Rosenheim – Es war ein Vorfall, der in Rosenheim für Aufsehen gesorgt hat. Am vergangenen Freitag ist im Rofa-Stadion ein Mitarbeiter (26) eines Veranstaltungstechnik-Unternehmens bei Bauarbeiten rund drei Meter in die Tiefe gestürzt und auf dem Boden des Eisstadions aufgeschlagen. Der Mann verletzte sich dabei am Bein. Solche Stürze sind jedoch keine Seltenheit. Immer wieder müssen abgestürzte Personen im Krankenhaus behandelt werden. Im Gespräch mit den OVB-Heimatzeitungen erklärt Professor Dr. Christian Zeckey, Chefarzt des Romed-Zentrums für Orthopädie und Unfallchirurgie Rosenheim-Bad Aibling, welche Verletzungen typisch sind, wie oft es zu solchen Unfällen kommt und was Ersthelfer beachten müssen.
Nach dem Vorfall im Rofa-Stadion: Wie viele Sturz-Opfer gibt es in Rosenheim?
Stürze kommen relativ häufig bei uns vor. Durch Stürze aus einer Höhe von mehr als drei Metern resultieren rund 15 Prozent der gesamten schwerverletzten Patienten nach unseren Registerdaten. Bei Stürzen aus einer Höhe von unter drei Metern sind es etwas mehr als 20 Prozent. Das betrifft aber nur die Patienten, die über den Schockraum kommen und dann auch auf die Intensivstation kommen.
Warum die Grenze bei drei Metern?
Je größer die Höhe, desto gefährlicher ist es. Dabei ist natürlich die Frage, ab wann ist eigentlich eine Höhe groß und ab wann nicht. Im internationalen Raum und in ärztlichen Fachgesellschaften wurden drei Meter als eine große Höhe definiert. Das liegt daran, dass es ab dieser Höhe überproportional häufig zu schweren Verletzungen kommt. Das bedeutet aber im Umkehrschluss nicht, dass es bei einer geringeren Höhe nicht dazu kommen kann.
Kleinere Stürze können also auch sehr gefährlich sein?
Das kann in jedem Fall sein. Dabei kommt es auch immer darauf an, um welche Patienten es sich handelt. Bei älteren Menschen gibt es auch des Öfteren ebenerdige Stürze, beispielsweise nach einem Strauchler beim Gehen. Die können unter gewissen Umständen auch lebensgefährlich werden. Das ist bei jüngeren Menschen, die sich noch anders abstützen können, nicht so oft der Fall.
Kann theoretisch ein Sturz aus kleiner Höhe gefährlicher sein als einer aus zehn Metern?
Das kann im Einzelfall sein. Aber man muss schon erwarten, dass der Zehn-Meter-Sturz größere Folgen hat als der Drei-Meter-Sturz, sofern der Untergrund gleich ist. Das liegt daran, dass die Höhe schon aufgrund der kinetischen Energie eine wesentliche Rolle spielt.
Welchen Unterschied macht denn der Bodenbelag?
Das ist sehr entscheidend. Je härter der Untergrund ist, desto härter ist natürlich auch der Aufprall. Ein Beispiel: Wenn Sie aus dem zweiten Stock in das Sprungtuch der Feuerwehr springen, da passiert nichts. Wenn Sie aber auf Teer landen, ist das eine ganz andere Geschichte. Wir sehen tatsächlich auch Patienten, die irgendwo heruntergefallen sind und dabei beispielsweise in Hecken oder Sträuchern gelandet sind. Da kommt es natürlich zu vielen Weichteil- und Schnittverletzungen. Aber die Sturzenergie, die wird so stark abgebremst, dass Patienten teilweise auf dem Boden liegen und nicht schlimmer verletzt sind.
Welche Verletzungen sind bei Stürzen aus der Höhe ansonsten typisch?
Das kommt darauf an, wie die Patienten aufkommen. Sofern man mit den Füßen zuerst aufkommt, kommt es übermäßig häufig zu Verletzungsfolgen im Bereich der Füße und vor allem am Fersenbein. Umso größer die Höhe ist, umso größer ist auch die Krafteinwirkung auf die Füße. Im weiteren Verlauf sind auch die Unterschenkel und der Kniebereich betroffen. Viele Patienten fallen auch mit dem Gesäß voran. Beim Aufprall mit dem Gesäß kann es zu einer Beckenfraktur kommen. Auch Verletzungen an der Wirbelsäule sind möglich. Typisch sind Frakturen, Weichteilschäden und vor allem Schädel-Hirn-Trauma sowie innere Verletzungen. Das ist besonders tückisch. Bei einem Aufprall auf den Boden denkt jeder erst mal an den Knochenbruch, aber Gehirn und inneren Organe können aufgrund der Massenträgheit ebenfalls verletzt worden sein. Das bedeutet, obwohl man von außen kaum etwas sieht – außer vielleicht einen Bluterguss – kann es sehr wohl zu lebensbedrohlichen inneren Verletzungen gekommen sein.
Heißt: Man sollte sich nach jedem Sturz aus noch so geringer Höhe lieber durchchecken lassen?
Unbedingt. Es ist auch so, dass wir trotz kompletter Diagnostik die Patienten nach einem Sturz oftmals 24 Stunden bei uns lassen, um sie zu überwachen. Am nächsten Tag wird dann nochmal zum Beispiel ein Ultraschall gemacht und erst, wenn alles sicher ist, geht es nach Hause.
Ist ein Schädel-Hirn-Trauma denn auch bei einem Sturz aus geringer Höhe möglich?
Ja. Ein Schädel-Hirn-Trauma fängt ja beim Schädel-Hirn-Trauma Grad 1 an. Das ist eine Gehirnerschütterung. Das ist nach unserer Definition bereits ein Schädel-Hirn-Trauma (SHT). Aber die höhergradigen Schädigungen, das sind dann eben diejenigen mit einem Nachweis von beispielsweise Blutungen im Kopf oder auch Hirnschwellungen. Ich bin daher sehr froh, dass wir am Klinikum in Rosenheim inzwischen die Neurochirurgie an 24 Stunden und 365 Tagen im Jahr haben, die mit sehr hoher Expertise Patienten mit auch schweren SHT versorgen.
Wie sieht es bei Schädel-Hirn-Trauma mit der Heilung aus?
Nach einem schweren Schädel-Hirn-Trauma sind lange Rehabilitationsphasen nötig. Und einige von den Patienten, die wirklich schwere Schädel-Hirn-Trauma erlitten haben, die werden auch letztlich nicht mehr das Niveau von der Vorsituation erreichen können. Das heißt, eine vollständige Heilung ist manchmal gar nicht mehr möglich.
Wie sollte man eigentlich als Ersthelfer am besten reagieren, wenn vor einem jemand in die Tiefe stürzt?
Das Erste ist sicherlich, den Notruf abzusetzen. Für die Rettungskette ist entscheidend, dass der früh abgesetzt wird. Und dann unmittelbar natürlich Zuwendung zu dem Betroffenen. Dabei kommt es darauf an, wie es demjenigen geht. Wenn die Person ansprechbar ist, geht es darum, Beistand zu leisten. Bei Knochenbrüchen kann man vor Ort wenig machen. Falls starke Blutungen auftreten, sollte möglichst schnell verbunden oder mit einer Kompression dafür gesorgt werden, dass die Blutung möglichst gering bleibt. Bei den bewusstlosen Patienten ist es wichtig, die Patienten in eine stabile Seitenlage zu bringen, damit die Atemwege frei bleiben.
Die Person darf also trotz möglicher Verletzungen an der Wirbelsäule bewegt werden?
Es ist sehr, sehr unwahrscheinlich, dass Sie damit die Gesundheitssituation schlechter machen, als nicht ohnehin schon. Denn es hilft ja alles nichts, wenn der Patient keine Luft mehr bekommt, dann wird er das nicht überleben können. Wenn ein Patient bewusstlos ist, dann ist oberste Priorität, dass der Atemweg gesichert wird. Da kann ich wirklich nur sagen, trauen Sie sich und rekapitulieren Sie noch mal die Dinge aus dem Erste-Hilfe-Kurs.