mehreren Stichen verletzt. Nun wurde der Vorfall vor dem Schöffengericht Rosenheim unter dem Vorsitz von Richterin Isabella Hubert verhandelt.

Gleich zu Beginn bat der Verteidiger, Rechtsanwalt Pirmin Anders, um Nachsicht des Gerichtes, weil sein Mandant eine erhebliche Sprachbeeinträchtigung habe. Langsam und unter größten Mühen berichtete der Sizilianer, der als Tankwart tätig ist, über seine ambivalente Beziehung zu dem Opfer.

Immer wieder Auseinandersetzungen

Der 36-Jährige war für den Sprachbeeinträchtigten eine Art Bezugsperson geworden. Weil dieser aber sowohl drogenabhängig als auch selbst ein Drogendealer war, geriet der Angeklagte selber mehr und mehr in eine Drogenabhängigkeit. Dadurch wurden die bereits vorhandenen Psychosen des 27-Jährigen problematischer und verstärkt. So kam es in dieser einseitigen Abhängigkeit immer wieder zu Auseinandersetzungen. So auch am Nachmittag des Tattages. Nach dieser Auseinandersetzung rief der Angeklagte seinen Vater an und berichtete, dass er sich nun mit einem Messer zu dem 36-Jährigen aufmache. Der alarmierte noch die Polizei, die ihn aber an der falschen Örtlichkeit vermutete.

An den eigentlichen Tatvorgang in der Unterkunft konnte sich der Angeklagte vor Gericht nicht mehr erinnern. Dort habe er immer wieder Drogen bekommen, möglicherweise sei er deshalb dort gewesen. Er bestritt die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft aber nicht, sondern war umfassend geständig. Er berichtete auch, dass er am Vortag einen LSD-Trip hatte. Er habe auch Oxycodon, Marihuana und Alkohol im Blut gehabt. Mit großer Geduld folgte das Gericht den Ausführungen des Angeklagten. Dabei wurde klar, wie gegensätzlich die Beziehung der beiden Männer gewesen sein muss.

Entschuldigung
und Einsicht

Einen krassen Gegensatz zu dem gehemmten und reuigen Angeklagten bildete das Tatopfer. Vorgeführt aus der geschlossenen Abteilung des Inn-Salzach-Klinikums, wo der 36-Jährige im Maßregelvollzug eine Anti-Drogentherapie absolviert, verhielt er sich anmaßend, ja geradezu aggressiv der Richterin gegenüber. Immer wieder beantwortete er deren Fragen mit Gegenfragen. Auch zu angemessenem Verhalten vor Gericht musste er von der Richterin mehrmals aufgefordert werden.

Zwar bestätigte der Mann, dass ihn der Angeklagte nur Tage danach im Krankenhaus um Verzeihung gebeten habe. Die habe er ihm auch gewährt, man sei sogar wieder gut befreundet gewesen. Zum erneuten Bruch sei es allerdings gekommen, als der Angeklagte ihm seine Unterstützung verweigert habe, weil er dessen Wohnung übernehmen wollte. Nun wolle er nichts mehr mit ihm zu tun haben, sagte er. Im Gegenteil: Der 36-Jährige wolle nun ein angemessenes Schmerzensgeld.

Das verlesene Gutachten des forensischen Psychiaters Professor Michael Soyka bestätigte den Einfluss von Alkohol und Drogen bei dem Angeklagten. Jedoch sei dies zum Tatzeitpunkt nicht ausreichend für eine erheblich eingeschränkte Schuldfähigkeit des Angeklagten gewesen. Noch weniger sei ein Maßregelvollzug in einer speziellen Klinik sinnvoll, zumal der 27-Jährige inzwischen seit über 18 Monaten drogenfrei lebe. Der junge Mann war tatsächlich mit seinem Vater in die Schweiz umgezogen, wo er nicht nur eine ständige Arbeit aufnahm, sondern inzwischen auch eine unterstützende Beziehung mit einer jungen Frau habe. Mit dieser wolle er demnächst auch eine Familie gründen.

Der Staatsanwalt hob vor allem das positive „Nachtat-Verhalten“ des Angeklagten hervor. Zudem habe die Persönlichkeit des Tatopfers vor Gericht gezeigt, wie problematisch diese sein könne. Jedoch sei der Messerangriff nicht nur potenziell lebensgefährlich gewesen, auch könne von einer Notwehrsituation keine Rede sein. Die Brutalität dieser Aktion erfordere eine angemessene Strafe, die er mit einer Haft von drei Jahren und acht Monaten bezifferte.

Der Verteidiger erwähnte, dass auch beim Opfer ein Messer vorhanden gewesen sein soll, und verwies zudem auf eine vorausgegangene Provokation des türkischen Drogendealers. Dazu käme die völlige Kehrtwende im Leben seines Mandanten. Der habe sich nicht nur von den Drogen frei gemacht. Er habe auch sein ganzes Umfeld positiv verändert.

Mit Blick auf dieses Bemühen und angesichts der Tatsache, dass die knapp dreimonatige Untersuchungshaft deutlich auf ihn eingewirkt hatte, sei eine Strafe von zwei Jahren, die man auch zur Bewährung aussetzen könne, durchaus ausreichend, so der Verteidiger. Selbstverständlich sei sein Mandant auch bereit, ein angemessenes Schmerzensgeld an das Tatopfer zu bezahlen.

Gute Sozialprognose beim Täter

Dem folgte das Gericht. Obwohl es auch Bedenken gebe, so die Richterin, habe man eine Strafe von zwei Jahren für angemessen befunden, die das Gericht zur Bewährung aussetze. Zwar sei die Feststellung der Staatsanwaltschaft zweifellos richtig, dass es sich hier um eine brutale Tat gehandelt habe. Jedoch gebe es eine Reihe von Umständen, die das Gericht zu Milde bewogen habe.

So sei nicht nur das Geständnis früh und umfassend erfolgt. Auch habe der Angeklagte sich schnell um Verzeihung bemüht, die auch gewährt wurde. Darüber hinaus sei die psychische Verfassung des Angeklagten vielleicht nicht ausreichend für eine eingeschränkte Schuldfähigkeit gewesen. Dennoch könne und müsse sie im Strafmaß Beachtung finden. Letztlich sei das Nachtat-Verhalten nicht nur ungewöhnlich gewesen, auch die Prognose seines künftigen Sozialverhaltens ist aus Sicht des Gerichts durchaus positiv.

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