Rosenheim – Seit Mitte Juli steht ein zwei Meter hoher, 420 Kilogramm schwerer Filmprojektor in Christian Anners Wohnzimmer. „Sehr zum Leidwesen meiner Lebensgefährtin“, sagt der Rosenheimer. Ein Bekannter habe ihm die Maschine aus dem Jahr 1963 für 100 Euro überlassen. „Zehn Jahre lang habe ich schon nach so einer Maschine gesucht“, sagt Anner. Es soll nur noch 25 Stück von diesen Projektoren weltweit geben. Einer davon gehört nun Christian Anner.
Viele Erinnerungen
an das alte „Capitol“
Insgesamt besitzt Anner 20 Kinoprojektoren. „Ich finde es spannend, die mechanischen Feinheiten zu untersuchen“, sagt er. Die Begeisterung für die Maschinen habe er schon seit seiner Kindheit. Mit seiner Familie sei er öfter ins „Capitol“-Kino in Rosenheim gegangen. „Dann drehte ich mich um und sah den Lichtstrahl, der das Bild auf die Leinwand brachte“, sagt er. Das habe ihn schon damals bereits so fasziniert, dass er mehr über die Funktionsweise erfahren wollte. Ein Freund der Familie und Kinomitarbeiter ließ Anner schließlich in den Raum mit dem Projektor.
Als das „Capitol“, das für Anner mit vielen Erinnerungen behaftet ist, abgerissen wurde, sei das für ihn ein herber Schlag gewesen. „Das Kino hatte einen ganz besonderen Charme“, sagt er. Die Luft habe immer nach Popcorn gerochen, die Atmosphäre sei gemütlich gewesen. „Aber ich verstehe, dass die brüchigen Mauern des Kinos von Grund auf neu gemacht werden mussten“, sagt er. Zumindest ein Erinnerungsstück an das alte Kino konnte er retten. „Ich habe einen Projektor aus dem ‚Capitol‘ bekommen“, sagt er.
Anner war nicht der Einzige, der ein Andenken aus dem alten Kino mitnehmen konnte. Auch der Rosenheimer Bastian Schröger hatte Interesse an einem Mitbringsel aus dem Kinosaal. „Ich wollte einen Stuhl mitnehmen“, sagt Schröger. So habe er Anner kennengelernt, der sich damals für den Erhalt des Kinos eingesetzt hatte. So bildeten sie vor 14 Jahren zusammen mit Fabian Dandlberger den Verein „Kino-Kultur“, der sich zum Ziel machte, das Kino am Leben zu halten.
Der Verein ist bis heute aktiv. „Wir stellen auf Anfrage Kino-Technik zur Verfügung“, sagt Schröger. Die drei Männer haben bereits Filme in Berlin gezeigt und werden auch oft von Schulen wie dem Sebastian-Finsterwalder-Gymnasium gebucht. 30 Mitglieder hat der Verein inzwischen. Anner, Schröger und Dandlberger bilden den Vorstand.
Verein trotzt auch
Herausforderungen
„Wir wollen den Kinos keine Konkurrenz machen“, sagt Anner. Stattdessen will der Verein die Menschen wieder für das Kino begeistern. Und das funktioniert, sagt Anner. Besonders bei der Rosenheimer „Kinokultur-Woche“, einem mehrere Tage andauernden Freiluftkino am Salzstadel: „Einmal musste die Polizei das Gelände sperren, weil so viele Zuschauer da waren“, erinnert er sich. Über die Jahre hatten die drei Vereinsgründer auch einige Hindernisse zu bewältigen. Etwa 2021, als Einbrecher mehrere Getränke und Eispackungen stahlen. Im selben Jahr hatte ein Sturm die Kinoleinwand beschädigt. Das seien schwere Rückschläge für die ehrenamtlich arbeitenden Kinoliebhaber gewesen. Doch sie hätten sich nicht beirren lassen und trotzdem Wege gefunden, weiter Filme zu zeigen.
So wie auch in der „Kinokultur-Woche“ in diesem Jahr. Sobald es dunkel wird, laufen Filme wie „Beckenrand Sheriff“, „Maria, ihm schmeckt‘s nicht!“ und „James Bond 007 Spectre“ auf der Leinwand. Obwohl Christian Anner kein leidenschaftlicher Filmgucker ist, hat ihn ein Film trotzdem berührt: „Der Protagonist von ‚Ein Mann namens Ove‘ erinnert mich sehr an meinen Vater“, sagt er.
Die Kinokultur-Woche ist schon seit 14 Jahren fester Bestandteil in der Kulturlandschaft Rosenheims. „Die Veranstaltung zeigt, wie sehr sich der Platz vor der Stadtbibliothek zu einem kulturellen Mittelpunkt entwickelt hat“, sagt Oberbürgermeister Andreas März. Besonders der kostenlose Eintritt und die vielfältige Filmauswahl gefallen ihm. Die Veranstaltung bringe das Kino niedrigschwellig einem breiten Publikum näher. „Und mit dem Film ‚Blues Brothers‘ wird ein Anarcho-Juwel mit erstklassiger Musik gezeigt, das man gar nicht oft genug sehen kann“, sagt März.
Neues Zuhause
für Projektor gesucht
Anners 420-Kilogramm-Videoprojektor kommt bei der Kinokultur-Woche nicht zum Einsatz. Stattdessen werden die Filme auf dem Projektor aus dem „Capitol“ laufen, den Anner vor Abriss des Kinogebäudes damals mitnehmen durfte. „Dieser Projektor ist viel kleiner als die Maschine bei mir daheim“, sagt er. Auf die Frage, wie lange der große Projektor noch bei ihm im Wohnzimmer stehen wird, lacht er. „So lange, wie meine Partnerin es aushält.“ Er ist auf der Suche nach einem Museum, das dem Projektor ein Zuhause gibt.