Rosenheim – Im Hintergrund der Eisdiele „Gelato Picks“ in Sugar Land, Texas, ertönt leise Schlagermusik aus den Lautsprechern einer Musikanlage. Die Inneneinrichtung ist schlicht gehalten. Neben dem Eingang ist eine Espresso-Ecke mit Barhockern eingerichtet. Im hinteren Teil stehen mehrere Holztische und Stühle. Eissorten wie Vanille-Amarena, Pistazie oder dunkle Schokolade liegen vorne in der Auslade der Theke.
Alle Eissorten macht Inhaber Dietmar Neidhardt selbst. Für den Rosenheimer ist sein Laden etwas ganz Besonderes. Mit 75 Jahren hat er ihn eröffnet. Einfach war dieser Weg allerdings nicht.
Ein Weltreisender
hat während der Pandemie eine Idee
Eigentlich ging Neidhardt mit 70 Jahren in den Ruhestand. Jahrelang arbeitete er in der Öl- und Gasindustrie, für Firmen wie Shell. Seinen Beruf als Ingenieur mochte er. Neidhardt flog um die ganze Welt. Sah verschiedene Länder und lernte ihre Sitten und Kulturen kennen. Immer wieder lebte er auch für kurze Zeit in den diesen Ländern. Zum Beispiel in Spanien, Frankreich, Dubai und den USA – genauer gesagt in Texas. Dort gefiel es ihm am besten. Also ließ er sich dort mit seiner Frau und seinen vier Kindern nieder.
Doch mit der Rente kam auch schnell die Langeweile. „Der Ruhestand war überhaupt nicht mein Ding“, sagt Neidhardt am Telefon und lacht. Er probierte das Drohnen-Fliegen aus, doch das war nichts für ihn. Also suchte er nach Alternativen. Dann kam allerdings Corona „und setzte die Welt quasi in Pause“. Für Neidhardt sei diese Zeit besonders schwierig gewesen: „Ich war es gewohnt, die Welt zu entdecken, und plötzlich war es nicht mehr möglich, nach draußen unter Menschen zu gehen. Das war unheimlich deprimierend.“
Neidhardt suchte im Internet nach Aktivitäten, die er auch während der Pandemie machen konnte. Mit einem Klick sei dann eine verrückte Idee entstanden. „Ich bin auf einen interessanten Kurs von der Gelato University in Bologna, Italien, gestoßen“, sagt er. Die Universität bot einen Online-Anfängerkurs zum Eisherstellen an. Neidhardt nahm daran teil und absolvierte in kürzester Zeit alle Prüfungen und weiterführenden Kurse.
Für die Teilnahme musste sich Neidhardt eine große Eismaschine kaufen. Zweimal pro Woche stellte er darin fast vier Liter Eis her. Seine Kinder waren bereits ausgezogen und er und seine Frau konnten das ganze Eis alleine nicht essen. Dann kam ihm eine Idee. „Während Corona war kein Restaurant oder Café geöffnet, also habe ich jeden Sonntag das Gelato an meine Nachbarn verteilt. Damit bin ich zum Helden in unserer Straße geworden“, sagt er.
Die Nachbarn seien begeistert gewesen. „Einer fragte mich, wann ich endlich meinen eigenen Laden eröffne“, sagt Neidhardt. Das tat er dann auch. Im März 2021 unterschrieb er den Mietvertrag für seinen Laden und im Juli folgte die Eröffnung. Allerdings ging das Ganze nicht ganz „ohne Magenschmerzen“. „Es war schon beängstigend, denn ich wollte meinen Ruhestand nicht gefährden“, sagt Neidhardt. Denn eine eigene Eisdiele gehe schließlich auch mit einem großen finanziellen Aufwand einher.
Doch die Zweifel seien unberechtigt gewesen. Schon nach einem Jahr habe Neidhardt viel Gewinn gemacht. Immer mehr Gäste kamen in seinen Laden, um „echtes italienisches Gelato zu essen“. Für ihn war es ein voller Erfolg. Bis heute sei er froh, den Schritt gemacht zu haben. Und er ist sich sicher, dass Sugar Land der richtige Ort dafür war. „Die Menschen hier freuen sich über den Erfolg anderer. In Texas ist einfach die gesamte Atmosphäre positiv“, sagt Neidhardt. Aus Texas wegziehen, kommt für ihn daher nicht infrage.
So oft es geht: Heimatbesuch in Thansau bei Rohrdorf
So oft es geht, versucht er allerdings, seine alte Heimat zu besuchen. Geboren ist Neidhardt in Thansau in Rohrdorf. Mit dem Zug ging es für ihn jeden Morgen nach Rosenheim zur Schule. Neidhardt erzählt, dass er nicht gerne gelernt habe und eine Klasse wiederholen musste. Seine Eltern brachten ihn dann nach Tirol, in ein Bundesrealgymnasium. „Das hat mein Leben schon sehr beeinflusst“, sagt Neidhardt.
Er sei selbstständiger geworden und fing an, mehr zu lernen. In seiner Schulzeit interessierte sich Neidhardt für Erdöl und Erdgas. Also ging es für ihn nach der Schule an die Montanuniversität in Leoben, Österreich, wo er Erdölwesen studierte. Fast 15 Jahre arbeitete er als Betriebsingenieur auf Bohrplattformen in verschiedenen europäischen Ländern, ehe es für ihn als Top-Manager auch auf andere Kontinente ging.
Keine Pläne für die Zukunft – lieber viel Zeit für die Kunden
Nun steht der heute 78-Jährige fast jeden Tag in seiner Eisdiele in Texas. Pläne für die Zukunft macht er nur noch selten. Denn so wie es jetzt läuft, sei es gut. „Der Gedanke dahinter war, mich mit 75 Jahren noch einmal neu herauszufordern. Heute führe ich spannende Gespräche mit den unterschiedlichsten Kunden und das ist das Beste an meinem Job“, sagt er.